Wiederinbetriebnahme des Genfersee-Raddampfers Rhône: sorgfältig und qualitativ top renoviert
Im Jahr seines 90. Geburtstages fährt der jüngste in der Schweiz gebaute Raddampfer am 18. September 2017 vorläufig zum letzten Mal. Ende Jahr läuft die Betriebsbewilligung des BAV aus. Für die CGN ist klar, dass – auch weil sie die Finanzen noch nicht zusammen hat für diese über 15 Millionen1 teure Sanierung – zuerst in aller Ruhe die Planungsphase angehen will. Dass dann aus dem Fahrunterbruch fünf Jahre werden, ist zu diesem Zeitpunkt nicht voraussehbar. Nach sorgfältiger Planung und Finanzbeschaffung legt man am 19. April 2019 mit den Arbeiten los, das Schiff kommt ins Trockendock in Lausanne-Ouchy.
Die CGN entscheidet sich, den Umbau nicht einem Generalunternehmer zu übergeben, sondern unter der Leitung ihres Werftdirektors Irwin Gafner die verschiedenen Lots diversen Unternehmen, die ihnen am die geeignetsten erschienen, europaweit zu vergeben. Dieses Vorgehen hat den Vorteil, auf Qualität und Nachhaltigkeit (im Sinne der Langlebigkeit) Prioritäten zu setzen, hat aber nicht mit Corona gerechnet. 2020 geht dann – mitten in den begonnenen Arbeiten – eine sechswöchige Schliessung der Werft einher. Anschliessend haben die Spezialisten aus Spanien (u.a. Lieferung Steuerhaus), Deutschland und Österreich (Lieferung Kessel und Kamin) grösste Mühen einzureisen oder ihre Einsätze werden durch lange Quarantänen-Vorschriften verzögert. Auch sind Lieferengpässe von Materialien zu verzeichnen, weil die europäischen Transportketten zum Teil nicht mehr funktioniert haben. Das Ziel, das Schiff im Frühling 2021 wieder in Fahrt zu bringen, wie die gleichzeitig umgebaute „Stadt Luzern“ auf dem Vierwaldstättersee, scheitert.
Nun ist es so weit: Probefahrten im Dezember 2021, Nacharbeiten im Januar 2022 und dann am 15. Februar die feierliche Übergabe an die Öffentlichkeit durch Bundestat Alain Berset. Die „Feuertaufe“ des Raddampfers geschieht einige Tage vorher mit einer Fahrt mit den beteiligten Firmen und einer mit den CGN-Angestellten. Kurzgehaltene und abwechslungsreiche Festredner aus Politik und Betrieb, umrahmt durch ein klassisches Violinen- und Klavierduo, passt in den Rahmen des nobel aufgefrischten 1.-Klass-Salon des Raddampfers. Für den Verwaltungsratspräsident der CGN-Gruppe Benoît Gaillard ist bei der Renovation die Annäherung an den Ursprungszustand das Ziel gewesen: «Sogar die Bugfigur ist wieder hergestellt worden; der Männerkopf, der eine Allegorie auf den Gott der Rhône darstellt, ist im Jahr 1928 nach wenigen Betriebsmonaten bei einer Kollision weggebrochen und nachher nicht ersetzt worden.»
Winterdampf bald auch auf dem Genfersee
Der Direktor der CGN, Andreas Bergmann, gibt sich in seiner Rede zuversichtlich, dass die CGN mit DS Rhône von der Ausrichtung auf die Hochsaison wegkommen und alle vier Jahreszeiten nutzen möchte. Bergmann: «Die ganze Infrastruktur haben wir auf einen Ganzjahresbetrieb ausgerichtet, Wärmeisolationen verstärkt und eine neue Heizungsanlage eingebaut.». Gegenüber der Schiffs-Agentur präzisiert er: «Wir überlegen uns, den Winterdampf Genfersee in die Zeit des Weihnachtsmarktes von Montreux zu legen, um neue Märkte zu erschliessen und die bestehenden Angebote in Thun und Luzern zu ergänzen.» Maurice Decoppet, Präsident der ABVL und Verwaltungsratspräsident der Division CGN Belle Epoque SA, dankt allen Beteiligten und insbesondere den Geldgebern, wobei er selber – als Höflichkeit in Person – verschweigt, das seine Genfersee-Dampferfreunde ebenfalls stolze 2,7 Millionen beigetragen haben und er durch sein ausgezeichnetes Networking wesentlich dazu beigetragen hat, dass die Finanzierung erfolgreich verlaufen ist.
