Nautische und politische Herausforderungen zwischen Venedig und der Po-Ebene (1. Teil)
Das hatte sich Hans Kaufmann, der Schweizer Flussfahrten-Pionier, anders vorgestellt, als er 1997 als erster auf dem Po ein Kreuzfahrtschiff auslaufen liess. Bereits acht Jahre später zog er seine „Venezia“ wieder zurück. Dabei erhielt sein Angebot beim Start grossen Applaus: „Erste Luxuskreuzfahrt auf dem Po“, „Dollar und Deutsche Mark schwimmen den Po herunter“ oder „Ein Schweizer Schiff legt in unserer Stadt (Cremona, Bem. HA) an“, waren die Schlagzeilen in den italienischen Medien. Kaufmann, damals Geschäftsführer des Reisebüros Mittelthurgau,1 charterte dazu das Scylla-Schiff Olympia, welches, auf einem Dockschiff verfrachtet, von Holland nach Venedig transportiert und dort in „Venezia“ umgetauft wurde.
Gute Ideen finden rasch Nachahmer: Im Jahr 2001 waren bereits vier Schiffe mit Ausgangspunkt Venedig auf dem Po unterwegs: MS Casanova von der Reederei Peter Deilmann, MS River Cloud II von Sea Cloud, MS Michelangelo von CroisiEurope (bereits seit 2000) und eben das MS Venezia von Scylla Tours Reisebüro Mittelthurgau. Aus später aufgeführten Gründen verliessen drei Schiffe bis Ende 2005 Oberitalien wieder und nur noch die „Michelangelo“ blieb bis 2012 übrig (siehe auch die Zusammenstellung in der rechten Spalte „Weiter im Text“).
2012 versuchte Nicko Tours erneut, das Potential Venedig und Po-Ebene touristisch zu nutzen und brachte die „Bellissima“ in die Lagunenstadt. 2013 zog die amerikanische Reederei Uniworld River Cruises mit MS River Countess nach, bevor sich dann nach dem Unfall der «Costa Concordia» die behördlichen Rahmenbedingungen erneut verschlechterten und Nicko Tours kurz vor ihrer Insolvenz 2014 die «Bellissima» wieder abzog. Seither fahren die beiden Einheiten Michelangelo (mit europäischen Gästen und entspr. Preisniveau) und River Countess (mit amerikanischen Gästen und doppeltem Preis, 2019 In S.S. Venezia» umgetauft2), als einzige Flusskreuzfahrtschiffe in ganz Italien.
Auch wenn die folgende Reportage viel von Herausforderungen berichtet, sei vorweggenommen, dass bis heute eine Schifffahrt in dieser Gegend faszinierend ist, angefangen beim attraktiven Liegeplatz der Flusskreuzfahrtschiffe unweit vom Markus-Platz in Venedig, über die Weltklasse-Strecke der natürlichen Nehrung (Litorale di Pellestrina genannt) entlang nach Chioggia und zu bedeutenden Kulturstädten wie Ferrara, Parma, Verona bis zur heute bestehenden „Endstation“ (oder Ausgangshafen in umgekehrter Richtung) Mantua.
Seit 25 Jahren Flusskreuzfahrt
Zurück zum Anfang der Hotelschifffahrt auf dem Po, um zu begreifen, warum die Schiffe hier schneller gehen und kommen als anderswo. Bald nach dem Start sind Schwierigkeiten aufgetreten: Die immense italienische Bürokratie machten es (und machen es noch heute) vor allem ausländischen Unternehmern nicht einfach, Innovationen (ohne Hilfe der Mafia) erfolgreich umzusetzen. Regulatorien, wie sie kein anderes Land in Europa kennt, sorgen für unternehmerischen „Heimatschutz“. Neue Hochwasserbauten am Po hatten hohe Dämme zur Folge, sodass ich auf meiner Fahrt mit MS Bellissima (Nicko 2013) von den Dörfern zum Teil nur die Spitzen der Kirchtürme und Hochleitungsmasten sah. Berlusconi liess zu Beginn seiner Regierungszeit sämtliche Baggerschiffe auf dem Po verschrotten, dies unter dem Applaus von Naturschutzorganisationen. Sein Motiv war allerdings nicht grüner Natur, sondern die Absicht, den Fluss für die Frachtschifffahrt unfahrbar zu machen. Berlusconi war nebenbei Schirmherr der grössten Lastwagenflotte Italiens…
Nebst diesen Gründen hatte die Route der Schiffe auch nicht den Vorstellungen der Kundschaft entsprochen: Die Schiffe legten vorwiegend im trostlosen Niemandsland an, und die Passagiere mussten mit Bussen zu den Städten gefahren werden, die in respektvollem Abstand zum Fluss Po liegen. Denn der Po ist ein launischer und unberechenbarer Fluss, der oft zu wenig, dann auch mal zu viel Wasser führt. „Il Po va dove vuole“, der Fluss fliesst, wohin er will, lautet ein oberitalienisches Sprichwort. Wie erwähnt zogen die Reedereien, mit Ausnahme von CroisiEurope, ihre Schiffe wieder ab.
