Unterwegs auf Flüssen: das Kreuzfahrten-ABC (3. Teil)
Ein Handbuch als „Gebrauchsanweisung“ für Gäste einer Flusskreuzfahrt
Flusskreuzfahrten-Ferien erfreuen sich wachsender Beliebtheit und die Nachfrage ist ungebrochen. Dabei trägt fast jedes dritte Kabinenschiff auf Europas Flüssen die Schweizer Flagge am Heck. Konkret sind das rund 300 Schiffe mit einer Kapazität von 40 000 Betten, die Mitglieder der Schweizerischen Vereinigung für Schifffahrt und Hafenwirtschaft SVS sind. Diese heissen jährlich 300 000 Gäste an Bord willkommen, 120 000 davon frequentieren Basel (Stand 2019). Die Branche beschäftigt allein unter Schweizer Arbeitsrecht 9 000 Personen, wovon 6 800 im Bereich Hotellerie, 1 800 in der Nautik und rund 400 im administrativen Bereich. Damit ein Schiff in der Schweiz immatrikuliert werden kann, muss die Reederei ihren Sitz in der Schweiz haben. Die hier gezeigten Bilder einer Fahrt mit der „Excellence Pearl“ von Saarbrücken ins französische Nancy, fotografiert zwischen dem 5. und 12. September 2020, illustrieren den 3. Teil des Kreuzfahrten-ABC, (Text Stand 2024).
Q Quantensprung – Geschichte
Der Anfang der klassischen Flusskreuzfahrer begann auf dem Nil mit Thomas Cook. Zuvor gab auf den grossen Strömen Russlands viele Raddampfer, wo für Einheimische und Einzelgäste Übernachtungsmöglichkeiten zum Standard gehörten, ähnlich war es auf dem Mississippi. Auf dem Rhein und der Donau gab es seit dem Start der Dampfschifffahrt vor 200 Jahren Linienfahrten; Kreuzfahrten (zum Vergnügen) aber begannen erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Unter den Pionieren in Europa waren die Holländer. Sie bauten Frachtschiffe um und setzten Kabinen darauf. Ein berühmtes solches Pionierschiff war die „Basilea“ der schweizerischen Reederei AG in Basel und legendär die „Ursula“ (1960 als Schwabenland, 1962 Ursula, ab 1992 Rhine Princess). Ebenfalls um 1960 kamen dann die grossen Schiffe mit den Ländernamen der KD, auf der Donau waren es die DDSG, Reedereien aus Bulgarien und Rumänien, bevor Lüftner und Deilmann zur ersten Popularität der Flusskreuzfahrtschifffahrt beitrugen.
R Routen- und Leistungsänderungen
Flussreisen sind und bleiben von der Natur abhängig. Zu viel Regen kann innerhalb weniger Stunden zu Hochwasser führen, trockene Perioden zu Niedrigwasser. Ausserdem kann es bei Schleusen- und Brückendurchfahrten zu Verzögerungen kommen. Dies alles kann – auch kurzfristig – zu Änderungen im Routenverlauf führen. Im Extremfall ist Ihr Schiff sogar blockiert und das Reiseprogramm muss per Bus weitergeführt werden. Bestimmte Programmpunkte können dann möglicherweise nicht wie geplant durchgeführt werden. Stellen Sie sich mental auf solche Veränderungen ein; solche äusseren Umstände sind kein Grund zur Reklamation. Meine Erfahrung zeigt, dass Reedereien stets bemüht sind, bis an die Grenze der Sicherheitsrisiken zu gehen – aber nicht darüber hinaus.
S Schiffsanlegestellen
Im Gegensatz zu den Kreuzfahrten auf den Meeren, wo für die grossen Kreuzfahrtschiffe die Häfen vermehrt aus den Zentren der Städte in ausserhalb gelegene Terminals verlegt werden (Beispiel Venedig), befinden sich die Schiffsanlegestellen der Flusskreuzer meist an zentralen Stellen, manchmal sogar an bester Lage. In vier von fünf Fällen sind die Zentren in Gehdistanz zu erreichen. Fragen Sie nach einem Bord-Velo, wenn Sie individuell die Gegend erkunden möchten, was sehr zu empfehlen ist.
