Boom mit Win­ter­dampf: Rekord­ver­dächtig sieben Rad­dampfer erfreuen die Fahr­gäste (Teil 1)

Alle Schiff­fahrts­ge­sell­schaften, die auf den November und Dezember gesetzt hatten, pokerten richtig. Die November-Über­nach­tungs­zahlen sind so hoch wie noch nie – in einigen Städten zahlt man Hoch­saison-Preise. Der November werde tou­ris­tisch neu ent­deckt, lese ich in der Fach­presse. Das merkten die Schiff­fahrts­un­ter­nehmen ganz besonders: Fast überall mussten grössere Ein­heiten den Kurs­verkehr bewäl­tigen, so auf dem Thu­nersee mit der «Stadt Thun» oder „Berner Oberland“ oder auf dem Vier­wald­stät­tersee, wo durch­gängig die drei Gross­mo­tor­schiffe Diamant, Europa und Wald­stätter ein­ge­setzt wurden.

Unab­hängig von dieser über­ra­schenden Ent­wicklung wagten es mehr Ree­de­reien denn je, ihre damp­fenden Schmuck­stücke aus dem Win­ter­schlaf zu holen. So konnten in der sog. „kalten“ Jah­reszeit Damp­fer­freunde und Schiffs­lieb­ha­be­rinnen auf sieben Rad­dampfern und sechs Gewässern Europas herr­liche Dampfro­mantik erleben und geniessen. Mit zwei (B)Logbucheinträgen doku­men­tieren wir dieses aus­ser­ge­wöhn­liche Ereignis. Ich frage mich, ob der grosse Erfolg dazu bei­tragen könnte, dass künftig gar die Neu­en­burger und Zürcher Schiff­fahrts­ge­sell­schaften ihre Rad­schiffe im Spät­herbst auf­dampfen könnten. Wer die Szene über längere Jahr­zehnte beob­achtet hat, weiss, dass in der Schiff­fahrts­branche stra­te­gische, per­so­nelle oder emo­tionale Gründe stärkere Ent­schei­dungs­träger sind als mög­liche Erfolgsaussichten.

Dass es in diesem Winter so viel Dampf gab wie seit 75 Jahren nicht mehr, ist meiner Ansicht nach keinem Konzept zu ver­danken, sondern dem Zufall und den „Nach­wehen“ der Corona-Mass­nahmen geschuldet. Sowohl die Ver­ant­wort­lichen der Dresdner Elbe­flotte wie auch des Gen­fersees kün­digten ihre Stra­tegie betreffend Win­ter­dampf bereits vor drei Jahren an, konnten sie aber aus bekannten Gründen nicht umsetzen. Gut ist beraten, wer dann die Angebote auch nutzt und sich nicht darauf ver­lässt, diese auf „eines Tages“ ver­schieben zu können. Gerade das Jahr 2019, mit einem der besten Fahr­pläne und Schiff­s­ein­sätze, lehrte uns, dass nichts auf Ewigkeit beruht, denn ein Jahr später fuhren über Monate mitten in der Saison über­haupt keine Schiffe mehr. Also benutzte ich heuer so viel Win­ter­dampf wie nur möglich.

Das Revival auf dem Vierwaldstättersee

Schiffs­kenner Mario Gavazzi weiss: «Man muss weit zurück in der Geschichts­schreibung recher­chieren, um Ver­gleich­bares zu finden. Der Win­ter­dampf, wie er bis in die Zeit kurz nach 1945 Alltag war, kannte wenig erleb­nis­ori­en­tierte oder kuli­na­rische Rund­fahrten, als vielmehr Kurs­fahrten mit, im Ver­gleich zu heute, weit­gehend schlecht beheizten Dampfern. Berichte aus dieser Zeit erwähnen, dass die einzig wirklich warmen Orte im Umfeld der Dampf­kessel und um den Maschi­nenraum zu finden waren.»

50 Jahre später erkennt der damalige SGV-Direktor Hans Meiner, selbst ein beken­nender Damp­fer­freund, dass nichts dage­gen­spricht, auch im Winter zu aus­ge­wählten Zeiten und Gele­gen­heiten zum Bei­spiel die «Uri» auf­dampfen zu lassen. Anstoss dazu war der Besuch der ame­ri­ka­ni­schen First Lady Hillary Clinton, die am 31. Januar 1998 mit ihrer Entourage und viel Schweizer Polit­pro­minenz eine Fahrt von Luzern nach Brunnen unternahm. Hans Meiner liess, da schon auf­ge­dampft und in aller Munde, den Rad­dampfer mit grossem Erfolg gleich am Tag danach nochmals bis Flüelen ein­setzen. 860 Leute genossen diese aus­ser­ge­wöhn­liche Kursfahrt.

Der inzwi­schen zur Tra­dition gewordene Win­ter­dampf auf dem Vier­wald­stät­tersee begann am 25. Dezember 1999. Mario Gavazzi erinnert sich noch sehr gut an diesen Tag, beob­achtete er doch die Ein- und Aus­fahrt der «Uri» vom Fenster des Gebär­saales in der Klinik St. Anna in Luzern aus, mit Blick auf den See. Denn an diesem Tag wurde nicht nur sein Sohn geboren, sondern es war auch die Geburts­stunde des Winterdampfes.

