MS Bür­gen­stock als öV-Shut­tle: das 20. SGV-Schiff ist eingeweiht.

Als ich am 23. Okto­ber 2011 dem letz­ten Betriebs­tag mit der his­to­ri­schen Bür­gen­stock­bahn auf den Berg fuhr, kamen bei mir Zwei­fel auf, ob das Pro­jekt des gigan­ti­schen Resorts mit­samt einer neuen Bahn je rea­li­siert wer­den kann. Ich notierte damals im Blog: „Gibt es die Staats­an­lei­hen von Katar bis dann noch, wenn es um die Finan­zie­rung des 300 Mil­lio­nen Fran­ken teu­ren Vor­ha­bens geht?“ Heute, sie­ben Jahre spä­ter, sind die kühns­ten Erwar­tun­gen in ver­schie­de­nen Bezie­hun­gen erfüllt: seit dem 28. August 2017 fährt die Bahn wie­der – neu für den Ganz­jah­res­be­trieb kon­stru­iert und his­to­risch nach­emp­fun­den. Für das 300-Mil­lio­nen-Resort­pro­jekt wer­den die Kata­ris inzwi­schen das Dop­pelte aus­ge­ben. Und oben­drein geht die SGV das unter­neh­me­ri­sche Risiko* ein, eine öffent­li­che Schiffs­ver­bin­dung zwi­schen Luzern und Kehr­si­ten im Stun­den­takt anzubieten.

SGV-CEO Ste­fan Schul­t­hess an der Medi­en­kon­fe­renz: „Das Bür­gen­stock-Resort ist ein Glücks­fall für uns – die Ver­bin­dung über den See eine Her­zens­an­ge­le­gen­heit. Wir tau­fen heute nicht ein­fach ein Schiff, son­dern eine neu­ar­tige Ver­kehrs­ver­bin­dung. Dass ein Schiff und eine Berg­bahn 365 Tage im Jahr fast 24 Stun­den im Ein­satz ste­hen, gibt es hier­zu­lande sonst nir­gends.“ Er gibt auch zu beden­ken, dass die heu­tige durch­schnitt­li­che Tages­fre­quenz von rund 400 Per­so­nen mit dem bis­he­ri­gen MS Tit­lis nicht für eine Ren­ta­bi­li­tät reicht: „Es braucht das Dop­pelte, damit die Rech­nung stimmt.“ Die Ver­ant­wort­li­chen zei­gen sich opti­mis­tisch. An der Quan­ti­tät der Ver­bin­dung kann es nicht mehr lie­gen, falls sich die Fre­quen­zen nicht so ent­wi­ckeln wür­den wie nötig: Im Som­mer erreicht man Kehr­si­ten-Bür­gen­stock 21 Mal, je nach Ver­kehrs­tag 20 Mal, und in der Gegen­rich­tung 24 (resp. 22) Mal auf dem See­weg. Bruno Schöp­fer, Mana­ging Direc­tor der Katara Hos­pi­ta­lity Switz­er­land AG: „Das Schiff braucht die Bahn, die Bahn braucht das Schiff.“

Für die Hotel­gäste und Mit­ar­bei­ten­den sind Stand­seil­bahn und Schiff-Shut­tle gra­tis. Jeder Hotel­gast zahlt eine Pau­schale an die See­ver­bin­dung, egal, ob er den Ser­vice nie oder x‑Mal benutzt. Schöp­fer: „Auch der Auto­mo­bi­list wird dann per Bahn und Schiff nach Luzern shop­pen gehen.“ Jetzt ist das Hotel-Resort gefor­dert, dass die Gäste das Ange­bot auch nut­zen; erwar­tet wer­den lang­fris­tig 100 000 Tages­gäste im Jahr. Auch die Poli­tik der Kan­tone Nid­wal­den und Luzern hat noch „Haus­auf­ga­ben“. Ob Bahn und Schiff als öV-Linie öffent­li­che Abgel­tun­gen erhal­ten, ist nach wie vor ein Streit­punkt zwi­schen den bei­den Kan­to­nen. Die Folge ist unter ande­rem, dass die 6‑minütige Bahn­fahrt auf den Bür­gen­stock hor­rende 50 Fran­ken kos­tet, mit GA und Halb­tax 25 hin und zurück. Der an der Taufe anwe­sende Nid­wald­ner Regie­rungs­rat Alfred Bos­sard zur SA: „Der Leis­tungs­auf­trag für die öffent­li­che Erschlies­sung ging an die Post­au­to­ver­bin­dung von Stans­stad zum Bür­gen­stock. Eine zweite Linie wol­len wir nicht finan­zie­ren.“ Die Schiff­fahrts­li­nie sei aus­ser­dem auf Luzer­ner Hoheits­ge­biet, die Bahn und die Hotels auf Nid­wald­ner Boden. Der Nid­wald­ner Regie­rungs­rat habe keine recht­li­chen Grund­la­gen, in andern Kan­to­nen Abgel­tun­gen zu zah­len, führt er aus. Ich frage mich, ob der auf Spar­kurs fokus­sierte Kan­ton Luzern diese Linie nicht unter­stüt­zen will, weil die Wert­schöp­fung in einem andern Kan­ton pas­siert? In die­sem Fall würde der Luzer­ner Finanz­di­rek­tor über­se­hen, dass viele Ange­stellte – dank der Schiffs­ver­bin­dung – im Kan­ton Luzern woh­nen und dass das Bür­gen­stock-Publi­kum durch­aus eine Kauf­kraft hat, in Luzern eini­ges „lie­gen zu las­sen“. Bruno Schöp­fer gibt nicht auf: „Ich hoffe, dass das noch kommt.“