Bei beliebten Destinationen (wie Koblenz, Wien, Amsterdam und anderen) kann es vorkommen, dass die Schiffe im „Päckchen“ festmachen: es liegen dann mehrere Schiffe längsseits nebeneinander und die Sicht aus dem Kabinenfenster ist verdeckt. Der Landgang führt dann über oder durch andere Schiffe. Erschrecken Sie nicht: Es kann vorkommen, dass während Ihres Landganges die Schiffe verstellt werden, weil unterdessen ein „Zwischenschiff“ den Ort verlassen oder ein anderes neu angelegt hat. Der Anlegelatz kann dann in unmittelbarer Nähe sein.
S Schweizer Flagge
Die Schweiz spielt im europäischen Flusskreuzfahrtengeschäft eine wichtige Rolle. Dies hängt zusammen mit dem liberalen Arbeitsrecht und der verhältnismässig geringen Unternehmenssteuer in einzelnen Kantonen. Entscheidend, ob am Schiff die Schweizer Flagge am Heck weht, ist der Sitz der Reederei. Am Stichtag per 31.12.2022 waren 203 Kabinenschiffe unter Schweizer Flagge. Der grösste „Player“ mit 3 200 Mitarbeitenden ist die River Advice mit dem Hauptaktionär und CEO Robert Straubhaar in Basel. Die Firma bereedert und betreut 111 Schiffe verschiedenster Eigner (unter anderem die Excellence-Flotte der Twerenbold-Gruppe, Schiffe des Reisebüros ThurgauTravel oder die Viking-Flotte). Eine andere grosse Reederei mit Sitz in Baar/ZG ist das Unternehmen Scylla der holländischen Schiffersfamilie Reitsma mit z.Z. 39 Schiffen und rund 2 000 Mitarbeitenden. Die deutsche A’Rosa-Flotte hat für den gesamten HR-Bereich eine Tochterfirma in Chur (15 Schiffe und 950 Angestellte).
T Trinkgelder
Trinkgelder sind auf den Flusskreuzfahrtschiffen ein Lohnbestandteil. Je nach Schiffskategorie werden 5 bis 10 Euro pro Person und pro Tag erwartet. Meist wird das Trinkgeld zu gleichen Teilen unter den Crew-Mitgliedern aufgeteilt. Besonders gute Leistungen können individuell extra honoriert werden. Da der Reiseleiter in der Regel nicht zur Besatzung gehört, sondern vom Reiseveranstalter angestellt ist, ist er am erwähnten Pool nicht beteiligt.
U Umweltschutz und CO2-Ausstoss
Studien zeigen, dass die Schifffahrt auf den Weltmeeren in ihren Motoren Bunker- oder Schweröl, eine besonders schwere und dreckige Ölvariante, verbrennen, die einen sehr hohen CO2-, Stickstoff- und Schwefel-Ausstoss haben. Diese Erkenntnisse sind in keiner Weise vergleichbar mit den Flussschiffen. Alle Fluss-Reedereien haben Umweltkonzepte, die sich umfassend der Nachhaltigkeit verpflichten. Dazu gehören eine wirksame Abwasserreinigung (Kläranlage) an Bord, Reduktion der Emissionen durch Landstrom beim stehenden Schiff, das Verwenden von Marinedieselöl mit einem Schwefelgehalt von maximal 0,1% und zusätzlicher Katalysator-Technik, Vermeidung von Abfall, Food Waste und Plastik an Bord. Neuste Modelle sind mit Solarpanels ausgerüstet.
