Vom DS Schaffhausen zum Neubau eines Rheindampfers: Das Projekt wird konkret
50 Jahre sind es her, seit erstmals in der Schweiz versucht wurde, durch eine Volksbewegung ein Raddampfer vor dem Verschwinden zu retten. Es war dies 1967, als der letzte, fahrplanmässig eingesetzte Glattdeckdampfer auf dem Rhein verschrottet wurde. Kleinaktionäre versuchten dies vorgängig erfolglos an der URh-Generalversammlung zu verhindern. Die legendäre „Schaffhausen“ fuhr ohne Fahrgäste am 24. Mai zum Abbruch nach Romanshorn. In der Zeitung war zu lesen: „Als die ‹Schaffhausen› am Konstanzer Hafen vorbeifuhr, ertönten Schiffsirenen der im Hafen liegenden Schiffe. Böllerschüsse begleiteten das stolze Schiff zu seiner letzten Fahrt in den Obersee.» Die historischen Bilder zu diesem Blog stammen von Markus Fröhlich. Er schreibt dazu: „Das DS Schaffhausen sahen wir x‑mal in der Werft und dann im Exil beim ehemaligen Kloster St. Katharinental in Diessenhofen. Vor der Dampfschiffwoche im Mai 1966 fuhr der Dampfer in die Werft, wo Norbert und ich diese Fotos des fahrenden Dampfers knipsen konnten. Wir waren begeistert… und ein Jahr darauf standen wir entsetzt und fassungslos in Romanshorn vor dem Wrack.»
Es scheint, dass sich der Volkszorn 50 Jahre nach dem Verschwinden der „Schaffhausen“ noch nicht gelegt hat. Oder wie sonst könnte man sich erklären, dass an einem kalten und dunkeln November-Abend 170 Leute in ein Schaffhauser Industriequartier pilgern, um ein knapp sieben Meter langes Modell des zukünftigen Schiffsrumpfes anzusehen? Wie könnte man jemandem sonst plausibel machen, dass der Verein Pro Dampfer heute über 2 500 Vereinsmitglieder hat, 195 Mitglieder des 1000er-Clubs zählt und über 500 Aktionäre ihr Geld zur ersten Million einbezahlt haben (davon 53 Kollektivmitglieder wie Städte, Gemeinden und Firmen)? Für etwas, das auch für mich lange Zeit unrealistisch erschien?
So wie die URh in ihrer Geschichte schon manche Krise überwinden musste, geht es auch dem Verein so: Mit grossem Einsatz reichten 2008 zwei Kantonsräte entsprechende Vorstösse in die Parlamente, das Dampfschiff auf den Rhein zurück zu bringen. Eduard Joos im Kanton Schaffhausen und Hans-Jörg Lang im Kanton Thurgau (beide FDP) scheiterten zwar an der notwendigen Mehrheit in den Parlamenten, konnten aber bewirken, dass die Kantone eine Machbarkeitsstudie bei der Shiptec in Luzern in Auftrag gaben. Diese lag im Januar 2012 vor, bot aber für die politische Durchsetzung der Idee wenig Support: ein Dampfschiff koste 2 bis 4 Millionen Franken mehr als ein gleich grosses Motorschiff, die Betriebskosten und der Energieverbrauch seien bedeutend höher, so die Quintessenz der Luzerner Experten. Schon im Februar davor versenkte der Verwaltungsrat der URh die Dampfschiff-Idee, ohne dabei mit Tourismus und Politik zu sprechen. Betriebswirtschaftlich nicht vertretbar, ökologisch bedenklich und daher nicht zeitgemäss, so – laut NZZ-Bericht – das Fazit vom damaligen URh-Verantwortlichen und Direktor der Schaffhauser Verkehrsbetriebe Walter Herrmann.
Diese „Argumente“ blieben nicht unwidersprochen. Dr. Jürg Meister schrieb in seiner Studie: „Ein Dampfschiff wird aufgrund seiner Attraktivität im Schnitt 20 bis 25 % mehr Personen befördern. Der positive volks- und regionalwirtschaftliche Effekt eines neuen Dampfschiffes ist hinreichend erwiesen.“ Andrew Thompson, Tour Manager der englischen Railway Touring Company gab zu Protokoll: „Ein Dampfschiff für die unvergleichliche Rheinstrecke von Schaffhausen nach Konstanz ist eine absolute touristische Marktlücke.“ Und Roger Waller, Ingenieur der DLM Winterthur äusserte sich gegenüber der NZZ vom 13.4.12: „Moderne Maschinen mit Fernbedienung sind sicher und wirtschaftlich. Ausserdem kann ein Raddampfer bei Niedrigwasser punkten, denn sein minimaler Triefgang ermöglicht mehr Betriebstage.“ Der Journalist Caspar Heer gab zu bedenken: „Auf schweizerischer Seite geht gern vergessen, welch enorme touristische Bedeutung der Bodenseeraum in Deutschland hat. Ein Dampfschiff auf Rhein und Untersee könnte helfen, dieses Potenzial besser auszuschöpfen.“ Markus Henne, Professor an der Hochschule für Technik Rapperswil konnte nachweisen, dass ein neues Dampfschiff nach den heute gültigen Vorschriften gebaut werden kann.
