Was lange währt, wird gut – DS Spiez auf dem Thu­nersee auf Probefahrt

Das „Spie­zerli“ feiert sein Comeback als Dampf­schiff. Am 26. Januar 2021 findet die erste Pro­be­fahrt statt. Während die BLS wegen der Restau­rant­schliessung ihren Win­ter­be­trieb ganz ein­ge­stellt hat und keine anderen Pas­sa­gier­schiffe den Thu­nersee befahren reiben sich die Anwohner die Augen: „Da fährt ja ein Schiff, sogar mit einem Damp­fer­kamin.“ Der Abdampf sorgt bei diesem kalten Wetter sogar für eine optisch attraktive Dampf­fahne. Manch ein Damp­fer­freund fragte sich in letzter Zeit, ob die „Spiez“ je wieder zum Fahren kommt. Seit 10 Jahren gab es ein Auf und Ab. Das bestätigt auch Andreas Kind­limann, der ver­ant­wort­liche Pro­jekt­leiter: „Eine solch lange Projekt- und Umbau­phase wird allein durch den Zeit­faktor enorm ver­teuert und hat natürlich auch Durch­hänger drin, die Energie brauchen, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren.“

Mit ihm konnte ich an Bord der ste­henden „Spiez“ über Hin­ter­gründe und seine Erfah­rungen sprechen. Der selb­ständige Schiffs­bau­in­ge­nieur ist seit fünf Jahren als externer Pro­jekt­leiter im Auftrag der BLS für die „Spiez“ zuständig. Er übernahm diesen Job von Ruedi Stor­chen­egger, der als BLS-Werftchef 2015 in Pension ging. Par­allel zum Interview zeigt Robert Hor­lacher, beim Projekt DS Spiez Berater im tech­ni­schen Pro­jekt­aus­schuss, stim­mungs­volle Bilder von den ersten Pro­be­fahrten, die er uns in dan­kens­wer­ter­weise zur Ver­fügung stellt.

Der Prä­sident der Berner Damp­fer­freunde, David-André Beeler, schreibt im Mit­tei­lungs­blatt des Vereins am 12.11.2020: „Per­so­nelle, tech­nische, behörd­liche und kri­sen­be­dingte Umstände ver­zögern die Jung­fern­fahrt der „Spiez“ und ver­ur­sachen erheb­liche Mehr­kosen.“ Was könnte er mit diesem Satz gemeint haben? Andreas Kind­limann: „Die Dauer dieser Pro­jekt­phase bringt zum einen natür­liche Per­so­nal­fluk­tua­tionen mit sich. Zum andern ver­loren wir durch die Kün­digung des tech­ni­schen BLS-Leiters Ralph Darm­städter, Leiter Technik und Infra­struktur der BLS Schiff­fahrt, min­destens ein halbes Jahr. Er hatte auch das ganze Knowhow der elek­tro­ni­schen Kom­po­nenten unter sich. Auf der tech­ni­schen Seite hatten wir grosse Ver­zö­ge­rungen, weil der Kessel vom SVTI (Schweizer Verein für tech­nische Inspek­tionen) nicht abge­nommen wurde, obwohl wir vor­gängig das Zer­ti­fi­zie­rungs­pro­zedere mit ihnen abge­sprochen haben. Die erbrachten Nach­weise des Kes­sel­her­stellers wurden im Nachgang nicht akzep­tiert, was zur Folge hatte, dass der fertige Kessel umgebaut werden musste.“

2018 gab es Lie­fer­eng­pässen von Ein­zel­teilen der von der Firma DLM erbauten Dampf­ma­schine. Weiter waren behörd­li­cher­seits die Anfor­de­rungen des BAV sehr hoch. Zum einen haben wir es mit einer tech­ni­schen Inno­vation in Form einer neuen, fern­ge­steu­erten Dampf­ma­schine zu tun, zum andern führten diverse Auf­lagen der Auf­sichts­be­hörden zu wei­teren Ver­zö­ge­rungen. Kind­limann: „Die Krise Covid19 schliesslich tat ihres dazu, indem sich die ver­ein­barten Leis­tungen von Seite der BLS ver­zö­gerten. Ins­be­sondere für die mecha­ni­schen Leis­tungen wie Schweissen, Instal­lieren, Malen stand wegen der Kurz­arbeit die BLS-Crew im letzten Frühling nicht zur Ver­fügung.“ Weiter war die Instand­setzung des Schiffes finan­ziell nicht voll­kommen gesi­chert. Der kan­tonale Lot­te­rie­fonds stufte das «Spie­zerli» nicht als denk­mal­pfle­ge­risch wertvoll ein. «Durch die neue Dampf­ma­schine gilt das Schiff als quasi modern, weshalb wir keine Sub­ven­tionen erhielten», erklärt Kindlimann.