In den ersten Jahren fuhr die «Uri» (später auch DS Unter­walden) regel­mässig und in erster Linie als Kurs­schiff, was die Mög­lichkeit bot, auf einem nicht immer pum­pen­vollem Schiff eine Fahrt zu geniessen. Zuneh­mende Inter­es­sens­kon­flikte zwi­schen den drei Kun­den­gruppen Fest­tagsmenu-Geniesser, Win­ter­sportler (Rigi und Kle­wenalp) und Pendler führten bei der SGV zur Ein­sicht, den Win­ter­dampf ab 2010/11 als Son­der­an­gebote und (Fr-)Essfahrten anzu­bieten; das Pendel schlug vom einen zum andern Extrem aus – und blieb zum Leid­wesen vieler Damp­fer­freunde dort stehen. Diesen Winter gab es eine weitere Reduktion, indem die «Uri» nur bis zum 18. Dezember fuhr und die SGV auf das lukrative Fest­tags­ge­schäft ver­zichtete. Immerhin: Luzern war im Win­ter­dampf-Business ein Trend­setter und feiert 2022 ihr 25-Jahr­ju­biläum Revival Winterdampf.

Voller Erfolg für den «Blüemere»-Winterdampf

Der gleiche Mann, der den Win­ter­dampf in Luzern ein­führte, hat auch 2013 die BLS über­zeugt, Ihre «Blüm­lisalp» über die Festtage zu mobi­li­sieren. Heute rennt der Thu­nersee-Dampfer der «Uri» den Rang ab: Wer nicht reser­viert, bekommt oft keinen Essens­platz mehr, der­massen beliebt sind die Kurs­fahrten 15/16 zwi­schen Weih­nachten und Neujahr. Umso erstaun­licher erschien es mir, wie zögerlich die BLS den Win­ter­dampf in diesem Jahr plante und kom­mu­ni­zierte. Als Antwort auf meine Anmeldung Mitte Oktober 2022 schrieb mir das Unter­nehmen Schiff­ca­tering Thu­nersee: «Auf­grund der Ent­wick­lungen im Energie-Bereich prüfen wir die Durch­führung des Win­ter­dampfs 2022. Aktuell nehmen wir deshalb keine Reser­va­tionen entgegen.»

Mag sein, dass der damals bevor­ste­hende Antrag der BLS von 14,5 Mil­lionen Franken an das Berner Kan­tons­par­lament für eine Finan­zierung eines neuen Thu­nersee-Schiffes zur tak­ti­schen Über­legung geführt hat, den Win­ter­dampf trotzdem laufen zu lassen. Am Erfolg und am Gas­tro­umsatz können die Zweifel nicht liegen, denn der Thu­nersee-Fest­tags­dampfer ist auch in diesem Winter mit 6 796 Fahr­gäste eine Erfolgsgeschichte.

Viva Italia

Pri­vat­in­itia­tiven ermög­lichten es, dass auch die beiden letzten noch in Betrieb ste­henden Rad­dampfer Ita­liens vor­weih­nachtlich den Comersee, respektive den Lago Mag­giore ver­zau­berten. Ange­sichts der viel­fäl­tigen Win­ter­dampf-Angebote habe ich aber wegen län­ger­fris­tiger Planung den Auf­enthalt in Dresden dem­je­nigen am Comer- und Lan­gensee vor­ge­zogen. Denn die letz­teren Angebote mit der «Pie­monte» und «Con­cordia» wurden (wie gewohnt) recht kurz­fristig publik, während die SDS pro­fes­sionell und sehr früh über ihre Fahrten infor­mierten. Mario Gavazzi, Kenner der süd­lichen Bin­nen­schiff­fahrt, konnte es sich ein­richten und berichtet im Fol­genden darüber.

«Das hätte sich vor Jahren niemand vor­stellen können, oder höchstens im Traum: Dezem­ber­fahrten mit Dampf­schiffen auf den Seen Ober­ita­liens. Zwar ver­kehrte an Sil­vester-Neujahr 2010/11 auf dem Lago Mag­giore nebst dem damals fast neuen MS Antares auch die ‘Pie­monte’ auf der Nacht­rund­fahrt. Das geschah aber nicht aus Liebe zur Nost­algie. Vielmehr stand das übli­cher­weise im Einsatz ste­hende Fähr-Fahr­gast­schiff Ver­bania in Revision und da fehlte ein grös­seres Per­so­nen­schiff. Die Nach­frage nach Tickets für die ‘Pie­monte’ war ent­spre­chend gross, denn zuvor und seither gab es keine solche Angebote mehr.»