Trotz dieser ermutigenden Statements war zum 100. Geburtstag des ursprünglichen DS Schaffhausen 2013 für die Initianten aber klar: Allein mit Steuer- und URh-Aktionärsgelder lässt sich kein Raddampfer bauen. Der Gründungspräsident Eduard Joos: „Der Bau des Dampfschiffes lässt sich nur mit weiteren grosszügigen Sponsorenbeiträgen finanzieren. Es braucht die Zusammenarbeit mit der Schifffahrtsgesellschaft, den Freunden der Dampfschifffahrt, der öffentlichen Hand (Kantone TG, SH, deutsche und schweizerischen Anliegergemeinden) sowie Mitteln aus Fonds und Stiftungen.“ Als Finanzierungsgefäss wurde zu diesem Zweck am 2. Juni 2016 die Aktiengesellschaft „Pro Dampfer AG“ gegründet.*
Aufgeführte Kritikpunkte wurden aufgenommen: So entstand die Idee, mit einem Holz-Pellet befeuerten Kessel das erste moderne CO2-neutrale Dampfschiff** der Welt zu bauen. Weitere fünf Jahre gingen ins Land, will gut Ding Weile haben oder stirbt das Projekt? Joos: „Nein, der Dampfer kommt! Die Idee ist mit Blick auf einen sanften Tourismus und eine umweltschützende Nachhaltigkeit bestechend. Die Bevölkerung freut sich. Die noch offenen technischen Fragen lösen wir, für die Finanzierung steht die erste Million bereit.“ Ein Blick in die Vereins-Homepage (Rubrik Chronik***) zeigt eindrücklich, dass da unermüdlich weitergearbeitet wurde. So legten 2015 der Verein Pro Dampf (VPD) und die URh die technischen Rahmenbedingungen zum Bau eines Raddampfers fest. Viel Zeit brauchte der Verein auch für Kooperationen, Lobbyismus und politische Überzeugungsarbeiten. Rückzieher und schwerwiegende zeitliche Verzögerungen (z.B. durch Arbeitsüberlastung des Schiffbauingenieurs) blieben dem Verein nicht erspart.
Heute präsentiert der neue Vereinspräsident Raimund Hipp das Modell im Masstab 1:7 eines Rumpfes des möglichen**** Raddampfers. Das 6,85 m lange Holzmodell diente im Mai 2018 an der Schiffbau-Versuchsanstalt Potsdam für Schleppversuche. Diese gaben im unterstützenden Sinne Auskunft über die erforderliche Leistung der Maschine und der entsprechenden Geschwindigkeit. Raimund Hipp: „Das positive Resultat bedeutet konkret, dass unser Projekt nun von der Abklärungs- in die detaillierte Planungsphase übergehen kann.“
An der technischen Umsetzung arbeiten drei Ingenieure: Bernhard Utz als Schiffbauer, Roger Waller von der DLM Winterthur als Maschinenbauer und Robert Horlacher als Berater. Letzterer ist nicht zu beneiden; Horlacher fungiert nebst der Interessensvertretung Pro Dampf auch als Moderator zwischen dem Schiffbauer und dem Schiffsmaschinenbauer. Im 2019 soll die Budgetplanung abgeschlossen sein, Ziel ist Baubeginn 2020 und die Fertigstellung soll 2022, also ein Jahr nach der Wiederinbetriebnahme der „Rhône“ (Genfersee) und der „Stadt Luzern“ (Vierwaldstättersee) erfolgen. Der nächste Neubau eines Passagierschiffes auf Untersee und Rhein wird also ein Dampfschiff sein. Für mich das stärkste Argument zur Realisierung ist die wesentliche Verkürzung der leidigen und vermehrt auftretenden Streckenunterbrüche wegen Niedrigwasser. Der maximale Tiefgang des Dampfers beladen wird 115 cm betragen. Wird der Dampfer von der URh betrieben und behält diese das historische Schiff Stein am Rhein in der Flotte, so wäre auch an einen überfälligen Angebotsausbau***** zu denken. Solche Perspektiven würden uns Schiffspassagiere freuen.
Raimund Hipp ist seit Frühjahr 2018 Vereinspräsident. Er war Leiter der Fachstelle Natur und Landschaft im Amt für Raumentwicklung des Kantons Thurgau und ist seit diesem Sommer pensioniert. Hier präsentiert er das Modell eines möglichen Untersee- und Rheindampfers.
Eine Visualisierung zeigt das Schiff bei der Unterquerung der Brücke in Diessenhofen.
Der bisherige und der neue Vereinspräsident haben allen Grund, sich zuzuprosten: Eduard Joos ® und Raimund Hipp.
DS Schaffhausen fährt im April 1966 zur Werft.
Bugansichten des legänderen Glattdeckdampfers.
Heckansichten des legänderen Glattdeckdampfers.
Bilder 4 – 6 M. Fröhlich, Bild im Textteil VPD, Text und übrige Bilder H. Amstad
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Bemerkungen
*) In Analogie des Finanzierungsmodelles für den letzten URh-Neubau (Munot 1995) könnte die Finanzierung folgendermassen aussehen: je ein Viertel der Kosten für ein Motorschiff-Neubau die Kantone Schaffhausen und Thurgau sowie die Kantonalbanken der beiden Kantone. Hipp: „Der Verein ist zur Zeit der Ansicht, die Finanzierung des Schiffes weitmöglichst durch private Spenden und Sponsoren zu erreichen.“
**) Alle mit Holz gefeuerten Dampfer sind CO2-neutral. Das Schaffhauser Schiff wäre das erste mit einer modernen Antriebsanlage.
***) Details sind transparent auf der neuen Homepage des VPD aufgelistet: Link
****) Wie an der Medienkonferenz vor Ort von den Ingenieuren zu vernehmen war könnte das Schiff auch leicht kleiner ausfallen, um den Leistungsbedarf der Maschine zu reduzieren oder um mit der gleichen Leistung eine höhere Geschwindigkeit zu erreichen.
*****) Das touristisch hochkarätige und von deutschen Touristen gern-besuchte Städtchen Stein am Rhein hat sein erstes Schiff heute erst um 11.15 Uhr Richtung Konstanz und um 11.30 Uhr Richtung Schaffhausen.
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