Apé­ro­fahrten 2018: MS Schwan als Kleinkunstbühne

Alberto Venzago

Kurz nach der Aus­fahrt lässt die Zuger Kul­tur­per­sön­lichkeit das Schiff stoppen. Der Künstler heisst Alberto Venzago, Magnum­fo­tograf von Weltrang. Er eröffnet hiermit die 10. Saison der Apé­ro­fahrten mit MS Schwan. Wie immer bekommt der Spe­zi­algast eine „Carte Blanche“ bezüglich Inhalt und kann die Fahr­route des Schiffes fest­legen. Wir haben Sicht auf die Chamer­strasse und die Schüt­zenmatt-Turn­halle. „Hier ver­än­derte sich mein Leben dorthin, wo ich heute bin.“ Der damals 18-jährige ist mit dem Töff unterwegs und sieht zwei schönen Frauen nach. Unter­dessen stoppt die Auto­ko­lonne, von ihm unbe­achtet. Er wacht im Spital Lieb­frau­enhof wieder auf, sein rechter Arm ist derart lädiert, dass die geplante Musi­ker­kar­riere mit Schwer­punkt Kla­ri­nette zu Ende ist. „Es musste so sein, denn mein Bruder Mario macht dies ja als Dirigent.“

Schiffs­führer René Simmen steuert die „Schwan“ nun Richtung Oberwil, Alberto Venzago lässt sie auf der Höhe der Frau­en­stein­matte stoppen. Von hier aus sieht man auf das mar­kante Holzhaus Alpina auf halber Höhe zur Schönegg, wo Venzago ab 10-jährig auf­ge­wachsen ist. „Hier habe ich 13‑, 14-Jährige nackt foto­gra­fiert und ihnen dann kleine Foto­bücher zusam­men­ge­stellt – super schön, mit Liebe, völlig unschuldig.“ Als diese Fotos dann in die Hände der Eltern der Mädchen kommen, haben die Eltern Venzago eine Anzeige im Haus. Alberto konnten sie nicht belangen, er war erst 15. „Vor Angst, dass ich nun ins ‚Chefi’ muss, nahmen mein Bruder und ich den Pfadi­kessel, über­gossen darin die Film-Negative mit Sprit und zün­deten sie an.“ Trotz dieser Ver­nich­tungs­aktion kam später ein Nega­tiv­streifen wieder zum Vor­schein, Venzago zeigt sein Erst­lingswerk exklusiv unserer „Schwan“-Runde, ein tolles Por­trait, inspi­riert vom dama­ligen Foto­gra­fenstar David Hamilton.

Nach einem weiten Bogen um die Stadt Zug herum peilen wir den letzten Zwi­schen­stopp für heute an: der Sand­strand vom Brüggli. Dieser nimmt Bezug zu seinem aktu­ellsten Projekt. Alberto Venzago und seine Lebens­part­nerin Julia Fokina arbeiten seit fünf Jahren an einem Ero­tikwerk mit dem Titel ONE: Seduced by the Darkness. „45 000 Fotos sind bereits pro­du­ziert und 120 aus­ge­wählt für ein Buch, das 160 cm breit, 50 kg schwer und dem Preis eines Cadilacs ent­sprechen wird.“ Ein Bild des Werkes ent­stand genau an dieser Stelle. Julia, zusammen mit der 9‑jährigen Tochter eben­falls an Bord, liegt nackt auf der Küh­ler­haube eins Ami­schlittens. Dass dies im kon­ser­va­tiven Zug trotz poli­zei­licher Bewil­ligung und pro­fes­sio­neller Absper­rungen nicht ohne Auf­regung pas­siert, ver­steht sich fast von selbst – es schliesst sich einen Bogen zu dem, was vor 50 Jahren begann. „Für eine Busse von 100 Franken kamen wir dafür drei Mal gratis in die Medien, beste Werbung für uns,“ schmunzelt Venzago. Das Schiff müsste mehrere Abende aus­laufen, um nur annä­hernd dem Lebenswerk, den Erfolgen, und seinen Geschichten gerecht zu werden. Die Fahr­gäste ver­lassen das Schiff beein­druckt und berührt.

Patricia Draeger

Die Musi­kerin Patricia Draeger ist in Zug geboren und auf­ge­wachsen. Ihren ersten Musik­un­ter­richt auf dem Akkordeon erhielt sie mit 4 Jahren. Sie absol­vierte ein Lehr­diplom der Quer­flöte und unternahm weitere Studien in Biel mit Schwer­punkt «Zeit­ge­nös­sische Musik». 1995 folgte ein Diplom der Kon­zert­reife mit Aus­zeichnung, anschliessend Studien in Ams­terdam und Den Haag. Seit 1992 ist sie haupt­be­ruflich Akkor­deo­nistin und unter anderem als musi­ka­lische Lei­terin diverser Thea­ter­pro­duk­tionen tätig. Heute am 14. Juni 2018 ist sie bei uns zu Gast auf MS Schwan und gibt bei drei Zwi­schen­stopps Ein­blicke in ihr (musi­ka­li­sches) Leben.

Patricia wird oft auch in Ver­bindung gebracht mit dem Akkor­de­onduo Sergej Sim­birev (ihrem Mann), dem „Trio Avodah» (Volks- und Kunst­musik aus Europa) sowie mit der Gruppe Paralpin. Seit 2008 spielt sie zusammen mit Albin Brun in diversen Ensembles, unter anderem in der Gruppe KAZ­ALPIN mit dem Vokaltrio Akana aus Belarus. Volks­musik, Jazz, Impro­vi­sation und der Aus­tausch mit anderen Kul­turen prägt ihr musi­ka­li­sches Schaffen. Mit ihrer Musik bereiste sie ganz Europa, die USA, Aus­tralien, Asien und Afrika. Im Jahre 2005 erhielt sie den För­der­preis des Kantons Zug und heuer das „Zuger Werkjahr“, der höchst­do­tierte Preis für Kul­tur­schaf­fende des Kantons Zug. Sie unter­richtet an den Musik­schulen Cham und Hünenberg und an der Hoch­schule für Musik in Luzern. Bereits liegen 22 CD-Pro­duk­tionen von ihrem Schaffen vor.

