Rei­se­be­richt: Pre­mière auf der Der­nière – Pend­ler­kurse per Schiff fal­len dem Spa­ren zum Opfer

Noch nie waren Teil­neh­me­rin­nen und Teil­neh­mer für einem Event der Schiffs-Agen­tur so früh unter­wegs wie auf der Abschieds­fahrt des letz­ten Pend­ler-Früh­kur­ses zwi­schen Brun­nen und Treib-See­lis­berg am 8. Dezem­ber 2023. Teil­neh­mer Peter G. fuhr um halb vier im Ber­ner Ober­land los, sein Bru­der Beat zog es vor, in Brun­nen zu über­ach­ten1, andere nah­men den erst mög­li­chen Zug, um in Brun­nen kurz vor sie­ben Uhr dabei zu sein, als es hiess, Abschied zu neh­men von einer alten Tra­di­tion und für die Pend­ler und Pend­le­rin­nen lieb­ge­wor­de­nen Gewohn­heit. Das Früh­pend­ler­schiff brachte bis heute die Leh­re­rin von Weg­gis nach See­lis­berg und die Köchin von Brun­nen zum Hotel Son­nen­berg. Zurück ver­band die Treib-See­lis­berg-Bahn und das SGV-Schiff die See­lis­ber­ger Bevöl­ke­rung mit Brun­nen: Gym­na­si­as­ten gin­gen ins Kol­legi, Geschäfts­leute zum Bahn­hof Rich­tung Zug und Zürich, Hand­wer­ker in die loka­len Buden.

Ein lan­ger Horn­stoss vom MS Tit­lis klingt kurz nach Sie­ben in Treib wie ein Pro­test in die Nacht und sollte an die­sem (zufäl­li­gen) Fei­er­tag alle wecken und zum Nach­den­ken anre­gen. Aber eben: da gibt es im Win­ter nie­mand zu wecken; das Gast­haus zur Treib ist zu und die meis­ten See­lis­ber­ger fah­ren mit dem Auto über Emmet­ten in Becken­ried auf die N2, um ent­we­der nach Alt­dorf oder Luzern zu gelan­gen. Andere Lebens­ge­wohn­hei­ten, eine ver­än­derte Arbeits­welt (Stich­wort Home­of­fice) und ein gestie­ge­nes Kos­ten­be­wusst­sein der öffent­li­chen Hand bewo­gen den Bund, diese Art von öV-För­de­rung ab dem Fahr­plan­wech­sel 2023/24 zu strei­chen. Es stand den Kan­to­nen offen, finan­zi­ell in die Bre­sche zu sprin­gen. Die Kan­tone Uri und Nid­wal­den hat­ten mit der Spitze der SGV noch ver­sucht, die Sache zu ret­ten, wäh­rend Schwyz und Luzern zum vorn­her­ein abwink­ten. Doch die Zah­len spra­chen gegen due Bei­be­ha­tung der Rand­kurse2.

Das viel­ge­lobte Argu­ment, Rand­re­gio­nen zu för­dern, ging dabei beim Bund ver­ges­sen. Geld wäre vor­han­den, doch an der Prio­ri­sie­rung liegt es. In den Rats­sä­len ist man genug weit weg vom Gesche­hen, um ratio­nale Ent­scheide zu tref­fen und die Wirt­schaft­lich­keit stär­ker zu gewich­ten als das Ein­zel­schick­sal der Bevöl­ke­rung. Chris­toph Näpf­lin, Betriebs­lei­ter der TSB und För­de­rer des regio­na­len Tou­ris­mus See­lis­berg brachte es in sei­nen Begrüs­sungs­wor­ten auf den Punkt: «Was für den Bund ein Weg­fall einer Aus­ga­ben­po­si­tion ist, bedeu­tet dies für die Betrof­fe­nen vor Ort eine rie­sige Ver­än­de­rung im täg­li­chen Leben mit gewal­ti­gen Mehr­kos­ten.» Der Weg­fall vom mor­gend­li­chen und abend­li­chen Pend­ler­schiff schränkt See­lis­berg in sei­ner Mobi­li­tät ein, ganz zu schwei­gen vom Gedan­ken an die Umwelt, wenn nun künf­tig statt in 7 Minu­ten (und einer Weg­stre­cke von einem Kilo­me­ter) ein mind. 90-minü­ti­ger Umweg (Bus 1 bis Emmet­ten, Bus 2 bis Becken­ried, Bus 3 bis Alt­dorf, Bahn nach Brun­nen und alles mit «Turn­schuh­an­schlüs­sen») gefah­ren wer­den muss. Die Leh­re­r­ein hat nun gekün­digt, die Köchin weiss noch keine Lösung, andere über­le­gen sich, von See­lis­berg wegzuziehen.