2012 versucht der (damalige) deutsche Reiseveranstalter Nicko Tours, mit der „Bellissima“ der Monopolstellung der Franzosen Paroli zu bieten. Der Reiseveranstalter verfrachte zu diesem Zweck dieses Schiff von Wien nach Venedig. Die Luftlinie hätte zwar bloss 500 km betragen, doch die Reise des 110 m langen und 1 700 t schweren Schiffes führte um ganz Europa. Auf dem Wasserweg in Rotterdam angelangt, wurde dieses, wie alle andern Flussschiffe zuvor, mit einem Spezialschiff über die Nordsee, den Atlantik und schliesslich zum Mittelmeer transportiert. Das schwimmende Dockschiff war gross genug, um gleich noch zwei andere Flusskreuzfahrtschiffe, die für den Einsatz auf der Rhône vorgesehenen waren, nach Marseille mitzunehmen. Um Stabilitätsprobleme zu verhindern, wurden die Schiffe an das Mutterschiff angeschweisst, denn bei Wellengang durfte sich die Tausendtonnen-Fracht nicht verschieben.
Reiserouten im Diktat der Politik
Im Jahr 2013 wollte ich es selber wissen, nachdem ich die Ära von MS Venezia & Co. verpasst hatte3. Eine Fahrt mit der „Bellissima“ stand auf dem Programm. Doch es kam nächstes Ungemach auf: Das Unglück der „Costa Concordia“ (2012) schadete auch der Flussschifffahrt. Italien verbot nämlich in der Folge sämtlichen Flussschiffen das Befahren von Meerespassagen, wobei den direkten Zusammenhang mit dem Costa-Meerschiff niemand verstand. „Entgegen aller positiven Ankündigungen, eine Genehmigung für die Überfahrt (Chioggia – Po-Mündung, Anm. HA) mit Passagieren bis zum Saisonstart 2013 zu erhalten, wurde die Freigabe bis heute (April 2023, Anm. HA) noch nicht erteilt. Als Grund für die Verzögerungen wurden uns u.a. die Neuwahlen in Italien genannt“, schrieb uns der Geschäftsführer der Reederei. Und da Italien immer wieder (und häufig) wählt, steht die Erlaubnis für die kurze, zweistündige Überfahrt in unmittelbarer Küstennähe bis heute aus4…
Nachdem wir zwischen Chioggia und der Po-Mündung per Bus und über Land parallel zum Schiff transportiert worden sind, ging es 2013 auf dem Po bis nach Sustinente, wo mangels einer Anlegestelle auf Reede geankert wurde und das Tagesausflugschiff Virgilio der Reederei Negrini Andes Tours andockte. Nach dem Umstieg ging dann die Fahrt auf den Nebenfluss Mincio nach Mantua. Ein Blick auf die Karte zeigt, dass die Kreuzfahrtschiffe im Jahr 2013, also 15 Jahre nach dem Start, nur noch rund auf der Hälfte der ursprünglichen Route fahren konnten. Es sollte noch „besser“ werden, darüber berichtet der 2. Teil der Reportage – aber auch für die heute funktionierende Alternative, die über den Canale Bianco führt.
CroisiEurope-Schiffe gehören zu den elegantesten unter den Flusskreuzfahrern.
Neuerdings steuert die „Michelangelo“ über den Canale Bianco und den Fluss Mincio die Stadt Mantua an (2023).
Um von der Po-Ebene nach Venedig (und umgekehrt) zu gelangen muss das Flusskreuzfahrtschiff kurz über die Adria fahren; hier bei der Einfahrt in die venezianische Lagune in Chioggia.
Der Retrolook des Restaurants an Bord der „Michelangelo“ kommt langsam wieder in Mode…
Blick in den Maschinenraum der „Michelangelo“: gut sichtbar die Transmission zwischen den Antriebsmotoren (3 Stück) und dem Schottelgetriebe (kreisrund am Boden erkennbar), wo direkt darunter das Wendegetriebe für die Fortbewegung des Schiffes sorgt. Ausserdem befinden sich drei Generatoren an Bord, wobei mind. einer während 11 Monaten durchgehend in Betrieb ist. Leider gibt es weder in Mantua noch in Venedig einen Landanschluss für die elektrische Versorgung.
2013: Hinter Hochwasserdämmen erahnen sich Dörfer am Po.
Eine Fahrt auf dem Po hat trotzdem seinen Reiz; der Fluss wird aber seit Kurzem nur noch befahren, wenn der Canale Bianco zu viel Wasser hat.
Die „Bellissima“ legt 2013 bei Sustinente vor Anker und die Gäste sind dazumal mit Tagesausflugsschiffen nach Mantua gefahren.
Bilder im Textteil: Die „Bellissima“ wird 2012 mit diesem Dockschiff vom Atlantik zur Adria gebracht.
