Von der Ostsee und Speyer am Rhein zum Lip­nosee in Tsche­chien: bewegtes Leben eines 20-jäh­rigen Schiffes

Erst gut 20-jährig und schon hat es halb Europa bereist: als eines der letzten auf der deut­schen Bin­nen­werften Berlin erbaute Schiff fährt es bereits für den dritten Reeder. 1999 bestellt die Fahr­gast­schiff­fahrt Wolfgang Rasche1 für den Lokal­verkehr zur Insel Hid­densee (Ostsee bei Stralsund) ein neues Schiff und setzt es unter dem Namen Ahren­shoop2 in Betrieb. 2003 kommt es als «Sea Life» für die Fahr­gast­schiff­fahrt Speyer unter Karl Heinz Kautz zum Einsatz und nun ab Herbst 2020 als «Smetana» auf dem Mold­aus­tausee Lipno bei der Ree­derei Rosen­berger unter der Regie der Familie Dorn Fussenegger.

Das heutige MS Smetana ver­dankt seine Existenz der Ree­derei Rasche an der Ostsee. Da werfen wir als erstes einen Blick in die Geschichte dieses Schiff­fahrts­be­triebes. Dieser wird im Dezember 1946 von Emil Mes­ser­schmidt gegründet, um einen Linien- und Ver­sor­gungs­dienst auf den Bod­den­ge­wässern bei Stralsund zu errichten. Er hebt dazu eine alte Wehr­machts­bar­kasse, welche bei Kriegsende bei Ribnitz-Dam­garten ver­senkt wurde. Mit dem Bau einer Strasse auf diese Ostsee-Halb­inseln Anfang der 60er-Jahre kommen die ersten Urlauber in die Gegend und es ent­stehen Kin­der­fe­ri­en­lager. Das Schiff, die «Heidi», bekommt eine neue Aufgabe: Sie fährt von nun mit Tou­risten über den Bodden bis nach Hid­densee und Stralsund.3

Das Unter­nehmen ist erfolg­reich und wächst. 1999 kommt ein wei­terer Neubau, welches unter dem Namen «Ahren­shoop» neben der (inzwi­schen neuen) «Heidi» auf den Bod­den­ge­wässern unterwegs ist. Die «Ahren­shoop» ist einer der aller­letzten Schiffe, die auf der Ber­liner Werft ent­steht4. Im Oktober 2001 kommt eine dritte Einheit dazu (das ehe­malige MS Stadt Röbel), wieder ein Typ-3-Schiff, welches nun den Namen «Ost­seebad Prerow» bekommt. Anfang 2003 wird MS Ahren­shoop5 wegen Über­ka­pa­zität an den Rhein ver­kauft6.

In Speyer den Tou­rismus belebt

Somit erreicht das heutige MS Smetana Süss­wasser. Die Fahrt nach Speyer ist aller­dings ein Aben­teuer. An die stür­mische Über­fahrt vom vor­he­rigen Hei­mat­hafen Born bei Rostock erinnert sich der Speyer Schiffs­eigner und Kapitän Karl­heinz Kauz noch gut: „Das Schiff haben wir auf einer langen Reise über die Ostsee, den Nord-Ostsee-Kanal, die Nordsee, das Ijselmeer und schliesslich in den Rhein bis hinauf nach Speyer gefahren. Starker Seegang machte diese Über­führung zu einer Her­aus­for­derung. Aus den geplanten acht wurden schluss­endlich 14 Tage. Trotz meh­reren Ver­suchen konnten wir mit dem Schiff bei Wind­starke 8 die Nordsee nicht bezwingen ohne Schaden zu nehmen. Wir mussten in Cux­haven eine wet­ter­be­dingte Zwangs­pause von drei Tagen einlegen.“

Die römische Stadt Speyer, zwi­schen Mannheim und Karlsruhe gelegen, ist nebst seinem roma­ni­schen Dom bekannt als Kul­tur­stadt am Rhein, die auch das Tech­nik­museum und das Sea Life Center behei­matet. Als Zeichen der Koope­ration mit dem Unter­wasser-Museum wird das Schiff „Sea Life“ getauft. Nach 17 Jahren trennt sich die Fahr­gast­schiff­fahrt Speyer GmbH von ihrem Fahr­gast­schiff und gibt ihren Betrieb im 2020 auf. Zu den Gründen äussert sich der Eigner Karl Heinz Kautz gegenüber der Schiff-Agentur wie folgt: «Nach­fol­ger­pro­bleme, Rückgang des Zulaufes der Fahr­gäste auch zum ansäs­sigen Sea Life Center und Pro­bleme mit den Anwohnern rund um die Anle­ge­stelle im Hafen führten zu diesem Ent­schluss.» In Speyer ver­bleibt nun einzig die Per­so­nen­schiff­fahrt Werner Streib mit dem Schiff Pfäl­zerland7. In Speyer gab es in den 50- bis 70-Jahren auch eine Fähre und zuvor in der Nach­kriegszeit noch eine Schiff­fahrt mit der Firma Demmerle.

