Rei­se­be­richt: Eine Zeit­reise mit den his­to­ri­schen Schiffen des Bodensees

Als die Rei­se­gruppe um halb elf den Rad­dampfer Hoh­entwiel bestieg, atmete ich tief durch: Die hei­kelste Phase der Bodensee-Exkursion der Schiffs-Agentur war „unter Dach“. 33 Teil­neh­mende an einem Sonn­tag­morgen aus der ganzen Schweiz kommend nach Hard zu lotsen war eine Her­aus­for­derung: In Zürich stand der berüch­tigte, stö­rungs­an­fällige Dosto-Ver­suchszug bereit, in St. Mar­grethen ein schlanker Anschluss an die ÖBB und in Hard-Fussach der Bus der Vor­arl­berger „Landbus Unterland“. Kein Glied der Trans­port­kette durfte patzen, sonst wäre die „Hoh­entwiel“ ohne uns abge­fahren, denn nach zwei Stunden Leer­fahrt war­teten in Romanshorn die offi­zi­ellen Gäste des Pro­grammes „Zeit­reise“. West­wind­wetter mit schönen Auf­hel­lungen begleitete die genuss­reiche Fahrt von Öster­reich in die Schweiz. Für einen Teil unserer Gäste stand an der Ober­deckbar ein Apéro auf dem Pro­gramm, andere inspi­zierten das edle Dampf­schiff von oben bis unten, während wie­derum andere die wie­der­ge­fundene ori­ginale Schiffs­glocke am Bug des Dampfers bewunderten.

Eine Schiffs­glocke ist schon was beson­deres: Lange Zeit war sie nicht nur ein sym­bol­träch­tiges Acces­soire, sondern diente früher der Mann­schaft bei Nebel als akus­ti­sches Erken­nungs­zeichen beim Anfahren einer Station oder beim Kreuzen anderer Schiffe. Der Radar ist eine Erfindung, die erst nach dem 2. Welt­krieg zur all­ge­meinen Schiff­fahrt kam. Ent­spre­chend sind Schiffs­glocken beliebte Samm­ler­stücke. Als die „Hoh­entwiel“ 1962 nach einem Maschi­nen­defekt aus­ran­giert wurde, ver­schwand die 1912 von der Glo­cken­gies­serei Heinrich Kurtz her­ge­stellte Glocke sehr bald. Nach der erfolg­reichen Rettung und Nach­bildung des letzten Schau­fel­rad­dampfers auf dem Bodensee ging dann die Suche nach der Ori­gi­nal­glocke los. Trotz aller Mühen kam sie nicht zum Vor­schein und so ent­schied man sich für einen Nachbau. Im Mai 2018 schliesslich kam die von der DB 1965 ver­kaufte Glocke wieder zum Vor­schein. Ein Mann aus Ulm meldete sich beim Chef­ka­pitän Adi Kon­statzky und so kam das Ori­ginal nach 56 Jahren am 13. Oktober 2018 wieder auf die „Hoh­entwiel“.

Ein frohes Wiedersehen

Nebst Adi Kon­statzky war ein wei­terer Kapitän als Steu­ermann an Bord der „Hoh­entwiel“: Florian Pausch. Das war ein frohes Wie­der­sehen für uns beide: 1988 sahen wir uns das letzte Mal und dies auf einer denk­wür­digen Leer­fahrt mit dem Rad­dampfer Schön­brunn von Budapest nach Wien, er als Maschinist, ich als „blinder Pas­sagier“. Zuge­geben, wir erkannten uns nicht gleich wieder. Eine Frage mei­ner­seits führte uns ins Gespräch, bei dem dann beide über­rascht waren, unsere Namen zu hören. Was um Gottes Willen führt den Maschi­nisten der „Lisl“ (so heisst die Dampf­ma­schine von DS Schön­brunn) von der schönen Blauen Donau in eine völlig andere Ecke Öster­reichs? Florian Pausch erzählt: „Ich war von 1984 bis 1989 im Maschi­nenraum der ‚Schön­brunn‘ tätig und habe da das Métier von der Pike auf gelernt, vom Hilfs­heizer bis zur Stufe II des Maschi­nen­be­triebs­leiters. Als 1989 sämt­liche unserer Ret­tungs­ver­suche gescheitert waren, wurde die «Schön­brunn“ von der dama­ligen DDSG nach Budapest und ich auf einen Russ­land­fahrer abge­schoben. Da kün­digte ich fristlos.“