DS Con­cordia und Pie­monte im Vorweihnachtseinsatz

«Umso freu­diger reagierten die Schiffs­freunde auf die Nach­richt, wonach das Dampf­schiff Con­cordia an zwei Sonn­tagen (4. und 11. Dezember) und der Dampfer Pie­monte sogar an den drei Sams­tagen vom 3., 10. und 17. Dezember öffentlich ein­ge­setzt werden. Die ‘Pie­monte’ unternahm jeweils zwi­schen 16 und 19 Uhr stünd­liche Rund­fahrten ab Stresa. An Bord herrschte vor­weih­nacht­liche Atmo­sphäre mit einem Fami­li­en­an­gebot, das musi­ka­lisch und thea­tra­lisch passend gestaltet wurde. Diese Aus­flüge bil­deten Teil eines Advents­an­ge­botes in Stresa unter dem Titel Babbo-Natale, was auf Ita­lie­nisch Weih­nachtsmann bedeutet.

Anders auf dem Comersee: Den Input für die beiden Rund­fahrten Como-Lecco und Lecco-Como gaben die zwei Nost­al­gie­zug­fahrten Milano-Como, Como-Lecco und zurück an den Aus­gangs­punkt. Wech­sel­seitig konnten die Zugs­fahr­gäste aufs Dampf­schiff umsteigen. Wer nur die See­fahrt erleben wollte, hatte ent­spre­chende Tickets auf Reser­vation oder an der Tages­kasse zur Ver­fügung. Die Navi­ga­zione erwei­terte das Angebot am 4. Dezember mit zwei Fahrten und am 11. Dezember mit einer Kaper­fahrt am frühen Abend. Leider ereignete sich am ersten der beiden Daten eine Maschi­nen­panne, welche zum vor­zei­tigen Abbruch der Reise führte. Das reg­ne­rische Wetter lockte an jenem Tage nur wenige Gäste an Bord.

Umso schöner war dann der 11. Dezember: Der Nordföhn wühlte den See auf und die über 100 Gäste genossen den eben­falls weih­nachtlich geschmückten Dampfer Con­cordia. Die Navi­ga­zione erwei­terte das Pro­gramm jenes Tages mit zwei zusätz­lichen Halten in Cern­obbio und Bellagio. Das erlaubte die Mit­fahrt auf einem kür­zeren Abschnitt, falls jemand nicht die mehr­stündige Reise ein­planen konnte.»

Auch Mario Gavazzi äussert zum Schluss seines Berichtes einen viel geäus­serten Wunsch in Richtung Luzern: «Es bleibt die Hoffnung, die Zukunft möge uns ver­mehrt solche Anlässe bringen. Auf dem Vier­wald­stät­tersee wartet man sehn­lichst darauf, die Win­ter­fahrten mit dem DS Uri abwech­selnd zu den auf Luzern und Umgebung beschränkten kuli­na­ri­schen Rund­reisen auch als Kurse bis Flüelen im Pro­gramm zu erleben. Ob der Wunsch ange­sichts des 200-Jahr-Jubi­läums der Dampf­schiff­fahrt in der Schweiz im 2023 (Beginn Lac Léman 1823) in Erfüllung geht?»

Im zweiten Teil dieses Win­ter­dampf-Rück­blickes fahren wir mit Dampf­schiffen auf dem Lac Léman und auf der Elbe in Dresden.

Der frühe Win­ter­ein­bruch bescherte der «Uri» ein weisses Schnee­kleid; (13. Dezember 22), später im Dezember wurde es dann mit fast 20 °C sommerlich…

DS Blüm­lisalp vor der impo­santen Berg­ku­lisse des Berner Ober­landes, foto­gra­fiert in der Sil­vester-Abend­däm­merung von Ober­hofen aus.

Von den warmen Tem­pe­ra­turen pro­fi­tierte der Win­ter­dampf auf dem Thu­nersee: Dank diesen konnten auch die Aus­sen­plätze belegt werden, ansonsten wäre das Platz­an­gebot wegen enorm hohem Publi­kums­an­drang zu knapp gewesen.

Immer ein Erlebnis der beson­deren Art: Prosit Neujahr auf der „Blüm­lisalp“

Bereits an Sil­vester 2010/2011 ver­kehrten auf dem Lago Mag­giore auf den Abend­rund­fahrten DS Pie­monte (zusammen mit MS Antares); hier an der Anle­ge­stelle Arona.

Vor­weih­nachts­at­mo­sphäre auch beim Maschi­nenraum der «Con­cordia»

Wie­der­sehen im Maschi­nenraum der «Con­cordia»: Maschi­nisten Stefano Vaccani und Piero Fazio, Gino Qua­renghi (pens. Chef­ma­schinist Lago di Como) und Fran­cesco Alba­relli, desi­gnierte Prä­sident der Asso­cia­zione Pir­oscafi Lariani.

Zwi­schenhalt in Bellagio vor der Wei­ter­fahrt nach Lecco

Bilder im Textteil: Win­ter­stim­mungen auf dem Vier­wald­stät­tersee mit DS Uri bei der Weg­fahrt im Schnee­treiben (16.12.2022, oben) und auf dem Thu­nersee mit gut belegten Aus­sen­plätzen (2.1.2023).

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Win­ter­dampf 2022/23 Teil 2 Link

Impressum

Bild 1 S. Cat­taneo, Bild 2 E. Mischler, Bilder 3, 4 sowie im Textteil 1 H. Amstad, Bilder 5 bis 8 sowie im Textteil 2 M. Gavazzi

Text H. Amstad

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