Erleich­terung macht sich breit

Nun sind die ersten Pro­be­fahrten durch­ge­führt, ein emo­tio­naler und auch erlö­sender Moment für alle Betei­ligten. Was freut Andreas Kind­limann – Stand heute – am meisten? „Meine Erwar­tungen sind bei den ersten Pro­be­fahrten über­troffen worden. Ich hielt es nicht für möglich, dass bereits so vieles so gut funk­tio­niert. Dann über­zeugt mich der ästhe­tische Gesamt­ein­druck. Die Reak­tionen der Ufer­be­völ­kerung waren nach den ersten Pro­be­fahrten über­wäl­tigend. Aus den Feed­backs der BLS ent­nehme ich nun eine hohe Moti­vation, das Schiff erfolg­reich zu betreiben. Schliesslich beein­druckt mich das tech­nische Zusam­men­spiel aller Kom­po­nenten.“ Zum Letz­teren konnte ich mir selbst ein Bild an Bord machen: Selbst Kes­sel­funk­tionen, Maschi­nen­steuerung, Was­ser­vor­heizung, Strom­erzeugung und und und sind elek­tro­nisch ver­knüpft und per Touch­screen sowohl vom Schiffs­führer wie von einem all­fäl­ligen Maschi­nisten (falls es den mal bräuchte) ansteu­erbar – die Anzahl Kabel, die sich im Schalt­ta­bleau sammeln, sind schwin­del­erregend und stehen einem solchen eines Mehr­fa­mi­li­en­hauses um nichts nach. Andreas Kind­limann seufzt etwas und meint: „Meine Vision ist, eines Tages ein Schiff bauen zu können ganz ohne Elektronik.“

Was gibt es noch zu tun bis zur offi­zi­ellen (wei­teren) Jung­fern­fahrt? „Die Leistung des Kessels müssen wir noch ver­bessern,» gibt Kind­limann zu bedenken. Weiter werden zeitnah beide Zylinder wegen eines Pro­duk­ti­ons­fehlers ersetzt. Der Brenner muss noch abge­stimmt werden und die ganze Innen­ein­richtung (Möblierung, Vor­hänge, an denen bei meinem Besuch grad Jürg Meister enga­giert am Werk ist) bekommt ihren Finish. Dann ist der Maler ein wei­teres Mal will­kommen und die ganze BAV-Pen­den­zen­liste muss abge­tragen werden. „Die Aus­bildung des Fahr­per­sonals steht auch noch auf dem Pro­gramm,“ ergänzt Kindlimann.

Die Finan­zierung ist gesichert

Die Maschine ist vom Hauptdeck aus durch einen Glas­einsatz im Boden sichtbar. Dass keine Maschi­nen­lucke vor­handen ist hängt mit den engen Platz­ver­hält­nissen des 28 m langen und 5 m breiten Schiffes zusammen. Wir steigen hin­unter zum Herz­stück des Damp­fer­chens und ich bin erstaunt, wie kompakt und trans­parent die neue Maschine sich prä­sen­tiert (siehe auch Bild 5). Die neu kon­stru­ierte Heiss­dampf-Zwil­lings-Dampf­ma­schine in V‑Anordnung ist ein Pro­totyp der Win­ter­thurer Firma DLM von Roger Waller. Sie wird vom Steu­erhaus aus hydrau­lisch ange­steuert und elek­tro­nisch bedient. Roger Waller schreibt auf seiner Website: «Die Maschine ist mit Rol­len­lager aus­ge­rüstet und arbeitet ohne Kon­den­sation als soge­nannte Aus­puff­ma­schine ähnlich wie die Dampf­lo­ko­mo­tiven. Die V‑Anordnung der Dampf­zy­linder wurde gewählt, damit die Dampf­ma­schine ohne Deck­durch­bruch voll­ständig im Maschi­nenraum Platz findet. Die neue 2‑Zy­linder-Dampf­ma­schine hat einen Kol­ben­durch­messer von 200 mm und einen Hub von 300 mm. Die Leistung beträgt nominal 100 kW bei 240 U/​min. Auf dem Prüf­stand wurden zur Kon­trolle des Mas­sen­aus­gleichs Dreh­zahlen bis 310 U/​min gefahren.»