Florian Pausch akti­vierte eine andere Lei­den­schaft, die Kino­technik. Schon zu Hei­zerszeiten begann er alte Kino­ma­schinen und ent­spre­chendes Zubehör zu sammeln, machte dann die Wiener Film­vor­füh­rer­prüfung und war während 25 Jahren Chef­vor­führer und kino­tech­ni­scher Leiter in diversen Wiener Kinos*. Nach der Digi­ta­li­sierung und dem Wegfall des «mecha­ni­schen Teils» der Pro­jektion war dann für Florian Pausch der Spass vorbei. „Alte Schiffe hatten nebenbei für mich immer eine Rolle gespielt, vom wie­der­auf­er­stan­denen DS Schönn­brunn über die Dampfer Fré­déric Mistral und Pascal bis zu ver­schie­denen Schiffe der FHS (Freunde His­to­ri­scher Schiffe Wien, Anm. HA) wie den (teil)eigenen his­to­ri­schen Eis­brecher Arthur Kaspar. Dabei erlangte ich auch das Donau-Kapi­täns­patent und andere bran­chen­ty­pische Befähigungen.“

Den Fünf­zigern nahe, sah ich mich nach einer neuen Her­aus­for­derung um. Eine Stel­len­an­zeige der ‚Hoh­entwiel’ führte zu einer Bewerbung und ein erstes Treffen zwi­schen Adi Konstatsky und mir während der Wiener Feri­en­messe erwies sich dann als viel­ver­spre­chend. Seit März 2014 bin ich stolzer Teil des Teams, seit Oktober 2018 auch Bodensee-Damp­fer­ka­pitän und schiff­fahrts­recht­licher Betriebs­leiter und so uni­versell im Einsatz – einmal oben, einmal unten – sehr abwechs­lungs­reich», schwärmt Florian vom jetz­tigem Arbeitsfeld.

Zwei his­to­rische Schiffe der Nachwelt erhalten

Inzwi­schen legte die „Hoh­entwiel“ in Romanshorn ab, gleich ging es weiter Richtung Fried­richs­hafen. Eine halbe Stunde davor gesellte sich die neu erstrahlte „Oes­ter­reich“** zu uns, um im stim­mungs­vollen Fron­ten­wetter eine Par­al­lel­fahrt zu zele­brieren. Die knappe halbe Stunde Landgang in der Zep­pe­lin­stadt reichte, um die beiden Schiffe im Hafen zu foto­gra­fieren. Auf der Aus­sichts­plattform war dann Markus Fröhlich bereit, die beiden his­to­ri­schen Schiffe aufs Bild zu bannen (Bild unten). Auf dem Dampfer waren es feine Häppchen (in angenehm zahl­reichen Varia­tionen), die für das leib­liche Wohl sorgten, auf der „Oes­ter­reich süsse Nasche­reien “, denn ab Fried­richs­hafen waren wir nun Gast auf dem ältesten Motor­schiff des Bodensees. Ab Romanshorn hatten wir das Schiff gar für uns allein. Nun hatte die Regen­front das Schwä­bische Meer erreicht, die Par­al­lel­fahrt, jetzt mit der „Hoh­entwiel“, wurde dadurch mys­tisch. Während der Fahrt erklärte uns der Bau­leiter des Umbaues, Martin Uhlig, auf einer Führung durchs Schiff viele his­to­rische Remi­nis­zenzen und Details zum Umbau.

Die Reiseteilnehmer/​innen waren über­rascht, wie unter­schiedlich sich heute die beiden his­to­ri­schen Schiffe prä­sen­tieren. Uhlig: „Ja, zwi­schen dem DS Hoh­entwiel, dem letzten im Jugendstil erbauten Rad­dampfer (1911) auf dem Bodensee und MS Oes­ter­reich, dem ersten auf dem Bodensee erbauten Gross­mo­tor­schiff (im Art Deco-Stil) lag der erste Welt­krieg. Diesen epo­chalen Zeit­sprung soll man spüren.“ Er gibt aber auch offen zu, dass von der ursprüng­lichen Bau­sub­stanz nicht mehr viel im Ori­ginal vor­handen ist: „der Rumpf, die Antriebs­welle und das Steu­errad, that’s it.“ Alles andere wurde minutiös anhand von Plänen und vielen Bildern rekon­struiert. Uhlig: „Wir hatten das Glück, dass die ‚Oes­ter­reich‘ das best­do­ku­men­tierte Schiff aus dieser Zeit ist. Gross­artige Film­auf­nahmen ergänzen die Doku­men­ta­tionen in Bild und Text. Für den Staat Öster­reich war das poli­tisch ein wich­tiger Neubau; man wollte demons­trieren, dass die Republik im Stande war, mit der Werft Kor­neuburg an der Donau tech­no­lo­gisch ein Spit­zen­produkt zu schaffen. Die Bre­genzer hätten schon dazumal gerne den Namen ‚Vor­arlberg‘ gesehen, aber Wien winkte aus besagten Gründen ab.“