Nun hat nebst dem Gen­fer­see (MS Léman und MS Ville de Genève) auch der Vier­wald­stätter­see ein Pend­ler­schiff, das aus­schliess­lich für einen öV-Shut­tle geeig­net ist. Das Schiff ist auch in ande­rer Hin­sicht unge­wöhn­lich. Ruedi Sta­del­mann, Lei­ter der SGV-Toch­ter Shiptec: „Wir haben eine moderne und öko­lo­gisch sinn­volle Brü­cke zwi­schen Luzern und dem Bür­gen­stock Resort gebaut.“ Er spricht von drei Her­aus­for­de­run­gen beim Bau von MS Bür­gen­stock:. „Länge ist eine Funk­tion von Geschwin­dig­keit.“ Da die Länge aus Platz­grün­den beschränkt war, für den Stun­den­takt aber eine regu­läre Geschwin­dig­keit von 32 km/​h erreicht wer­den soll, ist sie nun auf zwei Schiffs­kör­per ver­teilt. Zwei­tens soll öko­no­misch und öko­lo­gisch der Die­sel­ver­brauch mini­miert wer­den. Sta­del­mann: „Das Schiff wird im Jahr über 100 000 km zurück­le­gen – mehr als jedes andere SGV-Schiff. Da schen­ken 10 % Die­sel­ein­spa­rung gegen­über einem kon­ven­tio­nel­len Antrieb mas­siv ein.“ Im Luzer­ner See­be­cken wird mit nied­ri­ger Geschwin­dig­keit elek­trisch gefah­ren, aus­ser­halb mit Die­sel­mo­to­ren, die dann nicht ver­brauchte Bewe­gungs­en­er­gie in elek­tri­sche umwan­deln, um die Bat­te­rien wie­der zu laden. Als Drit­tes erwähnt der Inge­nieur die extrem kurze Bau­zeit. „Sie betrug nur 3,5 Monate.“ Das Schiff ist in Modul­bau­weise fabri­ziert wor­den: „Jedes Modul kann mit einem LKW trans­por­tiert wer­den.“ So erhofft sich die Shiptec, künf­tig die­sen Schiffs­typ (Shut­tle Ferry Boot SF 55 genannt) auch auf andern Gewäs­sern „wie auf dem Luga­n­er­see oder auf dem Rhein“, so Sta­del­mann, bauen zu kön­nen. Ste­fan Schul­t­hess: „Die Dis­kus­sion dar­über, wie das Was­ser künf­tig ins öV-Netz inte­griert wer­den kann, wird in ganz Europa geführt“. Mit dem neuen Schiff sei man nun ganz vorne dabei.

Der Kata­ma­ran wird pro Tag rund 18 Stun­den in Betrieb sein, wes­halb eine ein­fa­che und schnelle War­tung von gros­ser Bedeu­tung ist. So steht ein drit­tes Moto­ren­paar in der Werft bereit, das über Nacht ein­ge­baut wer­den kann, wenn Moto­ren­re­vi­sio­nen auf dem Pro­gramm ste­hen. Diese Arbei­ten wer­den künf­tig nicht mehr an Bord gemacht. Der öV-Trans­port­ge­danke steht auch beim Innen­aus­bau im Vor­der­grund. Aus die­sem Grund gibt es keine Gas­tro­no­mie an Bord und die Bestuh­lung ist wie in einer S‑Bahn oder einer Fähre – auf MS Bür­gen­stock aller­dings wesent­lich kom­for­ta­bler. Aus­ser die Aus­sen­bänke; die bil­lig wir­ken­den Plas­tik­din­ger sind unbe­quem. Dar­auf ange­spro­chen meint Ruedi Sta­del­mann: „Es war eine Frage des Budgets.“

