Die Hotel­schiff­fahrt in Ober­ita­lien: der Canale Bianco als Alter­na­tive (2. Teil)

Der erste Teil des Berich­tes über die Ent­wick­lung der Hotel­schiff­fahrt auf dem Po zeigte die Anfänge der Fluss­kreuz­fahrt bis 2013 auf. Dabei redu­zierte sich die fahr­bare Stre­cke von Cre­mona im Jahr 1997 immer wei­ter fluss­ab­wärts zuerst nach Susti­mente im 2013, spä­ter gar nach Pole­sella. Noch­mals 10 Jahre spä­ter – 2023 nun mit der „Michel­an­gelo“ (Rei­se­büro Serv­rail) unter­wegs – haben wir dann den Po per Schiff gar nicht mehr erlebt. Dies hatte sich aber noch nicht über­all her­um­ge­spro­chen, denn unsere Reise wurde noch unter dem Titel „Fluss­fahrt auf dem Po“ ver­kauft1. Croi­si­Eu­rope lässt den Po seit drei Jah­ren links lie­gen (in Fahr­rich­tung Man­tua betrach­tet), denn damals wurde der letzte Abschnitt des Canale Bianco eröff­net. Diese Was­ser­strasse ver­läuft par­al­lel zum Po und ver­bin­det die Adria mit dem 150 km ent­fern­ten Man­tua, wo in Val­daro ein gross­zü­gi­ger Fracht­ha­fen mit Gleis­an­schluss gebaut wurde. Bei mei­nem Augen­schein im Sep­tem­ber 2023 sah ich kein ein­zi­ges Fracht­schiff, doch Güter­bahn­wa­gen waren auf­find­bar mit (Schil­der-) Spu­ren von Getreide aus der Ukraine.

Für die Fluss­kreuz­fahrt­schiffe ist der Kanal mit Hin­der­nis­sen gespickt: 48 Brü­cken gilt es zu unter­que­ren, einige lie­gen so tief, dass auf dem heute hier ein­zi­gen noch ver­keh­ren­den Hotel­schiff auch die Reling auf dem Ober­deck abge­baut wer­den muss. Nach kräf­ti­gem Regen steigt auch der Pegel im Kanal, sodass dann ein Unter­que­ren der Brü­cken unmög­lich wird. Dies wie­derum bie­tet dann die Chance, auf den Po aus­zu­wei­chen, denn in die­sen Fäl­len hat der wich­tigste Fluss Ita­li­ens genü­gend Was­ser – auch ohne aus­ge­bag­gerte Fahr­rin­nen. So gesche­hen im Juni die­ses Jah­res, als die «Michel­an­gelo» für drei Tou­ren wie­der auf dem Po unter­wegs war. Das Schiff fuhr dann bis Pole­sella, also gegen­über 2013 mit noch­ma­li­ger Reduk­tion der Route. Mit gepfleg­ter Po-Fahr­rinne erreichte Hans Kauf­mann 1997 noch Cre­mona – heute defi­ni­tiv „Tempi pas­sati“ (vergl. Karte).

Der Canale Bianco eröff­net neue Möglichkeiten

Betrach­tet man die Mög­lich­kei­ten, die sich nau­tisch für grosse Schiffe in der Po-Ebene noch erge­ben, ist die heu­tige Situa­tion mit dem Canale Bianco trotz allem eine attrak­tive: Man­tua liegt deut­lich wei­ter im Lan­des­in­nern als Sus­ti­nente am Po. Seit der Eröff­nung des Kanals kann das Kreuz­fahrt­schiff nun bis in die Stadt Man­tua fah­ren und hat dort einen attrak­ti­ven, aber lang­fris­tig eher unsi­che­ren Lie­ge­platz, weil er dem Mili­tär gehört. Dies ist der Grund, dass dort ein Bun­kern mit Lebens­mit­teln nicht erlaubt ist – warum auch immer. Zu die­sem Zweck muss die „Michel­an­gelo“ über den Fluss Min­cio zum oben erwähn­ten Indus­trie­ha­fen Porto Val­daro fah­ren, wo dann auch das Bal­last­was­ser ein­ge­las­sen wird. Die­ses braucht das Schiff, um wegen den erwähn­ten Brü­cken tie­fer zu lie­gen. Die rund zwei­stün­dige Fahrt über die gestau­ten Seen und den Fluss Min­cio ist attrak­tiv, wer­den doch dabei ein Natur­pa­ra­dies mit sel­te­nen See­ro­sen-Arten, ein enger Kanal (Schritt­tempo, auf jeder Schiffs­seite noch 50 cm „spat­zig“) und eine Schleuse, die durch das 110 m lange Hotel­schiff tout juste aus­ge­füllt wird, befahren.

