Apéro-Fahr­ten MS Schwan 2010: ein Jazz­mu­si­ker, eine Gale­ris­tin und ein His­to­ri­ker an Bord

Mit Trom­pete, Büchel und Alp­horn betritt Hans Ken­nel MS Schwan und eröff­net am 27. Mai 2010 die zweite Sai­son der Apéro-Fahr­ten mit Zuger Kul­tur­per­sön­lich­kei­ten. Der Name Ken­nel stammt aus Schwyz, dort ist der heu­tige Star­gast am 20. April 1939 auch gebo­ren. Beim ers­ten Halt vor der Kulisse von Zug erzählt der Voll­blut-Jaz­zer von sei­nem Wer­de­gang: «Gross gewor­den bin ich in musi­ka­li­scher Umge­bung von Volks- und Marsch­mu­sik» erin­nert er sich und es soll­ten 40 Jahre ver­ge­hen, bis er sich besinnt, wel­che Qua­li­tä­ten auch diese Musik in sich trägt. «Mein Gross­va­ter, mein Onkel und mein Vater waren lei­den­schaft­li­che Länd­ler Musi­ker, die Mut­ter, ledige Elvira Vin­cenzi, liebte die Oper, sang zu Hause Verdi und in der Kir­che im Chor.»

Hans Ken­nel

«Auf Umwe­gen», wie er sagt, lan­dete die Fami­lie Ken­nel Ende der Vier­zi­ger­jahre in Zug. Ken­nels Vater über­sie­delte das Geschäft mit Kräu­tern an die Unter­müli in Zug. Hans lernte hier Trom­pete spie­len. Er sei nie ein eif­ri­ger Schü­ler gewe­sen, sagt er, und auch seine ers­ten musi­ka­li­schen Ver­su­che als Trom­pe­ter bei den Kadet­ten der Stadt Zug unter Sales Kleeb seien wenig viel­ver­spre­chend ver­lau­fen. Doch im Inter­nat in Fri­bourg, direkt neben dem Kon­ser­va­to­rium gele­gen, fand er defi­ni­tiv zur Musik: Zuerst zum gre­go­ria­ni­schen Gesang, den er bis zum für ihn frus­trie­ren­den Erleb­nis des Stimm­bruchs liebte.

Kapi­tän Xaver Schön kurvt die «Schwan» nach Ennet­see. Nach den Trom­pe­ten-Impros im ers­ten Teil der Fahrt greift Hans Ken­nel zum Büchel – die Per­for­mance an Bord gleicht nun einer Free Jazz Ses­sion. Einige Fahr­gäste sind irri­tiert, andere begeis­tert. Kräu­ter und Musik beglei­ten Hans Ken­nel auch nach sei­nem Stu­dium an den Kon­ser­va­to­rien von Fri­bourg und Zürich, wo er vom Jazz-Virus befal­len wird. 1962 baut Hans Ken­nel in Baar an der Lorze für den Kräu­ter­han­del ein eige­nes Gewer­be­ge­bäude, wel­ches er spä­ter ver­grös­sert und heute wie­der bewohnt. Gleich­zei­tig tritt er mit nam­haf­ten Jaz­zern auf wie Kenny Clarke, Abdul­lah Ibra­him (alias Dol­lar Brand), Irène Schwei­zer, Pierre Favre und einem Dut­zend ande­ren. Er führt ein Dop­pel­le­ben: Am Tag als Herr Ken­nel in Armani-Anzug und Kra­watte, wenn er die Kräu­ter­pro­duk­ti­ons­firma sei­nes Vaters wei­ter­führt, am Abend dann als Hans in Jeans und T‑Shirt bei Auf­trit­ten oder am Üben mit sei­ner Trompete.

Beim drit­ten Stopp nahe am Brüggli steht ein Fahr­gast auf, packt sein Alp­horn eben­falls aus und spielt mit Hans Ken­nel im Duett – ein wun­der­ba­rer Dia­log. Es ist einer sei­ner Freunde, Urs Kei­ser, Archi­tekt aus Zug, der seine Lei­den­schaft – über­ra­schend für alle Fahr­gäste – preis­gibt. Das leise Schau­keln des Schif­fes gegen die Wel­len des West­win­des bringt Hans Ken­nel aus dem phy­si­schen Gleich­ge­wicht, nicht aber aus dem musi­ka­li­schen: Wäh­rend des Alp­horn­spiels muss er sich mit der lin­ken Hand an der Decke der «Schwan» fest­hal­ten. Seit er 50 ist öff­nen sich neue Wel­ten: «Über Umwege der ost­eu­ro­päi­schen Volks­mu­sik beschäf­tigte ich mich stark mit der alpi­nen Musik mei­ner Väter», wes­halb er auch gerne als Erfin­der der neuen Alp­horn­mu­sik genannt wird. Dane­ben schreibt Ken­nel auch Film­mu­sik (etwa für Doku­men­tar­filme von Erich Lang­jahr, der letz­tes Jahr an Bord des MS Schwan auf­trat) und Chor­sätze. 1998 wurde er für seine „pio­nier­hafte und enga­gierte Aus­ein­an­der­set­zung mit Ele­men­ten alpi­ner Musik in den Grenz­be­rei­chen von Volks­mu­sik, Jazz und Klas­sik“ mit dem Inner­schwei­zer Kul­tur­preis geehrt. Hans Ken­nel ist vor Erschei­nen die­ses Buches am 14. Mai 2021 gestorben.