Fahrt nach Lipno mit Corona-Stopp in Linz

Am 18. Juni erfolgt die Was­serung in Frýdava über eine separat auf­ge­baute mobile Helling – am gleichen Ort wie vor acht Jahren das Ein­wassern des MS Adalbert Stifter geschah. Die Schiffs­taufe nimmt am 28. August der ober­ös­ter­rei­chische Lan­des­hauptmann Thomas Stelzer in Lipno vor. Ein Öster­reicher Spit­zen­po­li­tiker tauft in der Tschechei ein Schiff? Otto Steindl kennt den Zusam­menhang: „Der Eigner der Lipno-Line, Lukas Dorn Fus­se­n­egger (und Sohn der Schrift­stel­lerin Gertrud Fus­se­n­egger), ist ein Ober­ös­ter­reicher. Er wohnt in Leonding bei Linz und war dort jah­relang als Stadtrat für die Grünen poli­tisch aktiv. Somit bestehen poli­tische Ver­bin­dungen, obwohl Lan­des­hauptmann Stelzer der ÖVP angehört…» Schiff­fahrt ver­bindet halt.

Die Wahl des Schiff­namens begründet der Flot­ten­eigner Dorn Fus­se­n­egger mit der Kom­bi­nation eines wei­teren Schiffes auf dem Lip­nosee, dem MS Adalbert Stifter: „Der Kom­ponist Friedrich Smetana und der Schrift­steller Adalbert Stifter haben sich als Zeit­ge­nossen gekannt. So können sich die beiden Künstler und Freunde sym­bo­lisch wieder auf dem Moldau-Wasser treffen. Lite­ratur und Musik sind über alle Grenzen hinweg ver­bin­dende Elemente.“

Auf dem Mold­aus­tausee Lipno sind aktuell nebst der «Smetana» noch zwei weitere Fahr­gast­schiffe im Einsatz: MS Vltava mit Baujahr 1958 (gebaut in Ungarn für den Lip­nosee) und MS Adalbert Stifter (1967, vormals MS Undin unter der Flagge des Schiffs­be­triebes Botsch in Cochem/​Rhein, dann ab 1973 MS Marksburg bei der Marksburg-Schiff­fahrt Vomfeil in Spay). Alle drei Schiffe sind im Hoch­sommer im Lini­en­be­trieb, was zum besten Fahrplan aller Zeiten führt. Die «Adalbert Stifter» startet von Lipno aus, «Smetana» vom Lini­enende Horní Plana und die alte unga­rische «Vltava» macht Zwi­schen­ver­bin­dungen9.

MS Ahren­shoop auf den Hid­den­see­ge­wässern der Ostsee

MS Sea Life unterwegs in Speyer vom Hafen zur Ausstellung

MS Smetana bereits mit tsche­chi­scher Flagge am Bug im Linzer Stadt­hafen, umrahmt von Lukas Dorn Fus­se­n­egger und seiner Tochter und Firmen-Pro­ku­ristin Anna Dorn

Trans­porteur Kübler kurz vor Abfahrt vom Donauufer in Linz in Richtung Tschechei

Der offi­zielle Festakt mit (v.l.n.r.) Taufpate Thomas Stelzer (Lan­des­hauptmann von Ober­ös­ter­reich), Schiffs­patin Nelly Dorn Fus­se­n­egger, Lukas Dorn Fus­se­n­egger (Inhaber), Anna Dorn Fus­se­n­egger (Pro­ku­ristin des Unter­nehmens) und Tomas Jirsa (Senator und Bür­ger­meister von Hlouboka)

Die «Smetana» ist auf dem Mold­aus­tausee Lipno angekommen.