Vom Wart­saal zum Bahnhofbuffet

Chris­toph Näpf­lin begrüsst an der Berg­sta­tion der See­lis­berg­bahn ein gutes Dut­zend Gäste der Schiffs-Agen­tur sowie einige lang­jäh­rige, ein­ge­la­dene Pend­ler und eröff­net das Früh­stücks-Buf­fet. Er ver­wan­delte in der Nacht den Wart­saal der Bahn impro­vi­siert geschickt in ein schmu­ckes Bahn­hof­buf­fet, das kuli­na­risch keine Wün­sche offen liess. Wobei der feine See­lis­ber­ger Käse, selbst­ge­ba­ckene Zöpfe und der Honig vom Dorf in der über 20 Pro­dukte umfas­sende Aus­wahl beson­dere Beach­tung fan­den. Die Mor­gen­däm­me­rung begann, als der Betriebs­lei­ter ein paar Worte an uns rich­tete: «Seit über 100 Jah­ren benüt­zen Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner aus Treib, Voll­i­gen und See­lis­berg das Schiff nach Brun­nen auf ihrem Weg zur Arbeit. Seit dem Jahr 1932 ver­kehrt die Treib-See­lis­berg-Bahn ganz­jäh­rig und sicherte so den Pend­le­rin­nen und Pend­ler auch im Win­ter den Anschluss zu die­sem früh­mor­gend­li­chen Schiffs­kurs. Mit der Ein­stel­lung der Schiffs­ver­bin­dung am Mor­gen geht ein lang­jäh­ri­ges Kapi­tel der Mobi­li­täts­ge­schichte von See­lis­berg zu Ende.»

Waren es vor 50 Jah­ren noch zwi­schen 30 und 40 regel­mäs­sige Benüt­zer des Pend­ler­schiffs, so ist die Zahl nach der Corona-Pan­de­mie auf unter 10 Per­so­nen gesun­ken. Näpf­lin zeigt sich kämp­fe­risch und hofft auf eine zukünf­tige Mög­lich­keit, die Pend­ler­schiffe wie­der zu bele­ben: «Sollte das neue Hotel Son­nen­berg in See­lis­berg gebaut wer­den, würde die Wie­der­ein­füh­rung die­ser mor­gend­li­chen Pend­ler­ver­bin­dung noch­mals über­prüft.» In ein paar Jah­ren sol­len nach Absicht der Hal­ter AG, dem neuen Inha­ber des gross­ar­ti­gen (aber inzwi­schen völ­lig maro­den) Hotel­kom­ple­xes hoch über dem Vier­wald­stätter­see, 70 Arbeits­plätze entstehen.

Ein wei­te­res High­light war der Blick hin­ter oder bes­ser gesagt unter die Kulis­sen der Stand­seil­bahn. Näpf­lin erklärte ver­siert die tech­ni­schen Anla­gen und gar man­cher sah eine sol­che Bahn zum ers­ten Mal von unten. Die unter­ir­di­sche Anlage wird zum gros­sen Teil vom betriebs­ei­ge­nen Per­so­nal gewar­tet. Die Kon­zes­sion wurde letz­tes Jahr für wei­tere 25 Jahre ver­län­gert, was den umtrie­bi­gen Betriebs­lei­ter Näpf­lin zuver­sicht­lich in die Zukunft bli­cken lässt, dies trotz dem heu­ti­gen auch für ihn bedenk­li­chen Tag.

