Die letzte echte Schiffsküche der Schweiz verschwindet: Ende der Beat Zürcher Kulinaria auf dem Zugersee
Während 36 Jahren stand Beat Zürcher am «Kochherd» verschiedenster Zugersee-Schiffe, zuerst als Geschäftsführer bei der WALIRAWI Restaurations AG, ab 1994 Geschäftsleiter seiner eigenen Firma. Auch als Chef von zwölf erfahrenen Festangestellten, die das ganze Jahr Arbeit hatten und weiteren 25 Festangestellten plus 15 Aushilfen während der Saison liess er sich nicht nehmen, regelmässig selbst den «Kochlöffel» zu schwingen. Ich erinnere mich gerne an seine Einsätze auf dem Lunchschiff, wo er jeweils innert kurzer Zeit (zu günstigen Preisen) ein schmackhaftes Mittagessen auf den Tisch des MS Rigi zauberte.
Am Sylvester-Abend, am letzten Tag des Jahres 2019, steht das Team der «Zürcher Kulinaria» das letzte Mal in der Kombüse, ein spezieller Moment. Zu Mitternacht greifen Kapitän Peter Baier auf MS Zug und Schiffsführer Seppi Hürlimann auf MS Rigi, bisher auch das «Büroschiff» von Beat Zürcher, zum Mikrofon und bedanken sich im Namen der vielen Kunden und der SGZ-Mannschaft beim Team der Zürcher Kulinaria. Es fällt ihnen nicht leicht, die Emotionen zu verdecken. Nach Ankunft der «Zug» um halb eins im neuen Jahr nimmt Beat Zürcher am Dienststeg Schützenmatte das Schiffstau vom Chef de Service Azo Kosarova entgegen, da die «Rigi» vorher eingefahren ist. Die Neujahrswünsche und Umarmungen stehen im Zeichen des Abschiedes. Eine Stunde später gehen die Lichter aus, für die Zürcher Kulinaria auf den Schiffen für immer. Für Beat Zürcher war der Zugersee sein zweites Zuhause.
Beat Zürcher zeichnete aus, dass er bis heute keine Basisküche hatte wie alle anderen Schweizer Reedereien. Er und vorab seine wichtige Stütze, Küchenchefin Meri Kozarova, kochten alles auf dem Schiff, wie früher in den Achzigerjahren bei der Firma ENK auf dem Vierwaldstättersee oder auf den Radschiffen des Genfersees noch in den Neunzgerjahren. Entsprechend waren die «Rigi» und «Zug» als vollwertige Hotelküchen ausgerüstet. Vieles kochte die Zürcher Kulinaria-Crew frisch im Bauch der Schiffe. Beat Zürcher: «Um einen gewissen Anteil Convenience Food kamen wir allerdings in den letzten Jahren auch nicht herum, um mit den extremen Spitzen umzugehen.»
Von der Kochlehre zum kulinarischen Leader der Schweizer Schifffahrt
1972 hat Beat Zürcher seine Kochlehre im Hotel Restaurant Raben in Cham bei Jo Kaufmann nach drei Jahren erfolgreich abgeschlossen. Nach Wanderjahren und Militärdienst folgte 1983 die Anfrage vom Jo Kaufmann, die Schiffsrestauration auf dem Zugersee zu führen. Beat Zürcher: «Ursprünglich wollte ich bloss eine Saison als Aushilfe machen. Ich blieb dann hier hängen…»
Sein ehemaliger Lehrmeister war beteiligt an der Schiffsrestauration WALIRAWI. Das war ein Kürzel der vier beteiligten Restaurants Waldheim Risch, Lindenhof in Lindencham, Raben in Cham und Wildenmann in Buonas. «Die Geschäftszweige waren der Saal Heinrich von Hünenberg, die Schiffsrestauration Zugersee sowie die Führung des neu organisierten Sekretariats von WALIRAWI mit Sitz zunächst in Risch. Die kaufmännischen Fähigkeiten erlernte ich von Josef Schriber vom Hotel Waldheim.»
Zwischen 1983 und 1992 wurden für Bankette in einem dieser vier Betrieben gekocht und aufs Schiff geliefert. Zürcher erinnert sich: «Das waren damals logistische Abenteuer und ein ziemlicher Zirkus.» Berühmt waren damals die Mittwochabend-Fahrten nach Immensee: «An Bord war ein Tanzorchester. Die Schiffe fuhren zwei Mal am Abend zum Restaurant Rigiblick, wo die Leute das Abendessen genossen.» Mit der Zeit hatten die Fahrgäste keine Plätze mehr in Immensee – das war die «Geburt» der vielfältigen Abendfahrten! In den folgenden Jahren wuchs die Firma WALIRAWI stetig, das Seerestaurant Casino in Zug und weitere Betriebe kamen hinzu. Auch die Gastronomie auf den Schiffen wurde stetig erweitert und das Angebot ausgebaut. Bei der SGZ wurde früh erkannt, dass eine gut geführte Gastronomie für die Schifffahrt einen Mehrwert mit sich bringt.