Irwin Gafner, der technischer Direktor der CGN, unterstreicht die Kooperation mit der Denkmalpflege und den ABVL-Spezialisten Nicolas Dupasquier und Didier Zuchuat. Die Maschine ist mit Unterstützung von Markus Grafs Team vorbildlich auf Vordermann gebracht worden. Der 1. Klasse-Salon hat mit der Rekonstruktion des Eingangs in der Längsachse seine ursprüngliche Raumstruktur zurückerhalten. Die ebenfalls wieder erstellten Rauchkabinen auf dem Oberdeck sind gelungene Elemente der Rekonstruktion. Ohne Kompromisse an erhöhte Sicherheitsstandards geht es aber auch in diesem Projekt nicht. Das neue Steuerhaus entspricht dem Vorbild der «Vevey» und «Italie»: Die Frontscheibe ist grösser als die anderen Fensterscheiben und das neue Steuerhaus ist höher als das ursprünglich, sodass es den Kamin stärker konkurrenziert und besonders auf dem Oberdeck den Blick auf dieses nun verdeckt.
Der Walliser Staatsrat Franz Ruppen ruft in Erinnerung, dass der Fluss Rhône die Verbindung zwischen dem Obergoms und dem Mittelmeer herstelle und das Schiff deshalb eine besondere Symbolik hat. Der Genfer Staatsrat Serge Dal Busco gratuliert zur Renovation und bekennt sich zu den Attraktionen in Form der der einmaligen Schiffe der CGN und der grossartigen Landschaft am Lac Léman. Staatsrätin Nuria Gorrite, Präsidentin des Waadtländer Staatsrats, meint, die «Rhône» und die Genfersee-Flotte sei ein Symbol für einen gemeinsamen Raum: «Die CGN dient dem Service public.» Bundesrat Alain Berset bleibt es vorbehalten, sein Wissen über die Genfersee-Schifffahrt zum Besten zu geben und er stellt fest, dass die grösste Dampfschiff-Flotte der Welt sich zwar in Dresden befinde, die schönste Radschiff-Flotte der Welt aber auf dem Genfersee. Euphorisch ruft der Sozialdemokrat am Schluss seiner Rede zur Festgemeinde: «Vive le ‘Rhône’! Vive la Suisse!»
Ein Rundgang durchs Schiff
Sämtliche CGN-Radschiffe hat das Haus Sulzer in Winterthur erstellt. Das bringt für uns Fahrgäste und Schiffsfreunde Vor- und Nachteile. Zum einen erscheint die stolze Achterflotte in einem unverkennbaren Erscheinungsbild und sorgen so rein optisch für ein starkes USP (Alleinstellungsmerkmal). Zum andern aber kommt eine Verwechselbarkeit der Schiffs-Individualität auf und die unterschiedlichen Charakteristika der Radschiffe ist erst auf den zweiten Blick erkennbar. Das Anliegen, die Renovationen der Radschiffe auf dem Genfersee nicht eintönig werden zu lassen, ist bei der „Rhône“ spannend umgesetzt. So bekommt das Schiff auf dem Oberdeck achtern und auf dem Vordeck der 2. Klasse ein Sonnenzelt aus einer semipermeablen Membran. Der Architekt Nicolas Dupasquiet: „Damit verhindern wir, dass sich dieser Aussenraum dunkel anfühlt. Es gibt eine gewünschte Schattierung, aber das Licht dringt trotzdem durch.“
Weiter ergibt sich durch ein wieder eingebautes Oberlicht einen Durchblick vom Oberdeck auf die Maschine wie bei der “Lötschberg“ und „Blümlisalp“ und erhellt so den bislang dunklen Einstiegsbereich auf dem Hauptdeck. Die Raumarchitektur des vorderen Oberdecks erhält durch die erwähnten zwei Rauchersalons eine neue Ausrichtung, die nun ganz charakteristisch werden für die „Rhône“. Nebst den zwei Sonnensegeln – sie werden wegen Lieferschwierigkeiten erst im Mai montiert – und dem neuen Steuerhaus sorgt der nun wieder auf 8,40 m verlängerte Kamin für ein äusseres Unterscheidungsmerkmal gegenüber der letzten grossen Renovation von 1969. Ausserdem haben die zwei bisherigen grossen Fenster hinter dem hinteren Einstieg eine Teilung wie im Jahr 1927 erfahren.
