Eine Woche Schiff­fahrts- und Natur­ge­nuss am Donau-Delta

Im Nor­mal­fall dau­ert der Auf­ent­halt für jene Fahr­gäste, die von Öster­reich kom­mend per Schiff zum Donau­delta fah­ren, einige Stun­den für die­ses ein­zig­ar­tige Vogel- und Natur­pa­ra­dies. Diese Schiffe keh­ren in der Regel in Tul­cea um, die Gäste besu­chen nur einen klei­nen Teil des Del­tas mit Aus­flugs­boo­ten. Für anfangs August habe ich ein Ange­bot gebucht, das sich eine ganze Woche aus­schliess­lich dem Donau-Delta wid­met. Unser Schiff Dnie­per Prin­cess (eng­li­sche Schreib­weise, ukrai­nisch: Print­sesa Dni­pra) befährt alle drei gros­sen Was­ser­stras­sen des Donau­del­tas (St. Georg‑, Sulina- und der Kilya-Arm). Zahl­rei­che Aus­flüge in die monu­men­tale Was­ser­welt von Vögeln, Was­ser­we­gen und Inseln fin­den mit klei­ne­ren Aus­flugs­boo­ten statt. Klin­gende Namen von Städ­ten wie Ismail, Tul­cea, Sulina (ehe­ma­li­ger Sitz der Donau­kom­mis­sion) und Kon­stanza (das Nizza von Rumä­nien) ste­hen auf dem Pro­gramm und sogar für ein genüss­li­ches Bad im Schwar­zen Meer reicht die Zeit. Nach dem Flug nach Buka­rest erreicht man in zwei Stun­den Bus­fahrt den Aus­gangs­punkt der Fluss­reise, den rumä­ni­schen Ort Fetesti am Donau­sei­ten­arm Borcea gele­gen beim Fluss-Kilo­me­ter 300.

Unser Schiff fährt somit drei Mal ans Schwarze Meer bis zu den Hafen­städ­ten St. Georg, Sulina und Wil­kowo (am Kilja-Arm). Von dort aus stei­gen wir auf klei­nere Schiffe um, um in schmale Sei­ten­arme des Del­tas zu fah­ren. Zusätz­lich kommt eine Fahrt in Tul­cia zur sog. „Meile 35“ dazu, um wei­tere Vögel zu beob­ach­ten. Alle vier Aus­flugs­fahr­ten zei­gen ganz unter­schied­li­che Cha­rak­tere der Land­schaft und der Vege­ta­tion, keine der Fahr­ten möchte ich mis­sen. Nau­tisch am meis­ten los ist auf dem Sulina-Kanal; die Stadt Sulina ist nur per Schiff erreich­bar und nicht ans rumä­ni­sche Stras­sen­netz ange­bun­den. Hier sieht man den Delta-Express (Kata­ma­ran), Trag­flü­gel­boote und die klas­si­schen, form­schö­nen Pas­sa­gier­schiffe der NAVROM1.

Wäh­rend der gan­zen Woche tref­fen wir nur ein ein­zi­ges Kreuz­fahrt­schiff an, „was völ­lig unüb­lich ist“, wie mir der Kapi­tän Vla­di­mir Alek­s­a­schin bestä­tigt. Die Schiff­fahrt ist näm­lich zur Zeit rund 800 km west­lich unter­halb von Turnu Seve­rin wegen Nied­rig­was­ser seit Wochen unter­bro­chen. Auch bei unse­rem Abfahrts­ort Fetesti liegt der Was­ser­stand vier Meter (!) unter dem Nor­mal­pe­gel. Die bis zu zwei Kilo­me­ter breite Donau ist aber bereits so tief, dass auch unser „Mons­ter­schiff“ mit einem Tief­gang von 3,2 m dank der gros­sen Erfah­rung unse­res Kapi­täns (keine See­zei­chen sind die Regel) ohne Zwi­schen­fälle und Ein­schrän­kun­gen das ganze Pro­gramm befah­ren kann. Wäh­rend also die andern Donau­delta-Rei­sen­den mit Bus­sen her­ge­bracht wer­den (ein Weg bedeu­det 15 Stun­den Bus­fahrt), genies­sen wir umso mehr das Pri­vi­leg, dass unser Schiff bereits „unten“ ist. Das Ange­bot wäre übri­gens auch bei Hoch­was­ser mög­lich; auf unse­ren 950 km zurück­ge­leg­ten Route hat es keine Schleu­sen und sehr sel­ten Brü­cken, die alle­samt hoch über dem Schiff verlaufen.

