Transformation auf dem Zuger- und Walensee: von der „Schwyz“ zur „Swisspearl“
Der Walensee hat ein neues Flaggschiff: Am 10. März 2024 taufte die St. Galler Regierungsrätin Susanne Hartmann das ehemalige Zugersee Schiff „Schwyz“ auf den Namen „Swisspearl“. Sie löste mit der Bekanntgabe des Namens ein Gemurmel unter den gegen 1000 anwesenden Taufgästen aus. Daniel Grünenfelder, CEO der Walensee Schifffahrt, reagierte postwendend und spielte auf die Transformation von „Schwyz“ zu „Swiss“ an und meinte, dass das neue Schiff für den Walensee eine Perle sei. Diese Interpretation entspricht aber nur der halben Wahrheit: „Swisspearl“ ist der Name einer Glarner Firma, die sich den Schiffsnamen etwas kosten liess. In der übrigen Schweiz war die Firma bekannt unter dem Label Eternit. Nach der Fusion mit der dänischen Firma Cembrit heisst sie seit einem Jahr nun „Swisspearl“ und produziert nach wie vor Fassaden und Dächer.
Eine Transformation ist ein Prozess der Veränderung in Unternehmen. Das Wort steht auch für einen grundlegenden Wandel. Dies trifft sowohl auf den Zugersee zu, der innert kürzester Zeit drei Schiffe1 weniger zählt, wie auch auf den Walensee, wo mit der baldigen Inbetriebnahme eines weiteren Schiffes die Vorwärtsstrategie unterstrichen wird: Demnächst soll hier das erste Wasserstoff-Schiff der Schweiz in Betrieb genommen werden. Doch dazu später. Die Zuger andererseits peilen neue Ideen für ihre Schifffahrt an und verkauften ihre „Schwyz“, um Ressourcen freizumachen.
Nach dem ausgiebigen Taufakt in der Werft von Unterterzen zeigte sich die Neuanschaffung auf dem Wasser den fünf Schwestern von ihrer besten Seite: Die Sternformation wurde vom Föhn zwar etwas zerzaust, aber die diversen Formationsfahrten gelangen bestens. Besonders sympathisch kam dabei die Idee an, die Schiffs-Choreografie in Unterterzen vor den Augen jener Zuschauer und Zuschauerinnen zu zeigen, die auf den sechs Schiffen keinen Platz mehr gefunden hatten. Der Publikumsaufmarsch war beeindruckend.
An Bord der „Swisspearl“ spürte man eine gewisse Aufbruchstimmung. Verwaltungsratspräsident Dieter von Ziegler holte sich vor zwei Jahren zwei neue Partner an Bord2, während andere Mitinhaber wie Reinhard Menzi, Willy Walser, Franz Liebermann und Georg Wiederkehr sich vom „Abenteuer Walensee“ verabschiedeten. Das neue Trio betonte an Bord der „Swisspearl“ ihre Überzeugung, dass die Schifffahrt auf dem fjordähnlichen Voralpensee eine prosperierende Zukunft habe. Im Hinblick auf die gesamtschweizerische Positionierung der Tourismusregion Walensee meinte der Geschäftsführer Dani Grünenfelder: „Zuerst müssen wir investieren, dann kommen die Leute und nicht umgekehrt“. Dieter von Ziegler: „Mit der heutigen Schiffstaufe ist der früher wegen den Staus auf der Walenseestrasse berüchtigte ‘Qualensee’ zum ‘Strahlensee’ geworden.»
Gemäss Nationalrat Nicolo Paganini, Präsident des Schweizer Tourismusverbandes, wird das neue Schiff zu einem Teil des Wertschöpfungssystems im Schweizer Tourismus. Bestens funktionierende Wertschöpfungsketten seien entscheidend. Nur so vermögen sie einheimische und auswärtige Gäste zu begeistern. Themen wie Tarifstrukturen, Abgeltungen für den wichtigen Querverkehr oder die Anerkennung beliebter Schweizer Abonnements blieben dabei thematisch aussen vor, dürften aber (wieder) auf die Agenda kommen, wenn der Fokus weiterhin auf den Kundennutzen liegen sollte.
