Durch das technische Meisterwerk Main-Donau-Kanal: Flussfahrten in Covid-19-Zeiten
Wie fühlt sich das an, zu Corona-Zeiten mit einem Kabinenschiff unterwegs zu sein? Ich finde die Antwort konkret auf einer Fahrt von Basel nach Regensburg mit der „Thurgau Prestige“ und bin gespannt, wie sich die Schutz-Konzepte auf den Alltag, das Wohlbefinden an Bord und auf das Schifffahrtserlebnis auswirken.
Wie fast alle Schiffe standen auch die Flusskreuzfahrer den ganzen Frühling still. Die Saison wurde im 2020 in vielen Fällen gar nicht erst begonnen. Seit anfangs Juli ist die Branche im beschränkten Umfang wieder gestartet. Dank den vorangegangenen Boom-Jahren haben die Eigentümer und Reedereien die Krise bis jetzt finanziell überstanden. Stellvertretend äussert sich die Scylla-Gruppe mit Sitz in Baar und Betreiberin von 32 Schiffen, unter anderen auch von MS Thurgau Prestige, gegenüber der Schiffs-Agentur: „Die wirtschaftlichen Auswirkungen für uns und den Rest des Tourismussektors sind sicherlich immens. Wir haben das Glück, ein solides Unternehmen mit einer jahrelangen Geschichte und Tradition zu sein. Aus diesem Grund konnten wir während der gesamten Krise positiv bleiben.»
Den Reiseanbietern wie z.B. die Schweizer Firmen Reisebüro Mittelthurgau oder ThurgauTravel geht es schlechter; zurzeit „beissen sie hartes Brot“. Sie haben ihre Schiffe zum Teil in Vollcharter und müssen ihren Verpflichtungen nachkommen, dies mit gleichzeitigem Ausbleiben eines Grossteils ihrer Kundschaft. Ihr Schutzkonzept sieht vor, die Schiffe nur zu 60 % zu belegen, um die Abstandsregeln einhalten zu können. Einschneidend ist auch die Vorgabe, die Crew-Mitglieder in Einzelkabinen unterzubringen. Dies ist aus Sicht der Mitarbeitenden ein Vorteil von Corona und ich mag es diesen fleissigen Dienstleistern von Herzen gönnen. Genug Kabinen stehen wegen der 60-%-Klausel eh zur Verfügung. Zudem passen die Betreiber ihre Abläufe an Bord an. Die Auskünfte an der Rezeption geschehen hinter Plexiglas, das Tagesprogramm wird ausgehängt und nicht mehr kopiert in die Kabinen gebracht, im Restaurant hat es mehrheitlich Zweierbelegungen an Vierertischen. Tisch- und Handtücher werden täglich gewechselt.
Leinen los nach Fieber-Messen
Die Einschiffung in Basel ist etwas gewöhnungsbedürftig. Die Crewmitglieder desinfizieren die Handgriffe der eingetroffenen Koffern, in der Empfangshalle misst die medizinische Betreuungsperson Ute Pitgen die Körpertemperatur jedes ankommenden Gastes. Dies macht heute Sinn: wenn, dann jetzt. Die 64 Fahrgäste sind alle gesund und sehen etwas mit Spannung, aber mit sichtlicher Vorfreude den kommenden Tagen entgegen. Fahrgast Markus Rast: „Angst habe ich keine, sonst wäre ich gar nicht gekommen.“ Das obligatorische Tragen von Gesichtsmasken ist klar geregelt, trotzdem braucht es einen Tag, bis das alle (auch ich…) begriffen haben. Überall, wo man sitzt, sei das in der der Lounge, in der Lido-Bar oder im Restaurant ist das Tragen der Masken freiwillig. Auch auf den drei Aussendecks kommen die Masken weg. Einzig beim Gehen und Stehen innerhalb des 110 Meter langen Schiffes ist Maskenpflicht.
Die Strassburger Behörden trauen den Kreuzfahrern covidmässig nicht und wir werden in den Port Autonome verwiesen, 4 km vom Zentrum entfernt. Dafür bin ich mit einem der zahlreich vorhandenen Bordvelos schnell im Bassin Vauban, wo die französische Reederei CroisiEurope den Firmensitz und ihren Heimathafen hat. Hier liegen 12 Kabinenschiffe, unter anderem auch ihre Flaggschiffe Europe und Gérard Schmitter, mitten in der Hochsaison tatenlos vor Anker, ein wirklich beelendendes Bild.