Ihre vor­ge­tra­genen Musik­stücke gehen direkt „ins Herz“, ab und zu bemerkt der ana­ly­tische Kopf, wie virtuos und tech­nisch „über­ir­disch“ Patricia Draeger ihr Instrument beherrscht und beseelt. Und als der Abend auf der Heim­fahrt aus­zu­klingen begann griff sie abermals zum Akkordeon und unter­hielt uns mit See­manns- und Shan­ty­me­lodien, weil es einfach jetzt so schön passte. Einfach so, so wie sie auf uns wirkt und ist.

Nik Hartmann

Heute Morgen schrieb ich ein Chas­per­li­theater zu Ende“, eröffnet Nik Hartmann die dritte Apéro-Abend­fahrt der Saison 2018 am 6. Sep­tember. So kennt man den Medi­en­schaf­fenden, „den man bei der Arbeit zusehen kann“, nicht. Nik hob im ersten Teil besonders seine schrift­stel­le­rische Seite seines Könnens hervor mit dem Vor­lesen zweier Texte zu alpinen Geschichten, jeweils erschienen im Outdoor-Magazin „Berg­welten».

Bekannt ist Nik durch seine beliebten Sen­dungen „Fens­ter­platz“ (ab 2005), „SRF bi de Lüt“ (ab 2007), „Über Stock und Stein“ sowie „Jede Rappe zählt“ (ab 2009). „Wir sind ein ein­ge­schwo­renes Team: ein Kame­ramann, ein Ton­meister und der Redaktor, der nach den Auf­nahmen das Material schneidet.“ Hartmann gilt als belieb­tester Mode­rator der Schweiz und gewann 2010 den Schweizer Fern­seh­preis unter der Kate­gorie Star. Ich sehe Nik’s Sen­dungen gerne (obschon der TV-Apparat selten läuft): es gelingt ihm jeweils, mit Empathie und Authen­ti­zität ganz in die Nähe der Gesprächs­gäste zu kommen, ohne zum Voyeur zu werden. „Manchmal geht es mir auch zu nah; solche Sequenzen kommen dann jeweils nicht auf den Sender,“ räumt Nik ein.

Erster Halt: Hirs­garten Cham mit Sicht auf das grüne Bootshaus. „Hier lernte ich rudern und am ‚Rock Cham’ 1991 meine Frau kennen.“ Beides ver­bindet ihn mit nach­hal­tigen Erin­ne­rungen. „Dank dem grünen Ruderhaus weiss ich, dass Steu­erbord grün ist“. Und mit seiner Frau Carla zusammen hat er heute die drei Söhne Con­stantin, Fre­derik und Mel­chior. Zweiter Halt ist vor der Statue „Die Wei­nende“ oder unter den Seglern „Magellan“ genannt, weil sie den Weg zeigt in die dahinter lie­gende Bucht, die rechts und links mit Untiefen sonst nicht zu befahren wäre. Von hier aus sehen wir sehr schön auf Buonas, wo Nik heute mit seiner Familie wohnt.

Der heutige Abend ver­fliegt im Nu, ein Gewit­ter­regen prasselt gegen die „Schwan“-Fenster und die Wellen machen das Anle­ge­ma­növer im Siebach für den Kapitän zur (gut gemeis­terten) Her­aus­for­derung. Das heute Morgen fertig erstellte Chas­per­li­theater kommt aus zeit­lichen Gründen nicht zur Urauf­führung. Eine Mail erreicht mich am andern Tag: „Der Abend bei Euch mit dem inter­es­sierten und dank­barem Publikum hat mir sehr gefallen.“ Nik live.

MS Schwan bildet den intimen Rahmen, auf den Apé­ro­fahrten den ein­ge­la­denen Kul­tur­per­sön­lich­keiten im wahrsten Sinne des Wortes näher zu kommen.

Patricia Draeger Sim­birev über­zeigt mit Leich­tigkeit und viel Humor.

Alberto Venzago erzählt in dichter Form charmant seine Geschichten, die das Leben schrieb.

Seine Lebens­part­nerin (und Model) begrüssen wir eben­falls an Bord der „Schwan“.

Nik Hartmann ist ein Bergler „ver­loren gegangen“ – mit seinen Texten und medial-wag­hal­sigen Wander- und Klet­ter­ex­pe­di­tionen lebt er diesen Teil seines Lebens intensiv aus.

Blick auf den Radar, links im Bild Schiffs­führer René Simmen.

Bilder 3 und 4 A. Buss­linger, Text und übrige Bilder H. Amstad

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Bemer­kungen

*) Alberto Venzago (68) ist Fotograf und Fil­me­macher. Neben Star­por­träts und Akt­bildern hat er Filme über den rus­si­schen Kom­po­nisten Waleri Ger­gijew und Voodoo-Rituale gedreht, lebte mehrere Jahre bei der japa­ni­schen Mafia, begleitete drei Jahre Bruno Manser und vieles mehr. Als Foto­jour­nalist stand er fünf Jahre im Dienst der Pariser Agentur Magnum und belie­ferte in den ver­gan­genen 40 Jahren Medi­en­titel wie „Life“, „Stern“ und „Du“.

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