Erweiterter Fahrplan im Querverkehr
Ständerat und VR-Präsident der Südostbahn (SOB), Benedikt Würth, legte in seinen Grussworten den Fokus auf die verstärkte Anbindung der Schifffahrt an den ÖV. Dies komme im künftigen Schnellzugshalt des IR 35 der Linie Aare-Linth in Unterterzen deutlich zum Ausdruck (ohne Umsteigen von Bern, Olten und Zürich). Unterterzen wird so zum Drehpunkt zwischen Bahn, Bus, Schifffahrt und Luftseilbahn Flumserberg. Diesen wichtige „Steilpass“ nimmt die Walensee Schifffahrt auf, indem ab dem Dezember-Fahrplanwechsel der Fahrplan ausgebaut und die Sonnenstube Quinten sowohl mit Murg wie auch mit Unterterzen verbinden wird. Grünenfelder: „Dies wird in Form einer U‑Verbindung stattfinden, indem das Pendlerschiff von Murg nach Quinten, dann nach Quinten-Au und nach Unterterzen fährt. Anschliessend fährt es den gleichen Weg zurück und wird so zum einen die Fahrgäste ab dem IR35 aufnehmen, zum andern in Murg die Anschlüsse an die S2 garantieren.“
Der Entscheid, das Fest am Morgen stattfinden zu lassen, wo der Föhn noch einige Löcher in den tristen Himmel riss, erwies sich als Glücksfall. Bei der Ankunft der “Swisspearl“ gab dann der Föhn auf und der einbrechende Wester verlangte vom Kapitän und Betriebsleiter Markus Scherer sein ganzes Können ab, um bei solch wechselnden (und starken) Winden die Ehrengäste sicher in den Hafen zu fahren. Eine Stunde später regnete es wie aus Kübeln.
Spektakuläre Schiffstransporte
Betrachtet man die letzten neun Schiffe, die auf dem Walensee fuhren – sie repräsentieren die Neuzeit der Walensee-Schifffahrt –, sagt dies einiges aus über die DNA des Betriebes: Zwei Neubauten sind in der (aus heutiger Sicht exotischen) Schiffswerft Streiff, zuhinterst in Schwanden im Glarnerland, entstanden (MS Churfirsten 1976 und MS Quinten 1987). Zwei Neubauten stammten von der vormaligen Schiffsbetrieb-Eignerfamilie Othmar Walser (MB Murg 1974 und MB Linth III 1978). Fünf Schiffe fanden den Weg in die Ostschweiz als Occasionseinheiten, wobei zwei davon vom Zugersee (MS Alvier, ex-Dornröschen Baujahr 1909 und MS Swisspearl, ex-Schwyz II, 1997) und zwei vom Bodensee (die heutige „Seestern“ und „Walenstadt“, 1980, resp. 1982 erbaut). Schliesslich fuhr die „Riva“ III vor dem Walensee als MS Campione d’Italia3 auf dem Luganersee.
Diese ausführliche Erklärung soll aufzeigen, dass Schiffstransporte hier Tradition haben und zur Spezialität des Walensee gehören. Zur Unternehmensphilosophie gehört auch, dass dabei die Schiffe auf ihren Transfers nicht wie üblich in Sektionen zerlegt werden, sondern das Schiff mehr oder weniger als Ganzes auf die Strasse gelangt. Man nimmt höhere Transportkosten in Kauf, erspart sich damit aber Kosten vor Ort und sichert so einen schnellen Einsatz des „Kapitals“. Alle diese fünf Schiffstransporte waren medienwirksam, z.B. kam die „Campione d’Italia“ durch den San Bernardino-Tunnel via Thusis und Chur zum Walensee.
Spektakulär war auch die Schweizer Reise des neuen Flaggschiffes Swisspearl von Zug nach Weesen. Vom 23. bis 26. Oktober 2023 führte der Weg in einem Zeitraum von vier Tagen vom Zuger- über den Zürichsee bis hin zum Walensee, dazwischen auf der Strasse. Dabei musste der Konvoi auf Überlandstrassen wie Kantons- oder Gemeindestrassen ausweichen, weil der Transportkonvoi auf der Autobahn weder Brücken noch Unterführungen passieren konnte: Trotz vorgängigem Rückbau von Oberdeck und Steuerhaus war die wertvolle Ladung mit rund sechs Metern zu hoch für die Autobahn. Ein paar Bilder erinnern an dieses Ereignis.
