Reisebericht: Entdeckungsfahrt auf der Aare von Solothurn nach Wangen mit speziellen Schiffen
Besondere Umstände verändern das vorgesehene Programm der „exklusiven Aare-Schifffahrten zwischen Solothurn und Wangen an der Aare“ vom 18. Juni 2022. Geschockt vernimmt der Inhaber der Schifffahrtsgesellschaft „Öufi-Boot Solothurn“, Iwan Pfyl, wenige Tage vor unserer geplanten Fahrt, dass sein Schiffsführer Kurt Ochsenbein unerwartet gestorben sei. Ochsenbein kannte die selten befahrene Flusstrecke von Attisholz nach Wangen an der Aare; ein Ersatz für ihn gab es nicht. Eine Blitzaktion örtlicher Nautiker führte schliesslich zur Lösung: uns unbekannt hat sich in Wangen seit 2012 ein neuer Schiffsbetrieb etabliert, der nicht nur ihr Schiff, sondern auch noch einen patentierter Schiffsführer kurzfristig für uns aufbieten kann.
Die zweite Abweichung des ausgeschriebenen Programmes war der Hitze geschuldet. Iwan Phyl stellt uns kurzentschlossen sein Flaggschiff Wyssestei zur Verfügung, das doppelt so viele Plätze aufweist wie das vorgesehene MS Pisoni. Dadurch können sich all unsere Gäste platzmässig ausbreiten. Ausserdem gibt es im stündlichen Abstand „Wasserstationen“, um uns mit Trinkwasser zu versorgen. Wer wollte konnte dann sogar ein kühlendes Bad in der Aare nehmen; der Schiffsführer der „Paaredisli“, Urs Ammann, hat sein Schiff zu diesem Zweck auf eine Sandbank gleiten lassen, wo dann ein paar Mutige ins frische Nass tauchen. Am Nachmittag klettert das Thermometer auf 34 Grad. Zum guten Glück vermag eine trockene Bise bis aufs Aare-Flussbett hinunter „lüfteln“, sodass unser nautisches Vergnügen durch die hohen Temperaturen nicht übermässig getrübt wird. Am Tag darauf wäre es dann anders gewesen: das Aaretal egalisierte den Juni-Temperaturrekord der Schweiz mit 36,9 Grad Celsius.
Schiffsliebhaber von der „Hardcore-Sektion“ haben als Vorprogramm um 9 Uhr 10 in Biel das BSG-Schiff Siesta bestiegen und damit bereits ein grosses Stück der Aare befahren. Nach Ankunft des BSG-Schiffes treffen wir uns zusammen mit den andern beim Alten Spital, dem heutigen Seminar-und Kulturzentrum direkt am Fluss gelegen. Iwan Phyl ist in der glücklichen Lage, in Solothurn sechs Anlegestellen1 anfahren zu können. Dafür ist der Verein „schiffaare“ unter dem Präsidium von Peter-Lukas Meier zuständig. Dieser Verein2 unterstützt das Öufi-Boot mit Infrastruktur-Bauten und ebnet ausserdem das politische Feld, damit diese Kleinschifffahrt als Standortvorteil Solothurns touristisch gefördert wird.
Seit dem 18. Jahrhundert: 11 als Marketingkonzept
Wir besteigen beim Aaregarten, wie die Anlegestelle beim Alten Spital auch heisst, die anmächelige „Wyssestei“. Iwan Pfyl erklärt uns an Bord, warum seine Gesellschaft Öufi-Boot heisst: „Öufi ist der Dialektausdruck der Solothurner für die Zahl 11. Elf ist für Solothurn so etwas wie eine „heilige» Zahl: alles in dieser Barockstadt dreht sich um diese Zahl. Die Stadt hat 11 Brunnen, 11 Türme, 11 Kirchen, 11 Museen und sogar eine Uhr, die nur 11 Stunden hat. Das Wahrzeichen von Solothurn, die Kathedrale, hat 11 Glocken und 11 Altäre, ist 6 x 11 Meter hoch und sein Grundriss 11-eckig. Selbst der Bau des Gotteshauses dauerte 11 Jahre. Solothurn wurde als 11. Kanton in die Eidgenossenschaft aufgenommen. Dazu brauchte es zwar einen Trick, denn sie wären die 10. gewesen: sie tauschten das Eintrittsdatum dann mit Basel-Stadt ab, der glücklich war mit der «runden» Zahl 10. Es versteht sich von selbst, dass es ein Öufibier, Öufibrot, einen Öufischnaps und … ein Öufischiff gibt.»
