Koh­le­dampfer Ear­nslaw auf dem Lake Wakatipu/​Neuseeland.

Ende Oktober beginnt auch in Queen­stown, das am süd­lichen Teil der Süd­insel Neu­see­lands liegt, der Frühling. Nicht nur dies ist für mich gewohn­heits­be­dürftig, sondern auch, dass die Sonne am Mittag im Norden steht, die Autos links fahren und mit Dollars bezahlt wird. Bislang hatten sie in Queen­stown einen nassen Frühling zu beklagen. Umso auf­ge­räumter ist die Stimmung auf unserer Fahrt mit dem 104-jäh­rigen Schrau­ben­dampfer Ear­nslaw, denn strah­lender Son­nen­schein begleitet uns. An solchen Tagen legt die „Lady of the Lake“, wie das Schiff von Ein­hei­mi­schen auch genannt wird, von 10 bis 18 Uhr im Zwei­stun­dentakt ab. Sonst kann schon mal eine Fahrt aus­fallen, wobei nach Aus­kunft der Ree­derei Real Journeys um 10.00 Uhr immer gefahren wird, auch im Winter. Von Mitte Mai bis anfangs Juli ist das Schiff jedoch in Revision. Aber wer geht schon mitten im Winter nach Neuseeland…

Der toll aus­se­hende Dampfer ist gut belegt mit vielen Tou­risten vor allem aus dem asia­ti­schen Raum. Auch sonst fühle ich mich hier wie in Zermatt oder auf dem Titlis: Queen­stown ist eine der Tou­ris­ten­me­tro­polen Neu­see­lands schlechthin. Im Dezember kommen dann noch die Ein­hei­mi­schen dazu, wobei Insider dann vom einen Besuch abraten. An jeder Ecke des «Dorfes» bieten Action­centers alles Erdenk­liche an, was mit Outdoor zu tun haben könnte. Base-Jumping, River-Rafting, Jet-Boat, Para­glider und Bal­looning ist noch das «Nor­malste» unter den Ange­boten*. Viel­leicht liegt der Erfolg des Dampfers mit 2 000 Fahrten jährlich darin begründet, dass es auf dem Waka­ti­pusee langsam zu und her geht und am „End­punkt“ der Fahrt genügend Zeit bleibt, sich am feinen Buffet mit lokalen Ange­boten genüsslich zu tun.

Ver­glichen mit dem spek­ta­kulär schönen und 84 km langen See, der 312 m über Meer liegt, befährt der Dampfer seit 1991 eine eher lang­weilige Strecke: er pendelt den ganzen Tag zwi­schen Queen­stown und der 11 km ent­fernten Schafsfarm Walter Peak** hin und her und benötigt für einen Weg 45 Minuten. Pro Stunde fressen zwei Rauchrohr­kessel mit je zwei Feu­er­lö­chern eine Tonne Kohle. Der Dampf treibt zwei Drei­zy­linder-Dampf­ma­schinen an, die je 250 PS Leistung pro­du­zieren. Der Bord­strom kommt von zwei 75-kW-Perkins-Die­sel­ag­gre­gaten. Die Anlage kann während der ganzen Fahrt auf der Ebene des Haupt­deckes auf einem Stabrost begangen werden, wobei der Blick frei ist auf die gesamte Anlage.

Offi­ziell heisst das Schiff TSS Ear­nslaw; TSS heisst Twin Screw Steamer. Er ist benannt nach dem in der Region höchsten Gipfel (2819 m ü M. mit Glet­scher). Die „Ear­nslaw“ wurde 1910 durch die Regierung bestellt und ein Jahr später von den New Zealand Railways (NZR) in Betrieb genommen. Zusammen mit den Schau­fel­rad­dampfern Antrimund Moun­taineer und dem Schrau­ben­dampfer Ben Lomond, wurde das Schiff als Trans­port­mittel von Schafen, Rindern und Pas­sa­gieren zu den Farmen im Bergland um den See herum genutzt. Sie war und ist von Beginn weg bis heute das grösste und schönste Schiff auf dem See.