Auch der Canale Bianco bie­tet abwechs­lungs­rei­che Natur: Zwi­schen Val­daro und Ostig­lia wirkt das Vor­bei­glei­ten der bewal­de­ten Ufer sehr medi­ta­tiv, im alten Teil des Kanals zwi­schen Canda und Bosaro hat es einige Kur­ven und offene Teile, die einen Blick (im Gegen­satz zum Po mit sei­nem hohen Däm­men) in die Land­schaft erlau­ben. Bedau­er­li­cher­weise ist dann in Porto Viro Schluss und die Fahr­gäste müs­sen per Bus zur Lagu­nen­stadt Chiog­gia gekarrt wer­den, wäh­rend die «Michel­an­gelo» mit ihrer 25-köp­fi­gen Mann­schaft ohne Pas­sa­giere die kurze, zwei­stün­dige Mee­res­pas­sage (immer in unmit­tel­ba­rer Nähe des Fest­lan­des) zurück­le­gen muss. Dabei wurde die «Michel­an­gelo» extra so gebaut, dass sie auch grös­sere Wel­len ohne Sicher­heits­ri­siko erträgt.

Ein Fazit 2023

Die heu­tige Form, Vene­dig und andere Städte in der Po-Ebene mit dem Fluss­kreuz­fahrt­schiff zu besu­chen, ist in vie­ler Hin­sicht eine spe­zi­elle. Loh­nend für Lieb­ha­ber, die gerne genug Zeit in den Städ­ten möch­ten; ent­täu­schend für Viel­fah­rer, weil die Fahrt von Man­tua nach Vene­dig (oder umge­kehrt) bloss 20 Stun­den dau­ert. Diese Fahrt hin­ge­gen ist attrak­tiv: Ent­lang des Flus­ses Min­cio gibt es Natur pur und enge Fahr­stras­sen, die vom Kapi­tän alles abver­lan­gen. Und dann vor allem die Laguna Veneta (vene­zia­ni­sche Lagune), die sich von der Mün­dung des Flus­ses Sile im Nor­den bei Jesolo bis nach Chiog­gia und dem Bren­ta­fluss im Süden erstreckt. Die mit dem Schiff befah­rene Stre­cke von Chiog­gia bis Vene­dig gilt als eine der schöns­ten der Welt, was ich bestä­ti­gen kann. Obwohl die Lagune 550 km2 gross ist, gibt es bloss eine schmale Fahr­rinne, die in unmit­tel­ba­rer Nähe von rund einem hal­ben Dut­zend schmu­cken Dör­fern der Neh­rung2 ange­legt ist. Die unter­ge­hende Sonne im Wes­ten und die von rotem Son­nen­licht ange­strahl­ten Häu­ser im Osten erge­ben Welt­klasse-Bil­der und Stimmungen.

Eben­falls ein­zig­ar­tig sind die Lie­ge­plätze der zwei heute noch ver­keh­ren­den Hotel­schiffe in Vene­dig: Der Quai des Sept Mar­tyrs (Vapo­retti-Sta­tion Giar­dini, wo auch die Bien­nale statt­fin­det) liegt rund 15 Geh­mi­nu­ten vom Mar­kus­platz ent­fernt und bie­tet ost­wärts grosse Grün­flä­chen. Der Quai San Basi­lio im Wes­ten der Stadt (mit der gleich­na­mi­gen Vapo­retti-Sta­tion) liegt näher am Bahn­hof und bie­tet wenige Schritte ent­fernt einen Ein­druck vom ein­hei­mi­schen Leben, weil prak­tisch keine Tou­ris­ten zu sich­ten sind.