Für mich noch gewöh­nungs­be­dürf­tig sind die nach hin­ten auf­stei­gen­den Design­li­nien des Schif­fes. Jan Kuh­nert, CEO von judel/​vrolijk und als sol­cher Part­ner von Rolf Vro­lijk, dem Schöp­fer der Ali­nghi, erklärt mir das so: „Es ist ein Spiel der Linien. Das Schiff drängt zum einen dadurch optisch nach vorne und zum andern ergibt sich dadurch eine leichte Auf­fä­che­rung der Linien nach hin­ten. Damit nun das Schiff optisch nicht nach vorne kippt, haben wir, bevor die Auf­bau­ten begin­nen, auf den Schwimm­kör­pern auf­stei­gende Blen­den designt.“ Ein­hel­li­ges Lob höre ich von den Schiffs­füh­rern. Stell­ver­tre­tend der zuge­teilte Haupt­schiffs­füh­rer Andreas Fischer: „MS Bür­gen­stock ist für mich nau­tisch klar das beste SGV-Schiff.“

Alfred Boss­hard schwang nicht nur als Nid­wald­ner Finanz­di­rek­tor und damit Direktin­vol­vier­ter des Bür­gen­stock-Resorts, son­dern auch in der Rolle als VR-Vize­prä­si­dent der SGV eine Tauf­rede: „Nach Edel­stei­nen und Wol­ken gibt es einen Bruch in der Namens­ge­bung; das neue Schiff trägt einen klas­si­schen Namen, dies im Gegen­satz zum futu­ris­ti­sche Design des Schif­fes. Der Erfolg der SGV geht zurück auf die Dampf­schiffe. Die SGV lebt die Tra­di­tion und die Inno­va­tion; Inno­va­tion ist eine ver­tiefte Wei­ter­ent­wick­lung von Tra­di­tion.“ Damit gelang es ihm, offen­sicht­lich Wider­sprüch­li­ches zu ver­bin­den. Die Taufe voll­zog beim Euro­pa­platz am Schiffsteg 6 Fran­ziska Bitzi, Stadt­rä­tin von Luzern.

VR-Vize­prä­si­dent Alfred Bos­sard: „Die SGV lebt die Tra­di­tion und pflegt die Inno­va­tion“, in einem Bild eingefangen.

Soeben hat Fran­ziska Bitzi das Schiff getauft, ein Tages­feu­er­werk sorgt für Schall und Rauch.

Dort ist der Bür­gen­stock“, scheint SGV-CEO Ste­fan Schul­t­hess ® den bei­den andern „Offi­zi­el­len“, dem NW-Regie­rungs­rat Alfred Bos­sard und dem Direk­tor der Katara Hos­pi­ta­lity Bruno Schöp­fer (l) zu erklären…

Und hier der Blick auf den Berg aus der Sicht des Schiffs­füh­rers; links und rechts erkenn­bar die bei­den „Kufen“ des Kata­marans, die das Was­ser durchschneiden.

Beson­dere Begeg­nung auf der Jung­fern­fahrt: bis­he­ri­ges Shut­tle­schiff Tit­lis (1951) kreuzt sein Nach­fol­ger Bür­gen­stock (2018).

Die auf­ge­fä­cherte Struk­tur des Schif­fes ist hier zu erken­nen, im Hin­ter­grund zwei von meh­re­ren Hotel­kom­ple­xen des Bürgenstockes.

Durch Klick aufs Bild erscheint die­ses im Grossformat.

Am Schluss des Blogs ist Ihr Kom­men­tar willkommen.

Hin­weise

*) Um das finan­zi­elle Risiko zu begren­zen, wurde eine Toch­ter-Firma gegrün­det, die SGV Express AG. Im Falle eines Flops kann das Schiff dank der Modul­bau­weise leicht zer­trennt und auf einem andern Gewäs­ser ein­ge­setzt wer­den. An die Kos­ten von 6 Mil­lio­nen Fran­ken leis­te­ten Bund und betei­ligte Kan­tone 2,5 Mil­lio­nen in Form eines zins­lo­sen Dar­le­hens; dies im gesetz­li­chen Rah­men des NRP (Neue Regio­nal­po­li­tik des Bundes).

Quel­len

Bild 3 zen­tral­plus, Text und übrige Bil­der H. Amstad.

Tech­ni­sche Daten:

MS Bür­gen­stock (Kata­ma­ran), ent­wi­ckelt und gebaut von der Shiptec AG in Luzern, gestal­tet von judel/​vrolijk & co Bre­mer­ha­ven. Kiel­le­gung Sep­tem­ber 2017, Jung­fern­fahrt 24. Mai 2018. Masse leer 94.5 t (bela­den 120,9 t), L 38.0 m, B 10.40 m, Tief­gang bela­den 1,44 m, Decks­flä­che 300 m². 2 x Sca­nia (DI16) 552 kW Die­sel­mo­to­ren, 2 x Sie­mens 180 kW Elek­tro­mo­to­ren, total 1104 kW, v max. 35 km/​h. 300 Fahr­gäste, Besat­zung 2.

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