Kinderkrankheiten sind wenige auszumachen. Auffällig auf den Winterdampffahrten ist der Ausfall des Bugstrahlruders, den ich aber als Fahrgast nicht vermisse. Dieses Hilfsmittel verleitet zu unnötigen Spielereien, so erlebt, als ein Radschiff mitten auf dem See das Wendemanöver mit dem Bugstrahler ausführte. Trotz heftiger Bise – selbst im Genfer Rade waren am 26. Februar Schaumkronen auszumachen – gelingen alle Anlegemanöver der „Rhône“ trotz dem Ausfall einwandfrei. Das zweite Irritierende ist der Lärmpegel, der aus der Maschinenluke aufs Deck dringt. Während die Maschine nach der Renovation ruhiger läuft (aber immer noch das typische Rumpeln wie bei der „Stadt Luzern“ hat) stört ein lautes Pumpengeräusch die Dampfschiff-Idylle. Ich nehme an, dass dieses „Mixergeräusch“ noch behoben wird.
Motorschiffe ersetzten Dampfer, Dampfer ersetzen nun Motorschiffe
Nun stehen noch zwei weitere Herkules-Aufgaben der ABVL und CGN bevor: die Totalsanierung der „Simplon“ und der “Helvétie“. Maurice Decoppet dazu: „Die Zeit, während die beiden Naviexpress-Schiffe gebaut werden und die Werft blockieren, nutzen wir, das weitere Vorgehen wohlüberlegt aufzugleisen. Es ist im Moment noch offen, ob anschliessend zuerst die ‚Helvétie‘ oder die ‚Simplon‘ renoviert wird und ebenfalls offen ist, ob die Erstere dereinst unter Dampf oder alternativ unterwegs sein wird. Sicher ist nur, dass Bedarfs- und Marktanalysen notwendig sind, die nächsten 35 Millionen zu investieren.“ Dazu ist zu ergänzen, dass an der „Simplon“ schon viele Elemente als renoviert gelten und anderseits an der „Helvétie“ wegen einer komplett neuen Antriebsanlage die Kosten deutlich höher liegen werden als bei der „Simplon“.
Den beiden Gross-Radschiffen kommt nun zugute, dass die zwei Dieselmotorschiffe Henry Dunant und Général Guisan ans Ende ihres Lebens angekommen sind. Teure Sanierungsarbeiten würden ab 2024 anstehen, sodass es nicht unmöglich erscheint, dass zu mindestens eines der beiden 60-jährigen Bodanschiffe durch die “Helvétie“ ersetzt wird. Ironie des Schicksals: diese beiden Motorschiffe haben in den Sechzigerjahren die Raddampfer Valais (1913 – 1962), Général Dufour (1905 – 1967) und Major-Davel (1892 – 1968) verdrängt.
Toll sieht sie aus, die „Rhône“, hier im Abendlicht am Quai du Montblanc in Genf am 26. Februar 2022.
Auf den fünf sehr gut besuchten Rundfahrten begleiteten im Stil der Zwanzigerjahre gekleidete Kundenbetreuerinnen und Kundenbetreuer, hier zusammen mit dem Kapitän David Vuarnet.
Ein ebenfalls seltenes Zeitdokument: DS Rhône übernachtet am 26. Februar 2022 an der Seitenländte im Walliser Ort Le Bouveret nach einer vierstündigen Translémanique-Fahrt vom Genfer Ausfluss der Rhône bis zur Einmündung am oberen Ende des Sees.
CGN-Chefmaschinist Markus Graf hat ein feines Gehör für seine „Rhone“-Maschine. Als „Stethoskop“ benützt er einen Schraubenzieher. Graf: „Damit kann ich ein verstecktes, allfälliges Klopfen der Maschine frühzeitig erkennen.“
Der 1.-Klass-Salon lädt zum Verweilen ein, stärker als je zuvor.
Der Vizepräsident des Bundesrates und Gesundheitsminister Alain Berset gratuliert mit seiner wertschätzenden Anwesenheit der CGN für die gelungene Renovation.
Grosse Fenster geben den Blick frei auf die imposante Technik der exzentrisch funktionierenden Schaufelräder. VR-Präsident Benoît Gaillard dazu: „Wir wollten kein Museum schaffen, sondern Erlebnisse ermöglichen.»