Das «Spie­zerli» wurde 1901 als Schrau­ben­dampfer erbaut. 1949 erfolgte ein grosser Umbau und im Winter 1951/52 musste die Dampf­ma­schine einem Die­sel­motor weichen. 2008 still­gelegt star­teten die Damp­fer­freunde des Thuner- und Bri­enz­ersees 2010 die Aktion «Rettet das ‘Spie­zerli’». Erste Kos­te­schät­zungen lauten auf 2,8 Mil­lionen Franken Aufwand. 2016 taucht die Idee auf, für zusätzlich zwei Mil­lionen eine Dampf­ma­schine ein­zu­bauen, was dann durch das gross­zügige Enga­gement von Marc Oes­terle, bekannt auch als Haupt­sponsor der Total­ren­no­vation DS Neu­châtel, sogar möglich wurde. Durch die ein­gangs erwähnten Gründe belaufen sich die Kosten für die Wie­der­in­be­trieb­nahme des Schiffes inzwi­schen auf rund sechs Mil­lionen Franken.

Andreas Kind­limann: «Wir ver­suchten, so viele lokale Firmen als möglich zu invol­vieren. Am Ende haben rund 45 Unter­nehmen dazu bei­getragen, das ‹Spie­zerli› zu restau­rieren. Für mich war es eine zusätz­liche Her­aus­for­derung, all die Arbeiten zu koor­di­nieren.» Die erfolg­reiche Finan­zierung des Pro­jektes Reva­po­ri­sierung war schliesslich auch dank der Betei­ligung der BLS möglich.

Ein Bild für das Geschichtsbuch: Erste Aus­fahrt des „Spie­zerlis“ vor einer tief ver­schneiten Kulisse von Einigen

Pro­jekt­leiter Andreas Kind­limann: „Als ich in der Aus­bildung auch das Modul über den Dampf­ma­schi­nenbau besuchen musste, dachte ich, das brauchst du nie.“ Es sollte anders kommen…

Volle Kraft zurück auf der Pro­be­fahrt; DS Spiez vor dem impo­santen Stockhorn…

… und an der gleichen Stelle, aber 115 Jahre früher! Die Auf­nahme trägt das Datum 1905.

Maschi­nen­bauer Roger Waller gelang ein kom­paktes und trans­pa­rentes Schmuck­stück. Die zwei Zylinder sind in V‑Form angeordnet.

Inter­essant ist auf dieser Post­karte (mit Stempel 1933) die Anordnung der Unterdeck-Fenster. Offenbar haben die ver­ant­wort­lichen Schiffs­bauer der jüngsten, aktu­ellen Bau­phase dies als Vorbild genommen, während das Erschei­nungsbild des Schiffes ab 1949 runde Bull­augen hatte (Bild 8).

Die Fens­ter­ein­teilung auf dem Hauptdeck ist von der jüngsten Bau­phase (vor 2008) übernommen.

Die „Spiez“ ist somit eines der Bei­spiele, bei dem die Bedürf­nisse der Zeit abzu­lesen sind. Nach dieser eben­falls gän­gigen Phi­lo­sophie einer sich wan­delnden Form­gebung war die Denk­mal­pflege des Kantons Bern über­fordert; sie sprachen keine Mittel frei. Hier der Bau­zu­stand um 1999.

Bilder Textteil: 1) Volle Kraft voraus: DS Spiez vor der Ländte Gwatt am 26. Januar 2021.

2) Eben­falls eine Post­karten-Idylle: DS Spiez ver­lässt Ober­hofen. Das Schiff passt vor­züglich zur land­schaft­lichen Sze­nerie des Berner Oberlandes.

3) Im vor­deren Schot­traum des 1901 erbauten Raumes gibt es Technik von 2021: links im Bild der Wär­me­tau­scher des Gene­rator-Kühl­wassers, mittig der Bord­strom­ge­ne­rator, rechts die Heckruderhydraulik.

4) In einem hin­teren Schot­traum befindet sich der neue Dreizug-Rauchrohr­kessel mit Über­hitzer von der Firma BBS in Freiberg am Neckar (16 bar, 420 °C, Was­ser­inhalt 2.3 m3, 1 Tonne Dampf pro Stunde, auto­ma­ti­scher Betrieb)

Durch Klick aufs Bild erscheint dieses im Grossformat.

Am Schluss des Blogs ist Ihr Kom­mentar willkommen.

Hin­weise

Die Dampf­er­zeitung und die Schiffs-Agentur planen für den Herbst 2021 eine gemeinsame Son­der­fahrt mit diversen Schiffen, so auch mit DS Spiez.

Impressum

Text H. Amstad

Bilder 1, 3, 7 und im Textteil 1 und 2 R. Horlacher

Bild 8 E. Mischler, Bilder 2, 5 und im Textteil 3, 4 sowie Sammlung 4 und 6 H. Amstad

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