V Veranstalter
Die zwei grössten Schweizer Veranstalter von Flusskreuzfahrten heissen nicht zufällig fast gleich und haben beide ihren Geschäftssitz in Weinfelden. Thurgau Travel (seit 2001) und das Reisebüro Mittelthurgau (seit 1969) wurden beide von Hans Kaufmann gegründet (bei Mittelthurgau als Geschäftsführer, bei ThurgauTravel als Eigner). Kaufmann gilt als europäischer Pionier in Bezug auf neue Fahrgebiete und Destinationen. Nach finanziellen Turbulenzen der Mittelthurgaubahn und deren Reisebüro übernahm Twerenbold Reisen die Firma des Reisebüros Mittelthurgau. Hans Kaufmann gründete dann das Reisebüro Thurgau Travel.
Bedeutende Veranstalter auf dem deutschen Markt sind Amadeus, nicko cruises, Phoenix, Plantours sowie SE-Tours. Die A’Rosa-Schiffe und Viva Cruises (Scylla) sind nebst Veranstalter auch Eigner und Viking fährt seit 2023 ausschliesslich mit amerikanischen Gästen. Unabhängige Preisvergleiche zwischen Schweizer und deutschen Veranstaltern zeigen, dass es sich nicht lohnt, in Deutschland zu buchen. Zum einen sind bei den hiesigen Veranstaltern die An- und Rückreise inkludiert, zum andern bieten die leicht teureren Schweizer Reisen auch einen besseren Service.
W Wahlkriterien der Kreuzfahrt
Ich empfehle, folgende drei Kriterien in die Planung einfliessen zu lassen: 1. Fahrgebiet (wohin soll es gehen? Siehe auch Stichwort «Gebiete»), 2. Schiffstyp und 3. Preis. Die Priorisierung kann von Fall zu Fall unterschiedlich ausfallen, alle drei Kriterien können nicht top sein.
Beispiel 1: Ich möchte auf der Save durch Kroatien oder auf der Loire in Frankreich eine Flusskreuzfahrt machen, da diese Gebiete selten befahren werden und mir unbekannt sind. In diesem Fall sind die Auswahl des Schiffes (es gibt nur zwei, resp. eines) und der Preis sekundär.
Beispiel 2: Ich möchte mit der „Mozart“ fahren, weil diese Schiffs-Ikone Geschichte geschrieben hat (sie war der Auslöser der Insolvenz der einst stolzen DDSG). In diesem Fall ist es mir egal, dass ich schon wieder auf der Donau unterwegs bin.
Beispiel 3: Es flattert ein Brief ins Haus, wo ein Reeder eine Überstellungsfahrt von Passau nach Basel anbietet. In diesem Fall gibt der super Preis den Ausschlag zur Wahl, obwohl es November ist und das Schiff mich nicht „vom Sockel reisst“.
Für mich keine Kriterien sind: • Qualität des Essens, da sich kein Anbieter eine schlechte Küche leisten kann. • Alter des Schiffes, da auch ältere „Semester“ regelmässig dem neusten Stand angepasst werden und unter Umständen einen besonderen Charme haben können. • Grösse des Schiffes, denn über 200 Personen fasst wegen der Dimensionen der Schleusenkammern und des Tiefganges kein Flusskreuzer. • Die Jahreszeit, denn es kann im November warme und sonnige Tage geben und im Juli eine Regenwoche.
X Generation X
Gar mancher, der sich sagt „das kann ich dann mal im Alter machen“ bereut schon nach der ersten Fahrt, diese Art von Reisen nicht bereits früher entdeckt zu haben. Das Attribut, Flusskreuzfahrten seien etwas für Leute des dritten Lebensabschnittes, kommen die Reedereien einfach nicht los. Statistiken zeigen, dass die X‑Generation (Jahrgänge 1965 – 1979) den grössten Anteil der Kundschaft ausmacht.