Zürcher: «Eine optimale und reibungslose Zusammenarbeit zwischen beiden Betrieben ist das A und O für zufriedene Gäste und wirtschaftlichen Erfolg.» Der Basler Rhein und der Zugersee waren die ersten in der Schweiz, die auf Frühstücksfahrten setzten und damit grossen Erfolg hatten. Es war in den Achzigerjahren für uns eine schöne Familientradition, jeweils am Ostersonntag das erste Kursschiff zu besteigen. Ruth Wey empfing uns jeweils in Oberwil, um das ausgiebige und gepflegte Frühstück zu geniessen. Damals bis heute stand zur Freude der Kinder ein Schoggi-Osterhase am Sitzplatz.
Viel erlebt auf dem See
Die Geschichte der Zürcher Kulinaria AG, in den letzten Jahren eine der führenden Gastronomiebetriebe auf Schweizer Schiffen, darf auf eine lebhafte Vergangenheit zurückblicken, «nicht alles war immer einfach», schmunzelt Zürcher: «Mit viel Herzblut, Leidenschaft und einem langjährigen Team steuerten wir in all den Jahren um manch heikle Kliffen.» Beat Zürcher musste sich immer wieder neu ausrichten und sich den jeweiligen Anforderungen der Unternehmensphilosophien der Zugerland Verkehrsbetriebe (ZVB) unter den CEOs Hans Bietenholz, Hugo Berchtold und Cyrill Weber anpassen. Es galt, mit der Psychologie der Chefkapitäne wie Armin Kobler, Peter Baier und Benj Schacht kooperativ umzugehen. Und auch die Passagiere sind andere geworden. Beat Zürcher: «Früher waren die Gäste mit Filterkaffee zufrieden. Irgendwann nicht mehr. Dadurch haben die Gäste uns immer vorwärtsgebracht.»
Vieles war nicht einfach. So erinnert sich Beat Zürcher noch gut, wie er 1983 zum ersten Kühlschrank auf MS Zug kam. Die Leute reklamierten über warmes Mineralwasser. Nach vergeblichen Anläufen über den Dienstwegen beschaffte er sich diesen selber und stellte ihn zum Buffet der «Zug». Einen Tag später standen ZVB-Direktor Bietenholz und Betriebsleiter Niederberger vor ihm und es gelang ihm nur mit Mühe, die beiden von der Chefetage von der Notwendigkeit dieses Gerätes zu überzeugen. Auch an die Anschaffung der oben erwähnten Kaffeemaschine mag er sich gut erinnern: «Die Maschine erforderte eine Wasserzuleitung, was zu einem ziemlichen Abenteuer wurde.» Trotz allem: «Der Wille und mein Traum, der beste Bordgastronome der Schweiz zu sein, gab mir immer wieder Motivation, nicht aufzugeben.»
„Bei meinem Beginn 1983 hatten wir bloss einen Saisonbetrieb, den damaligen Jahresumsatz erreichen wir heute in einem Monat,“ bilanziert Zürcher. Der Jahresumsatz der Schiffsrestauration lag zuletzt bei rund 2,3 Millionen Franken.
Zürcher als Schiffsexperte
Unter der ZVB-Leitung von Hugo Berchtold konnte Beat Zürcher den «Untergrund» der drei neuen Schiffe Rigi, Schwyz und Zug nach seinen Vorstellungen bauen: «Das MS Rigi 1992 war das erste, bei dem wir eine vollwertige Küche eingebaut haben – auf einem der ersten schweizweit. Die ‘Rigi’ sollte eine komplette Gastronomieküche erhalten, damit die vorgekochten und transportierten Speisen definitiv der Vergangenheit angehörten. In Zukunft sollten alle Speisen frisch auf dem Schiff zubereitet werden können» Der damalige Direktor der Meidericher Werft gab einmal zu Protokoll, dass er sich das nicht gewohnt sei, dass «Köche meine Schiffspläne umzeichnen».
Wohl wie kein anderer las Beat Zürcher jeden Buchstaben der Dampferzeitung. Er wurde so zum Schiffsexperten, der bis heute genau weiss, wo was nautisch läuft. Zürcher: «Vieles ändert sich in der Welt, einige Dinge aber bleiben – so das Schnüerli durch das Loch der Dampferzeitung zum Aufhängen im Fahrgastraum, das in all den Jahrzehnten gleichgeblieben ist. Sowas fasziniert mich.»