Carla Renggli

Tags­über noch scheint meteo­ro­lo­gisch alles gut zu kom­men, doch kurz vor dem Start der Apéro-Fahrt vom 17. Juni 2010 lässt eine aktive Regen­front See und Umge­bung in ein mys­ti­sches Grau tau­chen. Unsere Gäste kön­nen nun «Aqua­relle» live erle­ben. Carla Renggli, die wohl bekann­teste Gale­ris­tin in Zug, braucht nicht lange, um uns auf iko­ni­sche Art und Weise in den Abend ein­zu­stim­men. Als Gale­ris­tin ist sie kom­mer­zi­elle Ver­mitt­le­rin zwi­schen Künst­ler und Publi­kum und prä­sen­tiert die Kunst­werke an Aus­stel­lun­gen: «Im Herbst 1977 habe ich in der Zuger Alt­stadt meine erste Gale­rie eröff­net: die Kunst­hand­lung Gold­gasse.» 1996 bezieht sie die Räume an der Ober-Alt­stadt 8, wo sich auf drei Eta­gen erwei­terte Aus­stel­lungs­mög­lich­kei­ten anbie­ten. Grup­pen­aus­stel­lun­gen wer­den mög­lich, auch grosse For­mate kom­men hier gut zur Gel­tung. Im Shop bie­tet die Gale­rie Carla Renggli das grösste Kunst­kar­ten-Sor­ti­ment der Schweiz an: «Für Kun­den aus nah und fern ist es ein Genuss, in unse­rem rie­si­gen Kar­ten­sor­ti­ment zu stö­bern und nach ihren Wunsch­mo­ti­ven zu suchen.» Wie ist Carla Renggli, gebo­rene Rosen­berg aus Baar, zu die­sem Métier gekom­men? «Als Quer­ein­stei­ge­rin. Meine Tätig­keit als Pharma-Assis­ten­tin hat mich nicht ganz erfüllt. Nach fünf Jah­ren Mit­ar­beit in einer Gale­rie habe ich mich selbst­stän­dig gemacht. Heute ist Kunst mein Leben.»

Sie pflegt zum Künst­ler und zur Künst­le­rin einer­seits und zum Kunst­samm­ler ande­rer­seits einen per­sön­li­chen Kon­takt; Empa­thie und Net­wor­king ist das Rezept ihres Erfol­ges. Carla Renggli: «Ein aus­ge­präg­tes Durch­hal­te­ver­mö­gen, Durch­set­zungs­kraft und Stand­fes­tig­keit braucht es schon in die­ser Bran­che.» Das Publi­kum sitzt an Bord von MS Schwan und Kunst hat sie an die­sem Abend selbst mit­ge­bracht. Bar­bara Wind­holz zeigt am Heck des Schif­fes eine Instal­la­tion mit dem Titel «Schön­bild­se­hen III: Ver­füh­rung und Illu­sion auf MS Schwan». Für das Hand­werk­li­che der Instal­la­tion ist Bruno Oldani zustän­dig und für das Nau­ti­sche Kapi­tän Tho­mas Staubli.

Bar­bara Wind­holz, gelernte Archi­tek­tin und Szen­o­gra­fin, instal­liert am Heck der «Schwan» ein 1,5 Meter lan­ges Kalei­do­skop, das sie bereits vor drei Jah­ren anläss­lich einer Kunst­per­for­mance auf einem klei­nen Boot auf dem Zuger­see in Funk­tion hatte. Die Szen­o­gra­fie ist die Lehre und die Kunst der Insze­nie­rung im Raum und kann als Wei­ter­ent­wick­lung des frü­he­ren Büh­nen­bild­ners betrach­tet wer­den. Video­da­ten zweier Kame­ras zeich­nen die Bil­der auf und über­tra­gen sie per Funk simul­tan an Land, wo die Auf­zeich­nun­gen von den Pas­san­ten betrach­tet wer­den kön­nen. Wind­holz: «Das Boot war aus­ge­rüs­tet mit einem Antrieb, der eine 360° Rota­tion bewirkte und dadurch die Raum­to­tale her­vor­brachte.» Die Video­da­ten wur­den spä­ter an der Zür­cher Hoch­schule der Künste jeweils eine Stunde lang von zwei sich gegen­über­lie­gen­den Bea­mern in der gan­zen Raum­höhe projiziert.