Der Boom der letzten 30 Jahre (weltweit jährliche Steigerungsraten bei den Übernachtungszahlen von 10 bis 15 % – ausser in den Covid-Jahren) lässt sich durch drei Gründe erklären: Die heutigen Generationen haben hierzulande mehr finanzielle Mittel zur Verfügung als früher, um Ferien mehrmals im Jahr zu geniessen. Naturerlebnisse, wechselnde Szenerien und der Wunsch nach Entschleunigung entsprechen dem Zeitgeist. Und schliesslich gibt es als Folge der guten Umsätze attraktive Schiffe, die den Bedürfnissen der Fahrgäste entsprechen.
Z Zweirumpfschiff, Katamaran
Ikonen unter den Flusskreuzern sind die zwei Katamarane Mozart und Primadonna. Die „Mozart“ ist allerdings bloss ein Semikatamaran; im Heckbereich ist es ein Einrumpfschiff. Das ehemalige DDSG-Schiff war 2020 für DerTour auf der Donau unterwegs, 2024 für Riverside. In der Deggendorfer-Werft 1987 im Auftrag der DDSG erbaut, galt sie als Inspiration für die Entwicklung der drei Panorama-Schiffe auf dem Vierwaldstättersee. Die „Primadonna“ wurde ebenfalls von den Deggerdorfern erbaut (1998) und gilt heute unter den Flusskreuzfahrtschiffen als einziger „echter“ Katamaran der Welt. Conti München hat das Schiff in Auftrag gegeben, Viking hat es damals gechartert. Heute fährt das Schiff für die Donau Touristik Linz auf der Donau.
Teil 1 und Teil 2 des Kreuzfahrten-ABC siehe rechte Spalte «Weiter im Text»
Flussfahrten mit dem Reisebüro Mittelthurgau werden grundsätzlich mit den firmeneigenen Twerenbold-Bussen begleitet, hier in Merzig, dem Ausgangspunkt für die Saarschleife.
Die Saar ist ein kleiner, romantischer Fluss, der wegen den früheren Kohlenbergwerken vor rund 50 Jahren zur Wasserstrasse ausgebaut wurde.
Kapitän Martijn Lourens steuert seine «Pearl» im Dreiländereck Deutschlamd/Luxemburg/Frankreich auf Saar und Mosel (Moselle).
In Trier stehen viele römische Bauten bis heute, wie die Brücke über die Mosel, 150 n Chr. erbaut.
Über dem romantischen Mosel-Örtchen Beilstein – dem „Dornröschen der Mosel“ – thront die Burg Metternich.
Abendstimmung in Cochem
Zahlreiche Schleusen führen uns vom deutschen Koblenz über Luxemburg zu den französischen Städten Metz und Nancy, alles auf der Mosel (Moselle).
Flussidylle vor Nancy, vom Schiff aus erlebt.
Bilder im Textteil: Schiffsportrait der «Pearl» (ex-«Rembrandt») am Rheinanleger in Koblenz
Weitwinkelaufnahme mit dem Städtchen Cochem
Trotz seiner Lage im Unterdeck hat man vom Ess-Saal aus eine schöne Sicht aufs Wasser und die Ufer der Saar und Mosel.
Heller Bug-Salon zum Verweilen, gestaltet von Nazly Twerenbold, der Mutter des CEO Karim Twerenbold
Durch Klick aufs Bild erscheint dieses im Grossformat.
Weiter im Text
Das Kreuzfahrten-ABC 1. Teil (Link), 2. Teil (Link)
(B)Logbuch-Bericht über die Taufe der «Pearl»: «Aus der „Rembrandt“ wird eine „Pearl“: ein zweites „Kleines“ für die Schweizer Excellence-Flotte» (Link)
Weltweit gibt es ein Register über sämtliche Flusskreuzfahrtschiffe. Das von Arnulf Hader geschaffene Werk wird im Schnitt alle zwei Jahre aktualisiert und beinhaltet nebst Bildern und den technischen Angaben viele weitere Infos zu Eigner, Reedereien und Revieren. Es kann bei der Schiffs-Agentur erworben werden (Link).
Impressum
Text und Bilder H. Amstad
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