Nach rund 24 Fahrstunden verlassen wir den Rhein in Mainz-Kostheim und biegen rechtsufrig in den Main hinein, eine Novität für mich. Die Frühaufsteher werden mit einem Blick auf die eindrückliche Skyline der europäischen Finanzmetropole Frankfurt belohnt. Dessen Wolkenkratzer präsentieren sich in der Morgensonne. Der Main wird wie die Donau flussaufwärts kilometriert, was sehr selten ist. Unterwegs nach Bamberg gibt es am Main-Ufer viele pittoreske Städtchen. Mir gefällt besonders Miltenberg, wo man nach dem Besteigen der Burg einen wunderbaren Blick auf den Verlauf des Mains geniesst. Vielerorts bieten lokale Schiffsbetriebe Rund- und Ausflugsfahrten an, worüber in einem späteren (B)Logbuch-Eintrag berichtet werden soll.
Wo Donauwasser in den Rhein fliesst
In der UNSESCO-Weltkulturerbe-Stadt Bamberg verlassen wir am 6. Reisetag den Main und fahren fast unbemerkt in den im Jahr 1992 fertig erstellten Kanal, der zur Donau führt. Hier lohnt es sich eine lokale Schifffahrtstour der Firma Kropf auf der Regnitz, vorbei an der malerischen Häuserzeile von Klein-Venedig. Markus Kropf fährt mit seinem MS Stadt Bamberg auch ins Hafenbecken II, wo die „Thurgau Prestige“ liegt. Er kennt Details zum nautischen Covid-Sommer: „700 Kreuzfahrtschiffe waren für Bamberg für dieses Jahr angemeldet, dies hier ist gerade mal das Sechste bis heute.“ Wir begegnen auf der 9‑tägigen Reise nach Regensburg gerade mal sechs anderen Schiffen: zwei des Schweizer Anbieters Mittelthurgau (MS Excellence Queen vor Würzburg und MS Excellence Baroness nach Nürnberg), zwei des deutschen Anbieters Phönix-Reisen (MS Alena in Speyer und MS Anna Katharina, ebenfalls ein Scylla-Schiff, in Regensburg) sowie je eines des amerikanischen Anbieters Taulk, der aber mit vornehmlich deutschen Reisegästen unterwegs ist (MS Grace in Strasbourg, Reederei Scylla) und des englischen Anbieters Riviera Travel mit MS Thomas Hardy (Reederei Scylla) in Frankfurt.
Nun beginnt bei Main-km 384 der 0‑km des Kanals, der den fränkischen Jura auf einer Meereshöhe von 406 m überwindet. Diese Gegend heisst auch fränkische Schweiz, weil alles so „gebirgig“ erscheint. Dieser Wasserweg ist der weltweit höchst gelegene Scheitel einer Wasserstrasse, die von einem Meer zu einem anderen Meer führt. Dank dem MDK kann also ein Schiff von Atlantik über Land zum Schwarze Meer fahren. Da am Scheitelpunkt für die Wasserstrasse kein Wasser zufliesst, muss das Wasser von der Donau in den Speichersee Bachhausen heraufgepumpt werden. Dies geschieht nachts, um den Bandstrom zu nutzen, der von Haushalten und Industrie dann nicht genutzt wird. Der MDK ist die einzige schiffbare Stelle, die die europäische Hauptwasserscheide überwindet. Das eine Donauwasser fliesst dann wieder über den Kanal nach Süden Europas, das andere nach Norden. So gelangt Donauwasser in die Nordsee…1
Für die Frachtschifffahrt gebaut
Die Schleusen im MDK sind 12 m breit und 200 m lang. Die «Thurgau Prestige» ist 11,45 m breit. Damit steht steuer- und backbord dem Schiffführer gerade mal eine Lineallänge Platz zum Manöverieren des Schiffes in und aus den Schleusen zur Verfügung. Viele Brücken sind auffallend tief gebaut, sodass während vieler Tage das Sonnendeck nicht benützt werden kann. Auf die Frage des Fahrgastes Gertraud Kleiner an den Experten Markus Urban, der an Bord einen interessanten Vortrag über den MDK hält, wieso die Brückenbauer nicht an uns Kreuzfahrer dachten, dreht dieser den Spiess um: «Wieso haben die Schiffsbauer nicht an das Wohl der Passagiere gedacht, als sie solche Monster von Schiffen bauten?». Er gab zu bedenken, dass wenn die Durchfahrtshöhe der Brücken höher wären, die Schiffe noch grösser gebaut würden…