Schwei­zer Ret­tung einer ukrai­ni­schen Reederei

Anfäng­lich dachte ich, der «Erfin­der» die­ser Fahrt drü­cke auf die Trä­nen­drüse, als Hans Kauf­mann von Thurgau­Tra­vel das Ange­bot eröff­nete mit den Wor­ten: «Die abso­lut neue, in die­ser Form noch nie ange­bo­tene Fluss­kreuz­fahrt ins Donau­delta ergab sich, weil ich mei­nem Part­ner und sei­ner ukrai­ni­schen Schiffs­be­sat­zung in der Ukraine unbe­dingt hel­fen wollte.“ Wäh­rend des Auf­ent­hal­tes in der Ukraine spüre und erkenne ich die wirt­schaft­li­che Not des Lan­des sel­ber. Die Infla­ti­ons­rate ist zur Zeit die dritt­höchste der Welt. Ich wech­selte ukrai­ni­sche Griwna Mitte Juli bei einem Kurs von 1:12, zwei Wochen spä­ter bekam ich das Geld für 1:25. Die in der Ukraine bedeu­tende Ree­de­rei Cher­vona Ruta2 (Name einer roten Pflanze, die in der Ukraine so bedeut­sam ist wie für uns Schwei­zer das Edel­weiss) hat 2015 kein ein­zi­ges Schiff mehr in Betrieb neh­men kön­nen. Der Krieg, vor einem Jahr mit dem Ein­marsch der Rus­sen im Don­bas aus­ge­bro­chen, lähmt das ganze Land, der Tou­ris­mus ist zusam­men­ge­bro­chen. Ohne die Schwei­zer Initia­tive könnte die Ree­de­rei den Kon­kurs anmel­den, wie andere im Land. Das sieht auch der Rei­se­lei­ter Alex­an­der Todo­row, ein aus­ge­wie­se­ner Ken­ner der Szene, so: «Es ist wirk­lich eine grosse Geste von Hans Kauf­mann, die Gesell­schaft zu ret­ten.“ Das Schiff bie­tet für 76 Per­so­nen einen tem­po­rä­ren Arbeits­platz für 20 Wochen. Es hat einen Arzt an Bord, eine Coif­feuse, auch genü­gend nau­ti­sches Per­so­nal. Der Kapi­tän auf dem Schiff ist wie aus einer andern Zeit; seine Erschei­nung ist cha­ris­ma­tisch, sein Rol­len­ver­ständ­nis wie aus den Anfangs­zei­ten der Dampfschifffahrt.

Sowohl auf dem rumä­ni­schen (4÷5 des Donau­del­tas) wie im ukrai­ni­schen Teil der Reise füh­ren lokale Rei­se­lei­ter die Aus­flüge. Einer davon ist der junge Natio­nal­öko­nom Tibe­riu Mihai, der mit einem Foto­ko­pier­ge­schäft in Buka­rest und als Rei­se­lei­ter sein Aus­kom­men bestrei­tet. Wort­ge­wal­tig schwärmt er vom Delta: „Die­ses ist ein ori­gi­na­les Stück der Welt, ein­zig­ar­tig in sei­ner Art, der jüngste Boden Euro­pas, benach­bart mit einem den ältes­ten Gebirgs­zü­gen des Pla­ne­ten etwa 400 Mil­lio­nen Jahre alt, ein Fleck, in dem Was­ser und Erd­reich in stän­di­gem Kampf mit­ein­an­der lie­gen, in ste­tem Wan­del begrif­fen, ein Spin­nen­netz von Kanä­len, Fest­land­strei­fen, Was­ser­adern, tro­pisch anmu­ten­den Wäl­dern, Fluss- und See­sand­dü­nen in gewal­ti­ger, stän­di­ger Metamophose.“

Die mitt­lere Durch­fluss­menge aller drei Arme beträgt 6 300 Kubik­me­ter Was­ser – pro Sekunde. Das ist so viel, dass es kaum 90 Tage dau­ern würde, um den gan­zen Boden­see zu fül­len. Jede Sekunde führt die Donau etwa 2 Ton­nen fei­nes Erd­ma­te­rial ins Meer. So ist es nicht ver­wun­der­lich, dass der Kilo­me­ter „Null“, der vor 140 Jah­ren fest­ge­legt wurde, inzwi­schen nicht mehr am Meer ist. Bei Sulina sehe ich meh­rere Leucht­türme, die heute auf dem Tro­cke­nen ste­hen. Vor allem der Kilja-Arm im Nor­den im Staat Ukraine wächst zur Zeit am schnells­ten: 40 Meter pro Jahr wird dort das Delta grös­ser. Das hat auch zur Folge, dass unser Schiff bei unse­rem Nidrig­was­ser-Stand der Donau nur bis Wil­kowo fah­ren kann, neun Kilo­me­ter im „Lan­des­in­nern“. Die Abla­ge­run­gen machen den Strom flach und somit für unser Schiff unbe­fahr­bar. Für das Aus­bag­gern fehlt der Ukraine das Geld, zumal zusätz­lich die Rumä­nen befürch­ten, dass durch diese Aktion das Delta aus­trockne. So müs­sen die Schiffe von Wil­kowo, Chi­lia und Ismail zuerst bis zu 105 km «retour» fah­ren bis zum rumä­ni­schen Tul­cia, um dann auf dem Sulina-Kanal, dem mitt­le­ren der drei Arme, das Schwarze Meer zu errei­chen3.