Klappt es? Erstes Wasserstoffschiff der Schweiz
Im autofreien Dorf Quinten leben heute rund 40 Menschen, dazu kommen 30 Ferienhäuser, die temporär bewohnt werden. Im Sommerhalbjahr zählt der Fremdenort rund 200 000 Tagesgäste, um die sich die Schifffahrt Walensee mit ihren Angeboten kümmert. Damit die Einwohnerzahl von Quinten nicht weiter sinkt, gründete Hanspeter Stüssy 2017 die Stiftung „Quinten lebt“ und setzte Joel Schmid als Stiftungspräsidenten ein. Zahlreiche Impulsprogramme (wie z.B. die schweizweit bekannt gewordene Maulbeerplantage für die Seidenraupenaufzucht) sind inzwischen umgesetzt worden. Analysen zeigten, dass die Verkehrsanbindung ein wesentlicher Faktor ist, ob jemand in Quinten bleibt oder gar hierherzieht. Das Pendlerschiff fährt zwar ganzjährig, auf Bestellung bereits ab 06:35 (und bis 21:00 im Winter), doch dies meist nur im Stundentakt. So entstand die Idee, ein Taxiboot zu bauen.
Die Mitglieder der Stiftung erinnern sich, dass vor mehr als 125 Jahren auf dem Walensee mit der „Electra“ (1895) das erste elektrobetriebe Schiff der Schweiz fuhr. So reifte das Projekt für eine weitere nautische Pioniertat. Zusammen mit der Shiptec Luzern soll nun das erste kommerziell eingesetzte Schiff auf Schweizer Gewässern mit einem Brennstoffzellen-Antrieb gebaut werden. Joel Schmid: „Der H2-Shuttle ist ein spannender Beitrag für eine klimaneutrale Mobilität. Bei diesem Projekt wird die Bedeutung von sauberer Luft, sauberem Wasser, Ruhe und einer intakten Vegetation der Region für künftige Generationen in den Fokus gesetzt.» Der Katamaran fasst 12 Personen, um ihn auch mit einem Schiffsführer der Kat A steuern zu können und wird, soll es nach den Initianten gehen, nach Bedarf abrufbar sein. Damit wäre es möglich, zusammen mit der IR35-Anbindung, am Abend Kulturanlässe in Zürich zu besuchen, was heute für die Bewohner von Quinten nicht möglich ist. Vereinbart ist, das Schiff nach Fertigstellung dem Schiffsbetrieb Walensee zu übergeben.
Die kommerzielle Bereitstellung von Wasserstoff für nautische Anwendungen steckt in der Schweiz noch in den Anfängen. Hier kommt dem Projekt „H2-Shuttle am Walensee“ eine Pionierrolle zu. Zusammen mit der Murg Flums Energie arbeiten die Projektträger an Lösungen für die lokale Bereitstellung von Wasserstoff. Gemeinsam mit der Empa soll ein Leitfaden für den Bau von H2-Tankstellen für Boote erarbeitet werden. Wenn man bedenkt, welchen Weg der Diesel der übrigen Walenseeflotte zurücklegen muss, bis er in den Motoren verbrannt wird, fällt die Ökobilanz trotz der aufwändigen H2-Produktion sehr gut aus.
Die Firma Shiptec aus Luzern wurde beauftragt, das Engineering für das Schiff zu erstellen. Schmid: «Wir haben 70 Prozent der benötigten Million zusammen und ich hoffe, noch in diesem Jahr mit dem Bau des Bootes beginnen zu können.“ Somit wird auf dem Walensee ein ganzheitlicher Ansatz von der Produktion über die Betankung bis zum Betrieb eines wasserstoffbetriebenen Bootes in die Praxis umgesetzt, erstmalig in der Schweiz.
Die Zugersee-«Schwyz» steht im improvisierten Landesteg an der Slipanalge in Unterterzen bereit für den Taufakt. Die für das Schiff vorgesehene Box ist noch im Bau. Dazu musste die Schifffahrt Walensee einen ökologischen Ausgleich anbieten: Im Walensee versenkte Tannenbäume sollen dereinst Laichplätze für Fische bieten.
Gruppenbild mit Dame und Schiff: Stefan Maurhofer (VR und Inh.), Dieter von Ziegler (VR-Präsident und Inh.), Susanne Hartmann (Regierungsrätin SG), Andrea Bettiga (Regierungsrat GL), Daniel Grünenfelder (Geschäftsführer und Inh.), Markus Scherer (Betriebsleiter und Chefkapitän)
Die soeben getaufte «Swisspearl» vor den schroffen Felswänden des Walensee-Nordufers, neu für 260 Personen zugelassen.
Die fünf Schwestern im Gänsemarsch: MS Quinten, MS Churfirsten, MS Seestern, MS Walenstadt, MS Alvier an der Flottenparade
Blick zurück auf den 23. Oktober 2023, wo das Schiff in Zug den Kolinplatz mit dem Zuger Wahrzeichen des Zytturmes passiert.
