Futu­ris­tische Schiffe für nost­al­gische Loire-Schlösser: Schiff­fahrt auf der Erdre.

Über­ra­schender Fundus in Nantes, dem Aus­gangs­punkt der neuen Tou­ris­ten­at­traktion MS Loire Prin­cesse*: Auf dem Flüsschen Erdre, das hier in die Loire mündet, hat es eine veri­table Schiff­fahrt mit täglich bis sechs Abfahrten je nach Saison – ein Angebot, das man in Frank­reich selten findet. Auf drei Fahrten ver­suche ich, den Gründen dieses Erfolges nach­zu­spüren. Der fran­zö­sische Rit­ter­könig Franz I. (François Ier, le Roi-Che­valier) hat die Erdre als den schönsten Fluss in seinem Reich gerühmt. Tat­sächlich sind die Baum- und Wald­gruppen auf der Fahrt durch Nantes’ Vororte beein­dru­ckend – aber das macht das Geheimnis noch nicht aus. Was fran­zö­sische Herr­scher­fa­milien aus dem 19. und 20. Jahr­hundert bewog, hier gleich rei­hen­weise Schlösser und Prunk­pa­läste auf­zu­bauen, bleibt mir beim blossen Vor­bei­fahren ver­borgen. Heute ziehen gerade diese Bauten und impo­santen Gar­ten­an­lagen viele Leute in den Bann und bilden den tou­ris­ti­schen Erfolg der „Bateaux Nantais“. Fährt man die ungefähr 20 km lange Strecke bis zur Pont de Sucé sichtet man 16 Schlösser und Herr­schafts­häuser und unter­quert sechs Brücken.**

Schiffe spielen in der 300 000-Ein­wohner-Stadt seit jeher eine bedeu­tende Rolle. Nantes war einst einer der wich­tigsten Häfen Frank­reichs. Bedeu­tende Schiffs­werften prägten das linke Stadtufer. Der Nie­dergang der Werf­ten­in­dustrie Ende der 80er-Jahre sowie der Abzug der Umschlag­plätze als Meer­hafen stürzten Nantes in eine tiefe Krise. 1989 wurde die letzte Werft geschlossen. Gründe waren die immer grösser wer­denden Schiffe, die nun die Loire gar nicht mehr befahren konnten. Heute findet dies alles 50 km westlich von Nantes statt, in St. Nazaire. Nantes hat sich inzwi­schen erholt, auch dank den Air­bus­werken und Gross­bä­cke­reien, die das ganze Land beliefern. Nantes ist eine Reise wert, es ist so lebendig wie Berlin und prä­sen­tiert sich als erfri­schende Kultur- und Natur­stadt. Die Geburts­stadt von Jules Vernes wird geprägt durch das Stadt­schloss im Zentrum, spür­bares Savoir-vivre und gross­zügige Flächen für Men­schen, Kultur und Kunst auf den Werft- und Hafen­brachen. Die sechst­grösste Stadt Frank­reichs hat sich den Titel der Grünen Haupt­stadt Europas 2013 ver­dient – als Aus­zeichnung für die gelungene Ver­bindung von wirt­schaft­lichem Wachstum einer­seits und Umwelt­schutz sowie hoher Lebens­qua­lität andererseits.

Leider wurde 1933 der Zufluss der Erdre in die Loire in einen 730 m langen Tunnel (Canal Saint-Félix genannt) gequetscht. Der kapri­ziöse Flusslauf führte oft zu Über­schwem­mungen, weshalb der deutsche Inge­nieur Karl Hotz im Zusam­menhang mit den von Frank­reich gefor­derten Repa­ra­ti­ons­zah­lungen mit der Sanierung der letzten Kilo­meter des Flusses betraut wurde. Nicht aus­zu­denken, wie es hier erst wäre, gäbe es auch noch die alten Was­ser­strassen. Ab 1920 wurden der Unterlauf der Erdre sowie diverse Neben­flüsse der Loire zuge­schüttet. Nun kam man deutlich schneller voran in der Stadt, die zuvor 30 Brücken geschmückt hatten. Betrachtet man alte Ansichts­karten von Nantes, so nahm man ihr damit viel von ihrem Charme. Ent­spre­chend startet die Flotte der Beautaux Nantais erst nach dem Tunnel beim Quai de la Motte Rouge. Diese Schiff­fahrt ist ein schönes Bei­spiel dafür, dass durch gute PR und kun­den­ori­en­tierte Angebote genügend Umsatz ermög­licht wird, eine statt­lichen Flotte zu betreiben***.