«Die­ses Sicht­bar­ma­chen ist es, was mich an die­ser Instal­la­tion auch wie­der auf die­sem Schiff inter­es­siert: Gewisse Seh­kon­ven­tio­nen zu durch­bre­chen.» Trotz Regen neh­men die Apéro-Gäste draus­sen Platz und las­sen sich mit dem Blick durch das Kalei­do­skop auf die Mehr­deu­tig­keit des Sees, des Land­schafts­bil­des und dadurch des sicht­ba­ren Rau­mes ein. Wäh­rend ich den Aus­füh­run­gen von Bar­bara Wind­holz zuhöre, erfahre ich diese Mehr­deu­tig­keit gleich selbst: Sie spricht von Seh­ge­wohn­hei­ten, die bei mir zu See­ge­wohn­hei­ten wer­den oder von Mehr­deu­tig­keit, die ich als Meer­deu­tig­keit verstehe.

Albert Mül­ler

Albert Mül­ler (ein gebür­ti­ger Ger­sauer) beschliesst unse­ren dies­jäh­ri­gen Rei­gen der Zuger Kul­tur Per­sön­lich­kei­ten. In sei­nen Aus­füh­run­gen wird auf der Apéro-Fahrt vom 24. Juni von 2010 seine Liebe zur Wahl­hei­mat offen­kun­dig: Der ehe­ma­lige Stadt­schrei­ber von Zug, His­to­ri­ker, Autor zahl­rei­cher Fach­bü­cher und Kan­tons­schul­leh­rer weiss über die Geschichte von Land und Leu­ten der Zuger Umge­bung Bescheid wie kein ande­rer. Er fes­selt mit sei­nen Wor­ten die Gäste mit leben­dig gewor­de­ner His­to­rie. Den ers­ten Stopp legt Kapi­tän Xaver Schön direkt vor der Alt­stadt ein. Albert Mül­ler: «Der Name Zug hat nichts mit der SBB zu tun. Vor dem 1. Jahr­tau­send stan­den bei der heu­ti­gen See­li­kon ein paar Fischer­hüt­ten. Nach dem Aus­wer­fen der Fisch­netze zogen die Fischer diese ein und sag­ten ‘wir gehen auf den Zug’. Auch die Fischer aus Cham, dem ältes­ten Dorf im Zuger­land, kamen in diese fisch­rei­che Bucht des Zuger­sees und «zogen» Fische. Ein Dorf ent­stand spä­ter und erst im Jahr 1092 kommt der Name Zug zum ers­ten Mal in einer Urkunde in Schaff­hau­sen vor.»

Zug war lange nicht eigen­stän­dig. Die Lenz­bur­ger waren die ers­ten, die hier einen Ver­wal­tungs­ort bau­ten und das Vog­tei­geld ein­zo­gen. Nach dem Aus­ster­ben die­ses Gra­fen­ge­schlechts kamen die Kybur­ger, die nebst Dies­sen­ho­fen und Win­ter­thur auch als Stadt­grün­der von Zug gel­ten. Sie hat­ten eine stra­te­gisch wich­tige Han­dels­route in Rich­tung Gott­hard unter ihrer Kon­trolle: Von Dies­sen­ho­fen, Ober­win­ter­thur, Mei­len, über den Hor­ge­ner Weg und Inwil ging der Fuhr­weg über die alte Baar­er­strasse zur Alt­stadt. Zug wurde nach dem Mus­ter von Dies­sen­ho­fen erbaut, also auch mit drei Gas­sen. Albert Mül­ler: «In Zug rutschte dann 1435 die unterste Häu­ser­zeile der Stadt in den See, wes­halb heute nur noch zwei Alt­stadt­gas­sen sicht­bar sind.» Auch das Geschlecht der Kybur­ger starb aus und so kauf­ten die Habs­bur­ger Zug, das nun bereits unter der drit­ten Adels­herr­schaft stand. Sie ver­grös­ser­ten dann die Stadt um das Fünf­fa­che und beka­men vom Kai­ser das Sust­recht, das ihnen den freien Han­del ermög­lichte. Die Sus­ten spiel­ten in der Zeit der Säumerei eine wich­tige Rolle für einen siche­ren Waren­trans­port. Sie dien­ten als Maga­zine und boten Platz für die Lage­rung der Ware. Damit waren die Güter vor Wet­ter und Dieb­stahl geschützt. In der Sust wur­den die Waren auch gewo­gen und signiert.