Eine der grössten Herausforderungen im viertätigen Prozess des Transportes war das Passieren der Fadenstrasse in Zug, wo es, wie bereits schon 1997, auf den Zentimeter ankam. Die viel breitere Ägeristrasse (links im Bild) konnte wegen dem Nadelöhr beim oberen Kolinplatz nicht benutzt werden.
So macht das Schiff Bekanntschaft mit einem weiteren Gewässer: War es auf dem Hin-Transport nach Zug der Bodensee, der dem Schiff als schwimmende Strasse diente (Kressbronn – Güttingen), war es auf dem Weg-Transport der Zürichsee, auf dem das Schiff durch die Seerettung Zürichsee geschleppt wurde. Mithilfe eines 500-Tonnen- und eines 650-Tonnen-Krans wurde das MS Schwyz dazu im Hafen von Horgen eingewassert und mit denselben beiden Kranen in Nuolen bei Wangen (Schwyz) wieder ausgewassert.
Ob es der römische Neptun oder der griechische Poseidon war, entzieht sich meiner Kenntnis. Thomas Weiss begleitete den schwierigen Transport und offenbar brachte er dem Vorhaben Glück: «Eines der anspruchsvollsten Transportprojekte des vergangenen Jahrhunderts in der Ostschweiz» (Zitat Andi Grünenfelder) verlief ohne Zwischenfälle.
Bilder im Textteil: Eine fast unüberblickbare Menschenmenge verfolgte den Taufakt der «Swisspearl» / Showdown vor Unterterzen / Begegnung der zwei grössten Schiffe der Flotte: MS Swisspearl begrüsst MS Quinten. / Visualisierung des 7. Schiffes, das von der Walensee Schifffahrt betrieben werden soll.
Durch Klick aufs Bild erscheint dieses im Grossformat.
Hinweise
1) Innert 12 Monaten verschwanden der Personennauen Winkelried (auf den Schrottplatz), das Lagerschiff Yellow (Ex-Schwyz I, neu auf dem Bielersee) und MS Schwyz II („Swisspearl“).
2) Aus Büchern von Guido Städler kann man entnehmen, dass die Walensee Schifffahrt AG seit 2004 besteht. Damals hiessen die Inhaber: Dieter von Ziegler (Präsident), Reinhard Menzi (GF und Delegierter des VR), Franz Liebermann, Willy Walser und Dr. Georg Wiederkehr. («175 Jahre Dampf- und Motorschifffahrt auf dem Walensee 1837−2012» Seite 137). 2021 kam Daniel Grünenfelder in den VR als GF und Delegierter, ebenso Stefan Maurhofer. («Walensee-Schifffahrt/Linth-Schifffahrt 2012 – 2022 + Neuerungen und Visionen» Seite 20). Reinhard Menzi, Willy Walser, Franz Liebermann und Georg Wiederkehr schieden 2021 aus.
3) Im Jahr 1938 baute die Schifffahrt auf dem Luganersee drei Motorschiffe für 110 Personen, die als Freccia Bianca I, II und III bezeichnet werden. Die drei Schiffe mit einem offenen Deck, einem Schiebedach und versenkbaren Plastik-Fenstern sind bauartgleich. Die «Freccia Bianca II» erhält 1982 den Namen Campione d’Italia und bekommt einen festen Aufbau. Sie wird 1994 an den Walensee verkauft und erneut umgebaut.
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Weitere Informationen zum H2-Shuttle-Schiff (Link)
Impressum
Bild 3 und im Textteil 3 E. Mischler, Bilder 5 bis 8 Rosa Zimmermann/Ariane Totzke, Bild Textteil 4 Stiftung Quinten lebt
Text und übrige Bilder H. Amstad (Dank an Guido Städler fürs Arrangement Bild 2)
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Sehr interessante Reportage mit schönen Fotos, herzlichen Dank!
Noch eine Frage: Was ist mit der «Riva» III passiert, wurde diese abgebrochen und existieren Bilder von diesem Schiff im Zustand auf dem Walensee?
Das Gastspiel der «Riva» III zwischen Luganersee und Holland war am Walensee äusserst kurz. Nach dem Eintreffen des Schiffes am 28. Dezember 1994 begann man in Unterterzen mit den Renovationsarbeiten, die jedoch aus finnziellen Gründen nicht beendet wurden. Die Schale kam 1995 nach Holland, wo mir weitere Spuren unbekannt sind. Bilder existieren: im Buch von Guido Städler «Walensee-Schifffahrt Linth-Schifffahrt» (Band 1837 – 2012) sind S. 153 solche veröffentlicht.