Erin­ne­run­gen

Gleich brachte uns diese Bahn wie­der nach Treib zurück und auf der Kurs­fahrt der «Tit­lis» blieb schön Zeit für (Fach- und andere) Gesprä­che. Im nächs­ten Infor­ma­ti­ons­block erzählte uns Teil­neh­mer Mario Gavazzi von Erleb­nis­sen aus der Ver­gan­gen­heit die­ser Pend­ler­ver­bin­dung. «Gerne erin­nere ich mich an den Abend-Pend­ler­kurs, der nun auch zur Geschichte gehört. Bevor Lis­beth und ich vor etwas mehr als 30 Jah­ren eine gemein­same Woh­nung in Luzern bezo­gen, war ich an Wochen­en­den in See­wen bei Lis­beths Zuhause. Nach inten­si­ven Dampfer­fahrten stieg ich vom letz­ten Flüelen-Kurs (meist DS Schil­ler) auf der Retour­fahrt in Treib aus und fuhr mit dem von Luzern her­kom­men­den Motor­schiff (meist ein gros­ses MS, das dann über­nach­tete) zurück nach Brun­nen. Diese sie­ben Minu­ten Fahrt auf einem prak­tisch lee­ren Schiff, in der Abend­sonne im Rücken, waren ein inten­si­ve­res Erleb­nis und brach­ten mich zur Ruhe.»

«Unver­gess­lich bleibt Kapi­tän Xaver ‘Veri’ Huser von Voll­i­gen. Da gibt es eine gewisse Tra­gik in dem Sinne, dass ich an einem frisch ver­schnei­ten 8. Dezem­ber – wie heute, jetzt aber ohne Schnee – mit ihm zusam­men auf dem MS Mythen zur Treib fuhr. Es war das Jahr 1988. Wenige Tage spä­ter ver­starb er. Wir begrüsste mich herz­lich, und das «Tschüss und alles Gute» war der letzte Satz, den wir aus­tausch­ten. Das Leben ist ein Kom­men und Gehen.»

See­lis­berg hat auch andere Dampf­schiff-Kapi­täne «her­vor­ge­bracht». Ich mag mich sehr gut an Edi Aschwan­den erin­nern und an ein spe­zi­el­les Erleb­nis auf der Lan­dungs­brü­cke in Treib. Sein Arbeits­tag schien nicht beson­ders gut gestar­tet zu haben und das Team­work unter der Mann­schaft liess offen­bar etwas zu wün­schen übrig, als Edi auf der Holz­brü­cke nie­der­kniete, gegen den Him­mel schaute und fle­hend das Stoss­ge­bet von sich gab: «Herr­gott, gib mir eine andere Mannschaft!»

Es kam immer wie­der vor, dass sich aus­län­di­sche Auto­mo­bi­lis­ten nach Treib ver­irr­ten und kon­ster­niert fest­stell­ten, dass hier die Strasse defi­ni­tiv zu Ende ist. Nein, zurück fahre sie auf kei­nen Fall, mit die­sen engen Kur­ven habe sie eh schon Blut geschwitzt, sie wolle jetzt aufs Schiff, lamen­tierte die Hol­län­de­rin unmiss­ver­ständ­lich. Ich war damals Kondi auf der «Schwyz» mit dem Brun­ne­ner Über­nach­tungs­kurs 23 unter­wegs, als wir dann die Dame samt Auto in Treib ver­schiff­ten. Um das Auto aufs Schiff zu brin­gen, muss­ten die zwei Holz­trep­pen aus­ein­an­der­ge­scho­ben wer­den. Dazwi­schen klaffte ein Meter brei­ter Spalt mit freier Sicht aufs Was­ser. Der Dame fiel ein rie­si­ger Stein vom Her­zen, als sich Schiffs­füh­rer Kari Ett­lin aner­bot, das Auto aufs Schiff zu fah­ren. Eugène, der wel­sche Kas­sier, hatte nun sie­ben Minu­ten Zeit, den Tarif her­aus­fin­den, was aber seine Ner­ven nicht zulies­sen. So ver­langte er auf Gera­te­wohl 48 Fran­ken, die wir dann in Brun­nen im Aus­gang gut investierten…

Chris­toph Näpf­lin: «Auto­trans­porte kamen öfters vor, aber auch Kühe zur Söm­me­rung nach Sis­i­kon, Käl­ber nach Brun­nen, Pferde der Armee nach Buochs waren Spe­cial­guests ab Treib. Und natür­lich die gan­zen Güter und die Post für Treib, Voll­i­gen und See­lis­berg, die alles über den See nach Treib kamen.»