Mein erstes Erlebnis auf der Erdre ist mit der „Ouch“ (auch „Renais­sance“ genannt) eine Son­der­fahrt als Angebot der „Loire Princess“-Reise. Wir gleiten dabei durch den nächt­lichen Vorort von Nantes, ein­ge­bettet von impo­santen Baum- und Wald­partien und den erwähnten, zahl­reichen Loire-Schlössern, die hier eigentlich Erdre-Schlösser heissen müssten. Das Schiff ist bestückt mit 20 Halo­gen­schein­werfern, die nun das Ufer für uns sichtbar machen. Fas­zi­nierend zieht die Land­schaft vorbei wie eine hell beleuchtete Theaterkulisse.

Meine zweite Fahrt ist auf der „Idylle“, die im regu­lären Tou­ris­ten­pro­gramm täglich eine andert­halb­stündige Rund­fahrt macht. Auch heute ist nasses Ant­lantik-Wetter angesagt. Das bringt auch Vor­teile: die Land­schaft ist in dezentem Licht getaucht und die auf diesem Boot feh­lenden Aus­sen­plätze fallen damit nicht ins Gewicht.

Mein dritter Test gilt dem Angebot Croi­sière déjeuner, drei Stunden Bord­auf­enthalt, davon zwei­einhalb auf Fahrt, bis zur Pont de Sucé und zurück ins Zentrum. Die Kosten von 66 Euro haben sich gelohnt. Nebst der Fahrt und dem exzel­lenten Essen sind fünf ver­schiedene Weine inklu­diert, passend zu jedem Gang. Zur Enten­leber gibt es zum Bei­spiel einen schweren, süssen Weissen, zu den Krus­ten­tieren einen sehr tro­ckenen. Im Hin­ter­grund läuft Händels Hal­leluja, alle Sinne kommen auf die Rechnung. Draussen regnet es weiter, die Schlösser ziehen vorbei, ab und zu macht der Käptn eine Pirouette mit der „Hydramour“, um sowohl den Steu­erbord- wie den Back­bord­fens­ter­plätzen die Per­spektive zu gönnen. Einzig der Lärm der rund 100 besetzten Essens­gäste ist schier uner­träglich. Bei so viel Glas und Metall haben die Kon­struk­teure nicht an die Wohl­fühl­kom­po­nente Schall gedacht.

Mutiger Schiffsbau aus dem Jahrgang 1984: so attraktiv die Essens­plätze auf der „Hydramour“, so genuss­reich ist auch die fran­zö­sische (maritim ange­hauchte) Küche an Bord.

Blick nach aussen mit zahl­reichen Schlössern als kuli­na­rische Kulisse.

Die Nacht­fahrten wirken wie Nega­tiv­bilder: was sonst hell ist bildet einen schwarzen Hin­ter­grund, die Sze­nerie ist wie ein Natur-Theater im Scheinwerferlicht.

Das Flagg­schiff der Bateaux Nantais, die „Hydramour“ von aussen …

… und das 1980 erbaute MS Armoric 2 an der Station Pont de la Notte Rouge (gleich­namige Tram­station der Line 2).

Zum Betrieb gehört auch eine Fährverbindung.

Zum Schluss die wei­teren Schiffs-Por­traits: Die „Ouch“ (auch als „Renais­sance“ bekannt) …

… die „Idylle“ …

… und „La Diva 2“.

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Hin­weise

*) siehe Blog

**) Die Erdre ist ein Fluss in Frank­reich, der in der Region Pays de la Loire ver­läuft. Sie ent­springt in La Pouëze, fliesst dann Richtung West bis Südwest und mündet nach 97km im Stadt­gebiet von Nantes als rechter Neben­fluss in einen Nebenarm der Loire (Bras de la Made­leine). Die Erdre ist von der Mündung bis Nort-sur-Erdre schiffbar. In diesem Abschnitt ist sie auch Teil des Canal de Nantes à Brest, der heute jedoch nur mehr tou­ris­tisch genutzt wird.

***) Flot­ten­liste:

Hydramour 1984 MS 2‑D, 34.0 m L, 8,0 m B, 350 P.

Armoric 2 1980 MS 2‑D, 29,0 m L, 8,0 m B, 340 P.

La Diva 2 1966 MS 1‑D, 38,5 m L, 5,0 m B, 190 P.

Renais­sance (Ouch) 1981 MS 1‑D, 29,0 m L, 6,5 m B, 130 P.

L’Idylle 1966 MB, 24,11 m L, 4,27 m B, 80 P.

Nifna, techn. Daten unbekannt

Quellen

Text und Bilder H. Amstad.

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