Der zweite Halt in Buo­nas gilt dem Blick auf Walch­wil, das erste Unter­ta­nen­ge­biet der Stadt Zug. Walch­wil und des­sen Ober­dorf Emmet­ten waren ein Lehen Öster­reichs und gehör­ten den Her­ren von Hünen­berg. Im Jahre 1352 kam das Gebiet an Wer­ner von Stans; am 22. März 1379 kaufte die Stadt Zug für 450 Gold­gul­den die gerichts­ba­ren Rechte in den Dör­fern Walch­wil und Emmet­ten. Somit wurde Walch­wil zur städ­ti­schen Vog­tei von Zug. Mit dem Unter­gang der Alten Eid­ge­nos­sen­schaft in der Fran­zö­si­schen Revo­lu­tion hörte die stadt­zu­ge­ri­sche Vog­tei auf: Walch­wil erhielt am 17. Februar 1798 die Gemein­de­au­to­no­mie und damit die poli­ti­sche Selbständigkeit.

Albert Mül­ler: «Da herrsch­ten ähn­li­che Ver­hält­nisse wie in Ger­sau. Doch die Ger­sauer waren (für ein­mal) schlauer, indem sie 1390 die Vog­tei­rechte kauf­ten und so die Steu­er­ho­heit und die Gerichts­bar­keit selbst aus­üben konn­ten. Bis 1790 blieb Ger­sau eine eigene Repu­blik.» Man spürt: Albert Mül­ler ist nach wie vor stark mit Gerau ver­wur­zelt und fin­det selbst auf dem Zuger­see ein Stück Ger­sauer Geschichte. Er ist stolz, dor­ti­ger Ehren­bür­ger zu sein. Fahr­gäste und Albert Mül­ler sind sich am Schluss der Fahrt einig: «Es war ein gross­ar­ti­ger Abend.»

Schiffs­be­geg­nung mit Alp­horn. Hans Ken­nel begrüsst mit einer Jazz-Impro­vi­sa­tion MS Zug beim Bahnhofsteg.

Neue Töne bringt Hans Ken­nel nicht nur in die Jazz­szene, son­dern auch auf die «Schwan».

Carla Renggli-Rosen­berg (rechts) und Bar­bara Wind­holz zei­gen den Dia­log zwi­schen den drei Par­teien Gale­ris­tin, Künst­le­rin und Publi­kum an Bord der «Schwan» auf.

Ihr Mann Max Renggli ent­deckt mit dem Blick durch das Kalei­do­skop von Wind­holz den Zuger­see aus neuen Perspektiven.

Albert Mül­ler ver­bin­det seine Hei­mat­ge­fühle gekonnt in sei­nen Aus­füh­run­gen: Er ist sowohl mit Zug (im Hin­ter­grund) als auch mit Ger­sau stark verbunden.

MS Schwan legt ab zur Apéro-Fahrt mit Albert Mül­ler an Bord.

Male­ri­sche Kulisse Zuger­see mit MS Schwan, unter­wegs mit Albert Müller

Bil­der im Text­teil: Start der Apéro-Fahr­ten mit Zuger Kul­tur­per­sön­lich­kei­ten 2010 vor der Kulisse der Vor­stadt Zug

Unge­wöhn­li­che Sicht auf den ver­reg­ne­ten Zuger­see, betrach­tet durch ein Kaleidoskop

Die schwim­mende Klein­kunst­bühne MS Schwan ver­lässt Zug zur Apéro-Fahrt vom 24. Juni 2010.

Durch Klick aufs Bild erscheint die­ses im Grossformat.

Am Schluss des Blogs ist Ihr Kom­men­tar willkommen.

Wei­ter im Text

Wei­tere Berichte über die Apé­ro­fahr­ten mit Zuger Kul­tur­per­sän­lich­kei­ten fin­den Sie ab dem Jahr 2009 jähr­lich; kli­cken Sie dabei auf die ent­spre­chende Jah­res­zahl oder geben Sie unter «Suche» den Begriff «Apé­ro­fahrt» ein.

Impres­sum

Bil­der und Text H. Amstad

Bewer­tung abgeben 🙂

[ratings]

Archi­vie­rung

Zum Archi­vie­ren oder Aus­dru­cken die­ses Medi­en­be­rich­tes akti­vie­ren Sie das Icon. Bevor Sie das PDF sichern, dru­cken oder able­gen emp­feh­len wir, zur opti­ma­len Dar­stel­lung, die Aus­rich­tung Quer­for­mat in der Grösse 80 %. Geeig­nete Brow­ser sind Fire­fox, Mozilla, Google Chrome. (Bei ande­ren Brow­sern könn­ten die Bil­der zer­schnit­ten werden.)