Steht im Föhn­ha­fen Brun­nen ein letz­tes Mal bereit, um die Pend­ler und heute auch eine Rei­se­gruppe der Schiffs-Agen­tur nach Treib (und dann zum See­lis­berg, Lich­ter im Hin­ter­grund) zu brin­gen: der Kurs 402.

Der Schal­ter als prak­ti­sches Zmorge-Buffet…

Betriebs­lei­ter Chris­toph Näpf­lin erklärt: „Ein Blick in den Maschi­nen­raum der 107-jäh­ri­gen Stand­seil­bahn. zeigt rechts der 137 PS starke Motor, links die Betriebs- und Sicher­heits­bremse und das Getriebe, das das eine der bei­den gros­sen Umlenk­rä­der des Zugs­seils antreibt.»

Die Bahn steht in der Berg­sta­tion auf einem Eisen­ge­rüst und ermög­licht so regel­mäs­sige Unterhalts‑, Kon­troll- und War­tungs­ar­bei­ten bis hin zu den all­jähr­li­chen gros­sen Revi­si­ons­ar­bei­ten am Fahr- und Brems­werk der Bahn.

Ein Blick unter den Bahn­wa­gen «1»: rechts ist eines der bei­den Fahr- und Brems­werke zu sehen, wäh­rend links das Walz­rad die Über­fahrt über das Seil vom Gegen­wa­gen an der Aus­weich­stelle ermög­licht. Beim zwei­ten Fahr­zeug ist dies Anord­nung genau umgekehrt.

Auch hier hat die Strei­chung der Bun­des­un­ter­stüt­zung Fol­gen: Letz­ter Pend­ler­kurs zwi­schen Porto Cere­sio und Mor­cote am 7. Dezem­ber 2023. Auch hier muss sich der Berufs­ver­kehr ein umständ­lich und viel län­ge­rer Arbeits­weg suchen.

Bil­der im Text­teil: Erscheint ein letz­tes Mal auf der Anzei­ge­ta­fel von MS Titlis.

Ich bin auch ein Bahn­hof­buf­fet“: Chris­toph Näpf­lin zau­bert sei­nen Wart­saal der Berg­sta­tion der TSB in ein Restaurant.

Nebst Vieh (aller Art), Post und Güter waren auch ver­ein­zelt Autos zwi­schen Treib (Bild) und Brun­nen ver­la­den wor­den. Diese von Anton Räber auf­ge­nom­mene Foto zeigt eine andere (aber ähn­li­che) Szene als den im Lauf­text erwähn­ten Autotransport.

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Hin­weise

1) Teil­neh­mer Beat Gast war tags zuvor Zeuge einer ande­ren Der­niere: Auch der Pend­ler-Schiffs­kurs zwi­schen Mor­cote und Porto Cere­sio ist dem Spar­kurs des Bun­des zum Opfer gefal­len. Am Mor­gen bestand um 06:47 und 07:47 zwei Kurse ab Porto Cere­sio und am Abend jene von 17:47 und 18:47 nach Morcote.

2) Ergän­zend darf man fest­stel­len, dass die SGV die Bedürf­nisse der Ver­bin­dung zwi­schen Treib und Brun­nen auch im Win­ter wei­ter­hin erfüllt und ihre ursprüng­li­che Absicht, im Win­ter mit dem Strei­chen der Bun­des­sub­ven­tio­nen nur noch nach Becken­ried zu fah­ren, fal­len liess. So fährt nun um 09:49 das erste Schiff und dann im 2‑Stundentakt die nach­fol­gen­den von Brun­nen nach Treib; das letzte neu um 17:19. Umge­kehrt besteht nun um 09:32 die erste Ver­bin­dung von Treib nach Brun­nen. Das Schiff kommt leer vom Föhn­ha­fen nach Treib, sonst wäre die erste Fahrt erst um 11:02.

Impres­sum

Bild 6) B. Gast, Bil­der im Text­teil: 1) M. Biseg­ger, 2) M. Gavazzi, 3) A. Räber

Text und übrige Bil­der H. Amstad

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