MS Wysstei hat seit letztem Winter rundum neue Scheiben, die zum einen den ungehindert Blick auf die schönste Barockstadt der Schweiz ermöglicht, zum andern gut zum Öffnen sind, sodass bei Wetter wie heute ein „Aussendeck-Feeling“ aufkommt. Wegen den zahlreichen Brücken sind alle 11-i-Schiffe niedrig gebaut. Eine vielfältige, kalte Platte entzückt unsere Fahrgäste zum Zmittag und schon geht’s los, zuerst aareaufwärts bis zum Bootshafen Solothurn, wo auch die anderen beiden Einheiten der Schifffahrt Solothurn ihren Heimathafen haben: die „Pisoni“ und das dem Unternehmen namensgebende Öufi-Boot. Dieses stand 2006 als Initialzündung zur Gründung der heutigen Schifffahrts-Gesellschaft. Fred Fankhauser hiess der Pionier, der in der Folge 2007 MS Pisoni (ex-Schwalbe Frigerio vom Zürcher Rhein) und 2009 MS Jurablick (seit 2016 MS Sassalbo auf dem Lago di Poschiavo, vorher MS Flüelen bei Ferdi Kaufmann Vierwaldstättersee, vormals “Rütli“ II) in Betrieb nahm und die Flotte aufgebaut hat.
Iwan und Brigitte Phyl übernehmen die Firma 2016 und ersetzen das ein Jahr zuvor verkaufte Schiff Jurablick durch die „Wyssestei“, auf dem wir nun zu Gast sind. Dieses 1994 durch die Werft K. Schweizer S.A. in Yverdon erbaute Schiff hiess zuerst unter dem ersten Egner F. Meystre Yvonand (Compagnie Coche d’Eau) „L’Y‑Mouche», später umbenannt in „Le Viking“. Ein gröberer Umbau3 erfolgte 2015/16 in der Werft Lehmann in Solothurn unter aktiver Mithilfe des neuen Inhaberpaares Pfyl: «Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen investierten wir rund 2 500 Arbeitsstunden, um das heutige Fahrgastschiff zu renovieren und wieder flott zu kriegen.»
Unterwegs mit dem schönsten Dampfboot der Schweiz
Nach dem Zmittagschiff Wyssestei heisst es, an der Station Regio Energie die Zwanzigergruppe aufzuteilen. Während die einen mit dem Zug nach Wangen an der Aare fahren und dort den Fluss mit dem Schiff aufwärts entdecken, besteigen die andern nun das älteste Dampfboot der Schweiz. Antoinette (Mimi) und Thomas Schmid sind Gastgeber des schmucken Schraubendampfers4, die zusammen mit Esther und Martin Schmid (Bruder von Thomas) die Eigner des Schiffes sind. Thomas Fähndrich, ein Teilnehmer des heutigen Anlasses der Schiffs-Agentur schwärmt vom Schiff: «Schon das Zusteigen auf die ‘St. Urs’ war etwas Besonderes. Man musste achtgeben, dass das Dampfboot keine Schlagseite bekam, und dass man keine nicht-isolierten, dampfführenden Rohre berührte. Das leise regelmässige Stampfen der kleinen Dampfmaschine hatte etwas Meditatives. Der Schraubendampfer kann aber auch anders, volle Kraft voraus, dann mit einem satten Sound. Die ‘St. Urs’ ist everybody’s Darling in Solothurn. Kaum kam sie in Sichtweite, hoben viele Menschen die rechte Hand und zogen sie ganz wenig nach unten und bedeuteten damit dem Schiffsführer, er möge es ihnen gleichtun – sprich, die Dampfpfeife bedienen. Das Hupen wurde mit einem fröhlichen Lachen und Winken quittiert.»