Die oberste „Kapitänin“ der Schweizer Schifffahrt, Sektionschefin Barbla Etter, übergibt am Rande der politischen Aufregung am Eröffnungstag CGN-Direktor Andreas Bergmann und Kapitän Alex Beauval den Schiffsausweis – ein weiterer Schlüssel-Moment an diesem 15. Februar 2022.
Bilder im Textteil: Ein grosses Medienecho an der Eröffnungsfahrt der „Rhône“ und der letzte Tag der Maskenpflicht – Bundesrat Berset verkündete tags danach die Corona-Lockerungen.
Die „Rhône“ steht in Genf bereit für eine Fahrt, die es über Jahrzehnte nicht mehr gegeben hat: nach vier Stunden wird das Schiff das andere Ende des Genfersees erreichen: Le Bouveret.
Ein ausgeklügelte Farbkonzept sucht den Ausgleich zwischen historischer Überlieferung (wie die Bug- und Heckpartie) und aktuellem CD-Konzept der CGN (wie der Ockerkamin).
Das wieder erstellte Oberlicht zwischen dem Kamin und dem Rauchsalon macht den Bereich um die Maschine grosszügig, licht- und leichtsam.
Vier solcher Rettungsinseln zu je 151 Personen werden für die „Rhône“ in Kapseln eingepackt und vor und hinter dem „historischen“ Rettungsboot auf den beiden Radkästen stationiert, was nicht alle Dampferfreunde optisch zu begeistern vermag.
Durch Klick aufs Bild erscheint dieses im Grossformat.
Hinweise
1) Der Gesamtaufwand beläuft sich auf insgesamt 15,843 Mio. Franken. Die Kosten werden wie folgt gedeckt: Anteil Waadt: 6,8 Mio., Anteil Genf: 3,7 Mio., Anteil Wallis: 0,9 Mio., Beitrag der ABVL: 2,7 Mio. und der Beitrag vom Bundesamt für Kultur: 1,7 Mio. Franken.
2) Beat Zumstein hat sich beim Chefmaschinisten Markus Graf unterhalten und fasst zusammen: „Zu den Spezialitäten dieser Maschine gehören neben der hydraulischen Ventilsteuerung und der automatischen Schmierung auch der Aufbau des Maschinengestells, das mehrfach auf Kugeln auf dem Fundament gelagert ist. Diese bewegliche Lagerung verhindert das «Zwängen» oder Reiben bei Formänderungen im Betrieb, was eine geringe oder kaum vorhandene Abnützung etwa an den Gleitbahnen oder den Wellenlagern ergibt. Im Vergleich zu den klassisch aufgebauten Maschinen mit mechanischer Steuerung waren die Revision und der Zusammenbau dieser Maschine sehr anspruchsvoll, so dass die Maschine inzwischen den Namen ‘Emil’ trägt in Erinnerung an den Maschineningenieur Emil Scheitlin, der diese Maschine bei Sulzer konstruiert hat.»
3) Der neue Kessel wurde von Astebo (Österreich) geliefert. Zumstein rechechierte: «Nach den beiden ursprünglichen Kesseln aus dem Jahr 1927 und den beiden ab 1969 in Betrieb gewesenen Kesseln handelt es sich um die dritte Kesselanlage. Er ist als Dreizugkessel gebaut und verfügt über zwei Flammrohre. Jedes Flammrohr wurde mit einem Brenner versehen, der im Sinne der Redundanz einzeln bzw. unabhängig vom anderen Brenner betrieben werden kann. Die beiden gleichen Kesselschilder enthalten unter anderem diese Angaben: Berechnungsdruck: bar 16.0, Prüfdruck/Datum: bar 33.6 / März 2020, Wärmeleistung max.: kW 368, Temperatur max.: °C 385, Volumen: l 160
Die beiden Dieselgeneratoren, die in Boxen schalldicht eingekapselt sind, befinden sich im Schottraum hinter der Kesselanlage (Leistung je 120 kVA).»
Weiter im Text
Techn. Angaben: DS Rhône 1927, Tragkraft 590 Pers. bzw. 44,3 t, L ü a 65,50 m, B ü a 14,30 m, B auf Spant 7,20 m, Deckfläche 806,0 m2, P 625 kW, Drehzahl: 53 n/min, Besatzung Kursfahrt: 6, Sonderfahrt: 5 (mit zulässiger Fahrgastzahl: 268)
Impressum
Text und Bilder H. Amstad
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