Die Medien berich­ten hier­zu­lande regel­mäs­sig über den Over­tou­ris­mus in der Lagu­nen­stadt, über Men­schen­mas­sen, die auf der Rial­to­brü­cke ein Vor- oder Rück­wärts­kom­men ver­un­mög­li­chen. Soll man da über­haupt noch diese Hot­spot-Stadt besu­chen? Schrift­stel­ler Marc Hofer hat im Journal21 eine für mich tref­fende Ant­wort geschrie­ben: „Vene­dig ist Insze­nie­rung, ein immer wie­der neu auf­ge­führ­tes Stück um Wer­den und Ver­ge­hen, an dem teil­zu­ha­ben es sich lohnt.“ … „Der Besuch die­ser Stadt ist unver­gleich­lich, wenn man sich auf sie ein­lässt, neu­gie­rig ist und die aus­ge­tre­te­nen Pfade der Mas­sen­tou­ris­ten mei­det. Manch­mal genügt es, in einer Gasse eine unge­wohnte Abzwei­gung zu neh­men, sich im Gewirr zu ver­lie­ren und an einer über­ra­schen­den Stelle wie­der auf­zu­tau­chen, wo die alten Geheim­nisse der Stadt zu erah­nen sind.“ … „Vene­dig wird wegen des Kli­ma­wan­dels viel­leicht ein­mal im Meer ver­sin­ken. Zuvor aber wird das Fest des Lebens gefeiert.“

Die «Michel­an­gelo» bun­kert nebst Lebens­mit­tel und Bal­last­was­ser auch Trink­was­ser (im Bild) im Indus­trie­ha­fen Porto Valdaro.

48 Brü­cken über­span­nen den Canale Bianco. Sie sind z.T. so nied­rig, dass bei hohem Was­ser­stand die «Michel­an­gelo» auf den Po aus­wei­chen muss.

«Roman­ti­sche» Schleu­sen sor­gen auf dem Kanal für einen aus­glei­chen­den Was­sers­rand zwi­schen Man­tua (19 m ü. M.) und dem Meeresspiegel.

Des einen Leid, des andern Freud: feh­len­des Geld ver­nach­läs­sigt die Pflege des Canale Bianco, dafür bekommt man den Ein­druck, durch eine intakte Natur­land­schaft zu fahren.

Der in West-Ost-Rich­tung gele­gene Kanal ermög­licht herr­li­che Mor­gen- resp. Abend­stim­mun­gen, vor­aus­ge­setzt, man «steht mit der Sonne auf».

Abend­däm­me­rung zwi­schen Meer und Lagune: von unten nach oben ist erkenn­bar das Son­nen­deck und die Reling der «Michel­an­gelo» sowie die Mauer, die stel­len­weise die natür­li­che Neh­rung zwi­schen der Lagune und der Adria (im Hin­ter­grund) ersetzt.

Eines von einem hal­ben Dut­zend Dör­fer, die die Neh­rung wie eine Per­len­kette säu­men. Dabei fährt das Schiff auf über 25 km der Neh­rung entlang.

Anle­ge­stelle der Fluss­kreuz­fahrt­schiffe Giar­dini (Quai des Sept Mar­tyrs), wenige Minu­ten von den tou­ris­ti­schen Hot­spots entfernt.

Bil­der im Text­teil: Hier die andere Anle­ge­stelle San Basi­lio. Früh auf­ste­hen lohnt sich: Mor­gen­stim­mung an Bord der «Michel­an­gelo». Über­sichts­karte der im (B)Logbucheintrag erwähn­ten Örtlichkeiten.

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Am Schluss des Blogs ist Ihr Kom­men­tar willkommen.

Hin­weise

1) Im Jahr 2023 erschie­ne­nen Rei­se­füh­rer der JPM Publi­ca­ti­ons SA steht noch nost­al­gisch: „Eine Schiffs­reise von Vene­dig nach Cre­mona fängt meist mit einem Stadt­be­such von Vene­dig an, dann geht es los in der Lagune“ nach Chiog­gia, „wei­ter durch das Po-Delta mit sei­nem Regio­nal­park und fluss­auf­wärts nach Wes­ten, wo unter­wegs einige beson­dere Städte mit Kunst und Kul­tur zum Besuch einladen.“

2) Eine Neh­rung ist ein schma­ler Land- oder Sand­strei­fen, der einen Brack­was­ser­be­reich vom offe­nen Meer abtrennt. Hier trennt die bewohnte Neh­rung die Vene­dig-Lagune von der Adria ab.

Impres­sum

Text und Bil­der H. Amstad

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