Miteigentümer Martin Schmid skizziert kurz die Geschichte der «St. Urs»: «Das Boot wurde 1889 im Auftrag des Solothurner Dampfboot Clubs in Hamburg gebaut4. Es sollte mit Vergnügungsfahrten die seit 50 Jahren stillgelegte Aareschiffahrt wieder beleben. Bereits nach wenigen Jahren wurde das Boot 1894 auf den Vierwaldstättersee verkauft, wo es zum Dampfschlepper umgebaut wurde. 1903 gelangte das Boot schliesslich in den Besitz der Möbelfabrik Läubli auf den Sarnersee, wo es unter dem Namen Volta in verschiedenen Ausbauvarianten als Elektroboot bis 1973 in Betrieb war. Während fast 20 Jahren lag das Boot ausser Betrieb in einem Bootshaus am Sarnersee. 1992 konnten es die heutigen Besitzer erwerben. Teils in Eigenregie und grösstenteils durch die Werft Shiptec in Luzern wurde das Boot wieder in den Originalzustand versetzt und erlebte 2006 seine 2. Jungfernfahrt als Dampfboot.»
Mit der «Paaredisli» über die Staumauer Flumenthal
Bei der ehemaligen Zellulosefabrik Attisholz ist «Schichtwechsel» angesagt. Die aareabwärts fahrende Gruppe besteigt nun das Holzschiff Paaredisli, dessen Name aus der Kombination von Aare und Paradies besteht. Nach wenigen Fahrminuten erreichen wir das Stauwehr und Kraftwerk Flumenthal7. Beim Kraftwerksbau 1970 entschied man, auf eine beim Projekt Transhelvetic noch vorgesehene Schleuse aus Kostengründen zu verzichten. Dafür baute man eine Standseilbahn, die nun bis zu 8 m lange und bis 2,5 t schwere Schiffe vom oberen ins untere Aarebecken fährt (und umgekehrt). Die bei von Roll Bern gebaute Anlage hat eine Spurweite von 1 m und ist insgesamt 138 m lang. Sie überwindet eine Höhendifferenz von rund 10 m und besteht nebst der Zugsseilanlage aus einem Transportwagen. Im Gegensatz zum polnischen Oberlandkanal, wo die Fahrgäste beim Seilbähnli-Fahren auf dem Schiff bleiben dürfen, müssen wir das Stauwehr zu Fuss überwinden und schauen dem Spektakel von aussen zu. Die Seilbahn bedient heute Toni Stalder; er ist angestellt bei der Alpiq.
Trotz tiefem Wasserstand der Aare hat unser «Skeeper» Urs Amman mit dem bloss 25 cm ins Wasser ragende Boot keine Probleme, auf dem gestauten Wasser zu navigieren. Für den erwähnten Badehalt steuert er eine Sandbank an, um Waghalsige aussteigen und schwimmen zu lassen. Optisch kaum wahrnehmbar war ich überrascht vom starken Zug des Wassers. Ammann erklärt, dass selbst heute bei niedrigem Wasserstand immer noch 170 m3 Wasser in der Sekunde6 abwärts fliessen – und dies spürt man ganz deutlich.