Der Mix aus aus­gie­bi­gem Schiff-Fah­ren, Natur pur, einer fas­zi­nie­ren­den Strom- und Auen­land­schaft, der Besuch von Ort­schaf­ten und Städte sowie die zwei Bade­mög­lich­kei­ten in Sulina und Kon­stanza hat mir gefal­len. Der unter­neh­me­ri­sche Mut des Anbie­ters hat sich gelohnt: das vor­nehm­lich aus der Schweiz kom­mende Publi­kum ist begeis­tert. Der feh­lende Luxus an Bord wird durch eine äus­serst freund­li­che Crew mehr als nur wett gemacht4.

Unser 1974 in Boi­zen­burg (DRR) gebau­tes Schiff Dnie­per Prin­cess ist für uns 100 Fahr­gäste eine gross­zü­gige „Feri­en­in­sel“ im wei­ten Gebiet des Donau­del­tas; der tiefe Was­ser­stand der Donau ermög­licht es den Scha­fen, auf der frei gewor­de­nen Flä­che zu weiden.

Blick auf den Aus­sen­stand Back­bord mit dem Kapi­tän Vla­di­mir Aleksaschin.

320 Vogel­ar­ten sind hier hei­misch und eine Mil­lion Zug­vö­gel über­win­tern im Delta.

Unspek­ta­ku­lär und trotz­dem ein span­nen­der Moment: Kilo­me­ter „Null“ der Donau auf dem St. Georg-Arm der Donau; die Donau ist einer der ganz weni­gen Flüsse, bei dem man vom Meer her die Kilo­me­trie­rung zählt.

Klei­nere Aus­flugs­schiffe brin­gen uns zu end­los schei­nen­den Schilf­be­stän­den, Was­ser­land­schaf­ten und …

… vie­len andern Vegetationsformen.

Alfred Hitch­cock lässt grüs­sen: Wenn sich die Vögel tref­fen, wird es dun­kel, hier am Quai von Sulina.

Der öffent­li­che Ver­kehr star­tet in Tul­cea mit den Navrom-Schif­fen in alle drei Delta-Arme, hier auf dem Kilja-Arm auf der Linie Tul­cia – Peri­prava. Text und Bil­der H. Amstad

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Hin­weise

1) Die 1890 gegrün­dete Schiff­fahrts­ge­sell­schaft NAVROM ist seit 1998 pri­va­ti­siert. Ab Tul­cea unter­hält sie 2 Schnell­boote (Delta-Expres 1 und 2) mit je 200 Per­so­nen Fas­sungs­ver­mö­gen und 6 klas­si­sche Motor­schiffe (Banat, Mol­dova mit je 300 Per­so­nen / Mir­ce­sti, Mara­mu­res mit je 150 Pers. und Fieni, Adria­tica mit 60, resp. 20 Pers. Von Dro­beta (Turnu Seve­rin) aus betreibt sie wei­tere vier Motor­schiffe (Ola­nesti, Govora, Vul­cana Bai, Mehed­inti) und in Galati den 1854 von Escher Wyss erbaute Rad­damp­fer Tudor Vladimirescu.

2) Zur Gesell­schaft gehö­ren die Kreuz­fahr­schiffe Print­sesa Dni­pra (Dnie­per Prin­cess, 2015 und 2016 Thurgau­Tra­vel), Dnie­per Star (fuhr 2014 für Phö­nix-Rei­sen), Gene­ral Vat­u­tin (fuhr 2014 für Nicko, z.Z. sel­ber insol­vent), Fide­lio und das Tages­aus­flugs­schiff Rosa Vic­to­ria (seit 2010, ex-KD Rüdes­heim 1987 – 2003, ex-Kai­se­rin Eli­sa­beth 2003 – 2010) http://​ruta​-cruise​.com/en

3) Nach­trag von der Reise von 2018: Auf dem gegen das Meer immer fla­cher wer­den­den Teil des Kilija-Armes gibt es zwi­schen Wil­kowo und der Mün­dung einige Sei­ten­arme, die direkt ins Meer mün­den. Einer davon ist nun für die Schiff­fahrt aus­ge­bag­gert, sodass auch Fluss­kreuz­fahrzschiffe nun von Kiew über den Dni­pro, das Schwarze Meer und die Donau bis nach Pas­sau fah­ren können.

4) Das Schiff Print­sesa Dni­pra und wei­tere Bil­der vom Delta wer­den im nächs­ten Blog näher beschrieben.

Impres­sum

Text und Bil­der H. Amstad (aktua­li­siert 3.2022)

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