Dieses Bild zeigt die Situation, kurz bevor die „MSC Opera“ sich zwischen MS River Countess und den Ufermauern wegen einer Motorenhavarie zwängte.
Übersichtskarte mit den im Text erwähnten Orten: 2013 lautete die Route der „Bellissima“: Venedig – (Lagune) – Chioggia – (Bustransfer) – Taglia di Po – (auf dem Po) – Polesella – Sustinente (auf Reede, mit kleinerem Tagesausflugsschiff nach Mantua über den Mincio) und retour. 2023 lautete die Route mit der „Michelangelo“: Mantua – (Mincio bis Porto del Valdaro) – (Canale Bianco) – Porto Viro (nicht auf der Karte) – Bustransfer – Chioggia – (Lagune) – Venedig. 1997 fuhr die „Venezia“ von Venedig über den Po bis nach Cremona.
Durch Klick aufs Bild erscheint dieses im Grossformat.
Hinweise
1) Das ursprüngliche Reisebüro Mittelthurgau, welches 1969 als Tochtergesellschaft der Mittel-Thurgau-Bahn (MThB) gegründet wurde und später zu je 50 % der MThB und Viking River Cruises gehörte, erlebte 2001 nach dem Anschlag vom 11.9. in New York, einem Salmonellen-Fall auf MS Switzerland und dem Grounding der Swissair sein Ende. Der Schiffsteil ging nach dem Konkurs an die Twerrenbold-Gruppe, während der bisherige Geschäftsführer Hans Kaufmann das Reisebüro Thurgau Travel gründete.
2) Das 2023 verkehrende zweite Hotelschiff ist die „S.S.Venezia“ mit Baujahr 2003, die unter dem Namen River Countess von 2013 bis 2019 den Po befuhr. Dieses Schiff verkehrt nur noch in der Lagune (nach Murano und Chioggia), da es mit ihren drei Decks für den Canale Bianco zu hoch gebaut ist. Das für amerikanische Gäste konzipierte Schiff liegt im Hochpreissegment (mind. das Doppelte von CroisiEurope), weshalb die hohen Hafengebühren von Venedig gut drin liegen, während CroisiEurope darauf bedacht ist, längere Liegezeiten in Mantua zu planen.
Die heutige “S.S.Venezia» kam 2019 unfreiwillig in die Weltschlagzeilen. Das Kreuzfahrtschiff „MSC Opera“ – damals durften die Ozeanriesen bis in die Nähe des Bahnhofes von Venedig fahren – wurde bei der Venedig-Durchfahrt manövrierunfähig. Das Schiff driftete im flachen Winkel gegen das Ufer von San Basilio. Dabei schob sich der Bug zwischen den vertäuten Flusskreuzfahrer River Countess und den Quai. Die „River Countess“ wurde dabei von den Seilen losgerissen und Richtung Fahrrinne getrieben. Einigen Passagieren gelang noch der Weg über die Gangway, andere sprangen ins Wasser. Dabei erlitten fünf Fahrgäste Verletzungen. Das Schiff wurde stark beschädigt. Nach seiner Reparatur lief es dann unter dem neuen Namen „S.S.Venezia“ aus. Video siehe Link.
3) 1997 dachte ich mir, diese neue (und spannende) Reise laufe mir nicht davon. Doch es kam anders. Das Learning daraus: Neue Schifffahrtsangebote können so schnell wieder verschwinden, wie sie gekommen sind, so erlebt auch auf der Route Danzig – Königsgrad über das polnische Haff mit der „Johannes Brahms“ oder beim Angebot von Helsinki nach Savonlinna (mit MS Brahe) über den Suomikanal in Finnland. Beide Angebote gab es leider nur kurz, aber diese zwei exklusiven Schiffsreisen verpasste ich dann nicht…
4) Ähnlich gebaute Schiffe dürfen im übrigen Europa ohne Probleme kurze Meerpassagen befahren: in Spanien die „La Belle de Cadiz» das Mittelmeer, in Frankreich bei Rouen die „Cyrano de Bergerac“ den Atlantik, in Deutschland bei der Insel Rügen mehrere Schiffe die Ostsee, in der Ukraine (bis kurzem) das Schwarze Meer, um nur einige Beispiele zu nennen. Es scheint, dass die „Costa Concordia“ die italienischen Behörden traumatisiert hat.
Quellen
5) Die Recherchen der Daten sind unter Mithilfe von Hader Arnulf „The River Cruise Fleet“ (Ausgabe 2013) entstanden.
Weiter im Text
Flusskreuzfahrt-Schiffe Po-Ebene und Venedig5
1997 – 2005 Venezia (Scylla, Reisebüro Mittelthurgau)
2000 – heute Michelangelo (CroisiEurope)
2001 – 2004 Casanova (Peter Deilmann)
2001 – 2005 River Cloud II (Sea Cloud)
2012 – 2014 Bellissima (Nicko Tours)
2013 – 2019 River Countess, 2019 – heute S.S.Venezia (Uniword River Cruises)
Impressum
Text und Bilder H. Amstad
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