Mit unserer Länge von 110 m hat kein zweites Kabinenschiff in der Schleuse Platz. Trotzdem führt das zurzeit aus zwei Gründen zu keinen Wartezeiten. Zum einen ist die Frequenz der Güterschiffe stark zurückgegangen2: der 1992 erbaute Kanal wurde ausgelegt für jährlich 18 Millionen t Gütertransport. Im Jahr 2000 waren es schliesslich 8,5 Mio t, im Jahr 2015 noch 4,8 Mio t, also ein Viertel der Kapazität. Der zweite Grund ist wiederum Corona zuzuschreiben: in Regensburg hätten in diesem Jahr über 1000 Kabinenschiffe angelegt, bis heute sind es hier gerade mal 10.
Vom „Schweizer Juwel“ zum „Thurgauer Ansehen“
Scylla3 liess 2009 ihr 19. Schiff auf „Swiss Jevel” (Schweizer Juwel) taufen. Es fuhr zuerst für den amerikanischen Reiseanbieter Tauck Travel, der das Kabinenschiff bis und mit 2017 unter Charter nahm. Entsprechend wurde das Schiff designmässig eingerichtet. Der Scylla-Sprecher Jef Pelkmans bestätigt, dass das Schiff «unter Berücksichtigung der Bedürfnisse und Wünsche des US-Marktes und unseres US-Kunden gebaut wurde.» Die Überseher fühlen sich offenbar wohl in einer luxuriös scheinenden Umgebung mit dunklen Holzimitationen, Messing und schwere Kronleuchter. Auch die Unterschiede zwischen den drei Kabinenarten (Hauptdeck, Mitteldeck und Oberdeck-Kabinen) sind deutlicher als auf anderen Schiffen. Seit drei Jahren hat nun das Familienunternehmen Kaufmann das Schiff unter Vollcharter, seither heisst es «Thurgau Prestige».
Nach neun erlebnisreichen Tagen sind wir nun in Regensburg angekommen. Beamte in Regensburg sind gegenüber uns Kreuzfahrern, vermutlich beeinflusst durch die schlechte Presse, die zurzeit die Kreuzfahrindustrie hat, hypersensibel und verbieten der «Thurgau Prestige» das Aus- und Einschiffen. So kommen wir Fahrgäste am letzten Morgen in den Genuss einer zusätzlichen Fahrt zum 10 km unterhalb von Regensburg liegenden Ort Bach, wo unsere Tour endet und die neuen Fahrgäste für die kommende Fahrt starten.4
Zusammenfassend kann ich meine anfangs gestellte Frage nach den Befindlichkeiten im Zusammenhang von Corona und Flusskreuzfahrten wie folgt beantworten: Die Massnahmen sind omnipräsent, verderben aber – so die übereinstimmende Meinung aller anwesenden Gäste – keinesfalls das Reise- und Schifffahrtsvergnügen. Der auffälligste Nachteil ist das Wegfallen der Buffets – alle Mahlzeiten werden am Tisch serviert. Das ist für mich im Falle spannender Tagesfahrten für das Mittagessen ärgerlich, da man gefühlt elend lange im Bauch des Schiffes auf die Gänge wartet, während draussen die schöne Landschaft vorbeizieht. Der grösste Corona-Vorteil sind die wunderbaren, ja luxuriösen Platzverhältnisse. Als neutral beurteile ich als bekennender Skeptiker gegenüber Gesichtsmasken das Tragen von solchen: es ist zwar lästig, aber mit der pragmatischen Handhabung an Bord durchaus akzeptabel.
MS Thurgau Prestige legt in Würzburg am Main an.