Im Gegensatz zur „Hoh­entwiel“ genoss die „Oes­ter­reich“ bei der Reno­vation als „Fast­neubau“ keinen Bestands­schutz. Deshalb mussten aktuelle EU-Normen und Vor­schriften erfüllt werden, was in ver­schie­denster Hin­sicht grosse Her­aus­for­de­rungen bedeutete. Dies legte Uhlig anhand des Bau­stoffes Holz dar: „Fast alles, was nach Holz aus­sieht – und davon hat es nicht wenig – ist nicht­brenn­barer Kunst­stoff. Nur die Hand­läufe, das Aus­sendeck und die Möbel sind aus echtem Holz.“ Auch das Heck musste so umgebaut werden, dass die Brems­wirkung den Vor­gaben ent­spricht, obwohl das Schiff auch vor 2009 gut bremste. Auch in tech­ni­scher Hin­sicht ist das Schiff nach dem Umbau auf dem neusten Stand: Die drei Motoren (Euro 5) und zwei Gene­ra­toren sind top iso­liert und die Leistung auch aus öko­lo­gi­scher Sicht opti­miert. Die Küche an Bord hat sowohl einen ver­ti­kalen wie hori­zon­talen Lift (für den Heck­salon nach hinten), um ein wei­teres Bei­spiel unter vielen zu erwähnen.

Mor­gen­kos­metik für die seit wenigen Monaten wieder auf­ge­tauchte Ori­gi­nal­glocke der «Hoh­entwiel».

Von hinten kommend kreuzt die «Oes­ter­reich» auf zur ersten Par­al­lel­fahrt des Tages.

Florian Pausch wech­selte von der «Lisl» der «Schön­brunn» zum Kom­man­dopult der «Hoh­entwiel».

Gewit­ter­stimmung bei der Aus­fahrt der «Oes­ter­reich» aus dem Hafen Friedrichshafen.

Showtime vor Fried­richs­hafen: Die Zeit­reise mit den beiden his­to­ri­schen Schiffen des Bodensees Teil 2 kann beginnen.

Kurz vor dem Platz­regen ein kleines Stück auf der Par­al­lel­fahrt – ein herr­liches Schiff, die «Hoh­entwiel»!

Martin Uhlig (Bild­mitte im schwarzen Hemd) erklärt den Fahr­gästen der Schiffs-Agentur die bau­lichen Spe­zia­li­täten der «Oes­ter­reich».

Bilder 4, 5 und Textteil: M. Fröhlich, Text und übrige Bilder H. Amstad

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Hin­weise

*) Während sieben Jahren war Florian Pausch Chef­vor­führer im Votiv-Kino, drei Jahre kino­tech­ni­scher Leiter im Film­archiv (Impe­ri­alkino, Augarten, Metrokino), von 2000 bis 2002 Leiter des wie­der­eröff­neten «De Fance» und von 2002 bis 2014 Chef des «Cine-Centers» mitten in der Wiener City.

**) Die Geschichte der „Oes­ter­reich“ in Kurzform: 1928 Inbe­trieb­nahme, 1933 Ver­brei­terung der Decks, 1938 Ein­marsch Hitlers in Öster­reich, Schiff behält Namen ver­mutlich wegen der Schreib­weise „Oe“ statt „Ö“, 1943 Schiff dient als Torpedo-Abschuss­plattform, 26.4. bis 17.5.1945 Auf­enthalt in Bad Horn, um der Bom­bar­dierung in Bregenz zu ent­kommen, 1951 – 1953 Umbau in ein „modernes“ Fahr­gast­schiff, 1961 Neu­mo­to­ri­sierung, 2008 letzte Fahrt, 2016 – 2019 Rück­führung in den Bau­zu­stand von 1933.

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