Das 15-jährge Schiff Paaredisli hat wie die beiden heute bereits benutzten eine interessante Geschichte hinter sich. Der Luzerner Schiffführer Sandro Artaria liess 2007 bei der Werft von Anton Witti in Wesenufer an der Donau seine „Sunmore“ bauen: „Da ich auch andere Taxi-Boote importiert habe – so zwei für den Basler Rhein – versuchte ich in Luzern einen Taxidienst auf dem Wasser aufzubauen.“ Der erhoffte Erfolg entsprach nicht den Vorstellungen des Eigners und so gelangte das schöne Holzboot 2012 vom Vierwalfdstättersee auf die Aare. Hier passt es in der Form der Zille auch optisch schön in die Flusslandschaft. MB Paaredisli bringt uns nun zum Endpunkt unseres heutigen Schiffstrio-Ausfluges auf der Aare.
Die Schifffahrt in Solothurn ist in der übrigen Schweiz noch wenig bekannt: MS Wyssestei und DS St. Urs stehen für uns bereit.
Einsteigen bitte und los geht’s: auf insgesamt drei Schiffen werden wir über fünf Stunden einen unbekannten Abschnitt der Aare kennen lernen.
Iwan Pfyl (im Hintergrund am Steuer) hat für uns auch die kalte Platte organisiert.
Teil 2 des Programmes: DS St. Urs dampft Richtung Attisholz, …
… wo niedrige Brücken das Ende der Fahrt bedeutet und für uns das Umsteigen auf das dritte Schiff.
Die in Österreich gebaute Zille Paaredisli strandet auf einer Sandbank, damit wir uns ein kühlendes Bad gönnen könnten.
Die gemütliche Fahrt endet in Wangen, wo uns der Zug wieder zum Ausgangspunkt Solothurn zurückbringt; hier beim Passieren der Holzbrücke aus dem Jahr 1549.
Bilder im Textteil: Die beiden Solothurner Schiffe mit Jahrgang 1889 und 1974 warten auf die Gäste der Schiffs-Agentur.
Begegnung der “St. Urs“ und der „Paaredisli“ in Attisholz.
Das Holzboot Paaredisli hat seinen Heimathafen in Wangen erreicht.
Durch Klick aufs Bild erscheint dieses im Grossformat.
Hinweise
3) Technische Daten MS Wyssstei: 1994, Werft K. Schweizer S.A. Yverdon, L 12,87 m, B 4,15 m, m 11 t, Motor Mercruiser 7.3 l / 8 Zylinder 270 PS, Diesel, 45 Personen
4) Technische Daten DS St. Urs: 1889, Werft R. Holtz Dampf-Boot & Maschinenfabrik Harburg b Hamburg, L 9,10 m, B 2,0 m , T 0,6 m, m 2 t, 1 Zylinder-Verbundmaschine mit Kondensator, 5 kW, 12 Personen
5) Technische Daten MB Paaredisli (ex-Sunmore): 2007, Werft Anton Witti Wesenufer, L 7,50 m, B 2,30, T 0,25 m, Aussenbordmotor Honda 75 PS, 13 Personen
6) Urs Ammann erläutert die Durchfluss-Menge der Aare in Wangen wie folgt: «Zurzeit haben wir hier eine Durchfliessmenge von 170 m3/s. Normalerweise sind es 290 m3/s. Bei 500 m3/s sprechen wir von Hochwasser und ab 700 m3/s haben wir Fahrverbot.»
7) Im Rahmen der zweiten Juragewässerkorrektur wurde das Bett der Aare zwischen Büren a.A. und Wangen erweitert und das Kraftwerk Flumenthal zur Regulierung des Wasserstandes der Aare zwischen dem Bielersee und Solothurn gebaut und so die Region vor Überschwemmungen zu schützen.
Impressum
Bilder im Textteil E. Mischler, Text und übrige Bilder H. Amstad
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Es war ein sehr schöner und interessanter Tag in der schönen Aarelandschaft um Solothurn mit den drei verschiedenen und gemütlichen Schiffen. Danke!
Das waren drei sehr schöne Schiffe und die «St. Urs» ist ein richtiger Star. Die Aare ist ein sehr attraktives Gewässer, das man immer neu entdecken kann. Ich freue mich auf die nächste Fahrt – gerne auch im Winter, wenn sonst nichts fährt.