Die Covid-19-Massnahmen der Flusskreuzfahrten sind im Entrée des Schiffes klar kommuniziert, ohne dabei abschreckend zu wirken.
Reiseleiterin Tantjana Pirau, Hotelmanager George Pavlovszky und Kapitän Tim Gorges bei der Verabschiedung der Gäste, mit Gesichtsmaske ausgerüstet.
Das tägliche Ritual mit Fiebermessen nimmt man mit Humor.
Am Main hat es Megastädte wie Frankfurt, …
… aber auch romantische Orte wie Miltenberg.
Die «Thurgau Prestige» im Hafen von Bamberg, dem Anfang des MD-Kanals.
Bild im Textteil: Mitten in der Sommersaison ist der Winterhafen der CroisiEurope voll mit ihren Flusskreuzfahrtschiffen.
Durch Klick aufs Bild erscheint dieses im Grossformat.
Hinweise
1) Möchten Sie den Main-Donau-Kanal auch kennenlernen? Die Schiffs-Agentur hat in Kooperation mit Servrail eine solche Fahrt in unser Programm aufgenommen: vom 28. September bis 4. Oktober 2021 fährt das Boutique-Schiff Princesse de Provence von Passau über Regensburg, Kelheim, MDK, Bamberg nach Miltenberg. Dies mit einem kleineren Schiff, womit das Oberdeck nur an drei Stellen für kurze Zeit geschlossen werden muss. (Link)
2) Trotz unschlagbaren Vorteilen bezüglich Energieverbrauch pro Transporttonne und bester Ökobilanz unter allen Gütertransportmitteln hat es die Güterschifffahrt wirtschaftlich schwer. Dies liegt an der Bedeutung der Just-in-time-Kette mit minimalen Lagerbeständen am Verbraucherort. Damit spielt das Tempo der Strassentransportes eine grössere Rolle als die Ökologie.
3) Die Scylla AG mit Sitz in Baar (vormals Scylla Tours AG mit Sitz in Basel) wurde am 3. September 1973 von der holländischen Familie Reitsma gegründet. Ein zum Kabinenschiff umgebautes Rheinfrachtschiff nahm im März 1973 unter dem Namen Scylla den Betrieb auf. 1978 kam das zweite Schiff, die „Cylypso“, dazu. Nach der Umfirmierung 2010 zog sich Scylla aus dem Reisebüro-Geschäft zurück, betreute seither ihre Schiffe als Reeder und kooperieren mit den Reiseanbieter mit einem Vollcharter-Service. Zur Überraschung der Branche stieg nun die Scylla AG im 2020 wieder als Reiseanbieter ins Geschäft zurück, dies unter dem Label „Viva-Kreuzfahrten». Zur Frage, ob die Firma damit nicht ihre Hauptkunden konkurrenzieren, meint der Mediensprecher der Scylla: „Wir beabsichtigen nicht, eine Konkurrenz für unsere bestehenden Kunden zu schaffen, sondern ein neues Publikum zu erreichen in den nicht abgedeckten Gebieten des Marktes. Unsere All-Inclusive-Formel und die Auswahlmöglichkeiten in den Bereichen Kabinenausstattung, Ausflügen und Dienstleistungen zielen auf einen individuellen Lebensstil ab. Mit diesem Schritt möchten wir die Kapazitätsauslastung unserer Flotte jederzeit optimieren können.»
4) Techn. Streckenbeschreibung Basel – Regensburg:
Fluss Rhein von Basel bis Mainz (346 km) 10 Schleusen
Fluss Mosel von Mainz bis Bamberg (387 km) 34 Schleusen
Main-Donau-Kanal von Bamberg bis Kelheim (170 km) 16 Schleusen, v max für Schiffe 11 km/h
Fluss Donau von Kelheim bis Regensburg/Bach (42 km) 2 Schleusen
Total 945 km in 9 Tagen mit 62 Schleusen
Dieselverbrauch 15 000 l, Frischwasserverbrauch 190 000 l
Die km-Zahlen entsprechen den effektiv vom Schiff gefahrenen Strecke und sind damit mehr als die Flusskilometrierung angibt (Abstecher Strasbourg, Häfen-Seitenarme etc.).
Impressum
Text und Bilder H. Amstad (akt. 3.2021)
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