Als in den Sech­zi­ger­jahren der Stras­senbau rund um den See aufkam, verlor die „Eaenslaw“ ihre Exis­tenz­grundlage. 1968 wurde das Dampf­schiff nur knapp vor der Ver­schrottung gerettet, indem es von Fiord­land­Travel (heute Real Journeys) gekauft wurde mit der Absicht, dieses zu restau­rieren und rein tou­ris­tisch zu nutzen. Dabei wurde auf dem Oberdeck achtern ein grosses Restaurant gebaut und der Maschi­nenraum nach oben hin geöffnet. 1984 erfolgte eine weitere Gene­ral­über­holung, bei der der 12 m hohe Schorn­stein rot und die Schale weiss gestrichen wurde. Seit 1996 behei­matet das untere Vor­derdeck ein kleines Museum, in dem infor­mativ die Geschichte des Dampfers dar­ge­stellt wird. Der his­to­rische Wert ist trotz der rein tou­ris­ti­schen Aus­richtung und der beschei­denen Rou­tenwahl sehr hoch: die „Ear­nslaw“ ist eines der letzten mit Kohle ange­trie­benen Pas­sa­gier­schiffe auf der ganzen süd­lichen Hemisphäre.

Die land­schaft­liche Sze­nerie ist ein­drucksvoll, der schöne Dampfer passt wun­derbar auf diesen grossen See. Hier legt die „Ear­nslaw“ an der Station Walter Peak an. Die Dampf­winde ist noch jede Tag in Betrieb; sie hievt jeweils den Beton­klotz (hinten rechts im Bild zu sehen) auf jene Seite, wo keine Kohle gebunkert in der Schale liegt.

Der Pianist Eleanor Muir gehört zum festen Bestandteil der Mann­schaft und wird vor allem von den asia­ti­schen Gästen geschätzt.

Nicht hinter, sondern unter den Gittern: die drei­köpfige Maschi­nisten- und Hei­zercrew hat den ganzen Tag viel zu tun, dies mit rund 12 t Kohle schaufeln und mit 20 An- und Abfahrten an Sta­tionen pro Tag.

Hohe Berge zäumen den See Wakatipu, Wald gibt es wenig, ab 2 400 m gibt es schon die ersten Gletscher.

Eine Seilbahn, Gondola genannt, bringt den Gast auf einen nahen Hügel von Queenstown …

… von dem auch die „Ear­nslaw“ zu bewundern ist.

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Hin­weise

*) Wenn es schon etwas «Ver­rücktes» sein muss, emp­fiehlt sich ein Flug mit einem 8‑Plätzer zum Flug­platz Midford Sound, der über Glet­scher, Täler mit breiten Fluss­läufen und zurück über dem Waka­ti­pusee führt. Der Midford Sound ist der nörd­lichste von 14 Fjorden an der West­küste im Süden der Süd­insel; eine zwei­stündige Schiff­fahrt ist im Arran­gement inbe­griffen und sehr lohnend. 160 m hohe Was­ser­fälle stürzen hier direkt ins Meer und auch als «Action» gedacht auf unser Aus­flugs­schiff. Bis 1600 m ragen Fels­wände aus dem Wasser und schlagen selbst den Urnersee.

**) Die Schafsfarm Walter Peak gehört seit 1991 zum gleichen Tou­ris­ten­un­ter­nehmen Real Journeys wie TSS Ear­nslaw. Das seit 1954 aktive Unter­nehmen betreibt im süd­west­lichen Zipfel der Süd­insel Neu­see­lands unter anderem 18 Schiffe (so auch zwei Hotel­schiffe für Fjord-Touren bis zu einer Woche) und 20 Busse. Seit 2013 sind sie weiter im Besitz von Ski­ge­bieten der Region.

Tech­nische Daten TSS Ear­nslaw: Baujahr 1912, Werft McGregor & Co in Dunedin (NZ), L 50.6 m, B 7.3 m, Tiefgang 2,1 m, Ver­drängung 346.8 t, 350 Pas­sa­giere. Kes­sel­druck 11,2 bar, Geschwin­digkeit 20,4 km/​h (abge­schrieben von der Info­tafel an Bord des Dampfers am 2.11.2016, z.T, wider­sprüchlich zu andern Quellen).

Quellen

Text und Bilder H. Amstad.

Weiter im Text

Dampf­er­zeitung 1/2011 S. 39f

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