Seit 1993 mit eigener Firma unterwegs
Die Qualität und die Flexibilität der Gastronomie erhielt mit der Realisierung der «Rigi» 1992 einen Quantensprung. Gleichzeitig entstand innerhalb der Walirawi ein Streit, der zum Ende des Catererings für die Zugerseeschiffe führte. Das war die Stunde für den bisherigen Geschäftsleiter Beat Zürcher, eine eigene Firma zu gründen, die Beat Zürcher Restaurations AG mit Sitz in Zug. «1994 bis 1999 waren die erfolgreichsten Jahre für die Zugersee-Schifffahrt und für mich als Gastronome», blickt Beat Zürcher zurück. Die Ursachen waren ein guter Schiffs-Fahrplan und konsumfreudige Fahrgäste. Zürcher: «Diese wunderbare Erfolgsgeschichte entstand wegen Menschen, die ihrer Zeit voraus waren, in die Ferne blickten und die wirtschaftlichen Situationen mit Bravour im Voraus erkannten.» Er denkt dabei an den Verkaufsleiter der ZVB, Hansruedi Schär, oder an den Unternehmensleiter Hugo Berchtold.
Nach der Jahrtausendwende wurde das Geschäft auf dem See härter, der Fahrplan zusammengestrichen, der Weinkonsum ging zurück. «Die Ein-Glas-Regel für Autofahrer merkten wir stark.» Beat Zürcher konnte kein Gegensteuer finden und seine AG schrammte 2005 knapp einem Konkurs vorbei. Hugo Berchtold: «In einer ‘Nacht-und-Nebelaktion’ konnten wir zusammen mit der Kantonalbank Zug den kulinarischen Betrieb wirtschaftlich wieder auf solide Beine stellen.» Es folgt 2006 eine Umbenennung in Zürcher Kulinaria AG sowie Neubesetzung des Verwaltungsrats. Seither wirtschaftete das Unternehmen erfolgreich.
Das Ende einer Ära
Der Verwaltungsrat der SGZ hat sich 2018 entschieden, die Bordgastronomie neu auszuschreiben. Beat Zürcher: «Es gab im Februar 2019 eine öffentliche Ausschreibung und wir kamen unter vier Bewerbern nur auf Platz zwei – obwohl wir finanziell die beste Offerte gemacht haben. Seit Anfang Juni wissen wir, dass wir im 2020 nicht mehr auf dem Zugersee sein werden.»
Der Zuschlag bekam die Edelweiss Catering der Firma Meee AG aus dem sankt-gallischen Rapperswil unter der Leitung von Oliver Bühler**. Alles soll in Rapperswil gekocht und nach Zug gekarrt werden. Die «Latte» und die Erwartungen sind hoch. Der Wechsel lohnt sich für die SGZ nur, wenn Oliver Bühler es besser macht. Der Mangel an Fachpersonal ist auch im Gastrobereich eine Tatsache. Der Saisonbetrieb ist anspruchsvoll; gute Leute wollen ganzjährig angestellt sein. «Eine Schiffsrestauration zu führen ist neben der Bergrestauration die schwierigste Art von Gastronomie, da sie wetterabhängig ist und extreme Schwankungen unterworfen ist. Man muss dadurch enorm flexibel sein», bilanziert Beat Zürcher***. Drücken wir den Nachfolgern die Daumen!
Beat Zürcher an seiner letzten SGZ-GV mit den zwei zusammengebundenen, fahrenden Schiffen Zug und Rigi, einer nautischen Spezialität der Zugersee-Schifffahrt.
Der gleiche Mann, 36 Jahre früher, beim Vorbereiten eines kalten Buffets auf MS Zug
Vergessen geglaubte Bilder: Mit solch opulenten Buffets betrat die WALIRAWI auf Schweizer Schiffen Neuland – aus heutiger Sicht zum Schmunzeln.
Küchenchefin Meri Kozarova präsentiert das Dessertbuffet auf der (neuen) «Zug» auf der letzten Fahrt der Beat Zürcher Kulinaria AG.
Zeitsprung in die Achzigerjahre
Heute wäre es «Retro-Look», damals das «Modernste» und dazwischen «zum Abwracken»: Kelkowände, Buntgläser-Lampen und Kunststofftische wecken Erinnerungen an vergangene Zeiten, als die Gastronomie auf Schweizer Schiffen begann.
Ein letztes Mal Gastromatrosen-Dienst für Azo Kosarova und Beat Zürcher: Neujahrsmorgen 2020 um 00.45 Uhr am Dienststeg Schützematte in Zug.
Bilder 2, 3, 5 und 6 X. Schön, Text und übrige Bilder H. Amstad
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Hinweise
*) Meiderich war mitofferierende Werft für den damaligen Neubau MS Rigi. Den Zuschlag bekam dann die Bodanwerft Kressbronn.
**) Die meee ag gehört Oliver Bühler als alleiniger Aktionär. Die Firma beschäftigt rund 20 Festangestellte und über 200 Mitarbeiter im Stundenlohn, total um die 30 Vollzeitstellen. meee ag erzielte 2018 einen Umsatz von 5.3 Mio. CHF. meee steht für managed events emotions experiences.
***) Beat Zürcher betreibt mit einem Teil seiner bisherigen Crew ab dem 18. Januar 2020 das Restaurant Neuhof Kulinaria, Oberneuhofstrasse 8, 6340 Baar.
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Vielen Dank für die Aufarbeitung der sehr interessanten Geschichte … mit einem «traurigen» Ende.
Hoffentlich hat sich die SGZ nicht verkalkuliert …