Erscheint in der Flot­ten­liste als «his­to­rischs Schiff»: MS Vltava (1958), ein heute selten gewor­dener Zeit­zeuge der früher ver­brei­teten Schiff­busse aus Ungarn

Bild im Textteil: Der Taufakt am Haupt­platz in Zwettl-Rodl

Text H. Amstad – Bilder 3, 4 und im Textteil O. Steindl, Bilder 6 und 7 Fr. Vichta, Bild 1 W. Rasche, Bild 2 (Link), , Bild 5 Liopno-Schifffahrt

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Hin­weise

2) Das Schiff wurde benannt nach dem Ost­seebad Ahren­shoop, einer Gemeinde im Land­kreis Vor­pommern-Rügen in Mecklenburg-Vorpommern.

3) Die «Heidi» wird 1970 von einem in Ams­terdam gebauten Schiff gleichen Namens abgelöst und 1985 übergibt Emil Mes­ser­schmidt den Betrieb an seinen Schwie­gersohn Wolfgang Rasche. Dieser ver­kauft 1991 die «Heidi» II und kann das Typ-3-Schiff namens Breitling erwerben, welches dann den Namen «Heidi» III erhält. 1997 bekommt der Betrieb sein erstes Neu­bau­schiff in Dienst gestellt, die «Heidi» IV, von der Deut­schen Bin­nen­werft Berlin gebaut.

4) Die Deut­schen Bin­nen­werften sind nach der Wende aus dem VEB Schiffs­re­pa­ra­turen Berlin her­vor­ge­gangen. Im Zuge der Pri­va­ti­sierung erwarb knapp die Hälfte der damals rund 500 Beschäf­tigten zusammen mit vier Managern den Werf­ten­verbund von der Treu­hand­an­stalt. Das Unter­nehmen hatte bis zu seiner Insolvenz im Jahr 2000 über 100 Schiffe geliefert, dar­unter eine Auto­fähre und viele Aus­flugs­schiffe wie MS Smetana, die auf dem Werk in Köpenick ent­stand (ehemals Yacht­werft Berlin).

5) Tech­nische Daten: MS Smetana, Baujahr 1999, Deutsche Bin­nen­werften Berlin-Köpenick (ehem. Yacht­werft Berlin), L üa 25.0 (ursprünglich 24.20 m), B üa 5.30 m, T 0.90 m, Cummins 6 CTA 8.3‑M-1-Motor 186 kW bei 2 100 u/​min, Schot­tel­ruder-Pro­peller und Bug­strahl­ruder, 140 Pas­sagere (ursprünglich 145), imma­tri­ku­liert in Prag

6) Somit sind seit 2003 nur noch zwei Schiffe für die Ree­derei Rasche unterwegs, MS Heidi und MS Ost­seebad Prerow. Im Sep­tember 2006 wird die «Ost­seebad Prerow» ver­kauft und deren Stelle das Fahr­gast­schiff Ost­seebad War­ne­münde erworben. Das neue Schiff bekam wieder den Namen «Ost­seebad Prerow» II und wird seit 2007 für Bod­den­rund­fahrten ab Prerow ein­ge­setzt. MS Heidi über­nimmt seit 2007 die Lini­en­fahrten zwi­schen Born, Fuh­lendorf und Prerow.

7) Otto Steindl: „Der Transport unter­scheidet sich von dem vor acht Jahren bei MS Adalbert Stifter. Damals wurde das Schiff über Hell­monsödt trans­por­tiert, dieses Mal wird über Zwettl/​Rodl und direkt durch Bad Leon­felden gefahren, weiter durch Vissy Brod an den Stausee Lipno.“

9) Nach Aus­kunft des Betriebs­leiters Málek wird die «Adelbert Stifer» in vor­deren (unteren) Seeteil die Rund­fahrten um 10.00, 12.30 und 15.00 Uhr ab Lipno anbieten und de «Smetana» den hin­teren (oberen) Teil. Eine Runde im Dreieck Černá – Horní Planá – Dolní Vltavice (neuer Anleger und Umstei­ge­punkt zur «Stifter»-Linie soll 90 Min dauern. Die «Vltava» soll ein Expresskurs machen Lipno – Horní Plana (ganze See) – das unga­rische Schiff ist schnell und kann in 90 Minuten den ganzen See befahren. Dazu kommen am Mittwoch und Freitag jeweils Abend­fahrten mit «Stifter» von 18.00 bis 21.00 Uhr mit halt in allen Stationen (!).

Weiter im Text

1) Zur Geschichte Ree­derei Wolfgang Rasche (Link)

8) Zur Schiff­fahrt Pfäl­zerwald Werner Streib (Link)

Rei­se­be­richt Schiffs-Agentur vom Lip­nosee (Link)

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