Reisebericht: Schwedens Bestküste begeistert mit der „Ellen af Bohuslän“ (1885).
Aus der Westküste von Schweden machte Jutta Eichenberger aus Göteborg, unsere Reiseleiterin und Organisatorin vor Ort, eine Bestküste. Am Schluss der Reise stimmten die 14 Teilnehmenden dieser Wortumwandlung begeistert zu. Landschaftlich, nautisch wie kulturell ist der Schärengarten des Bohuslän in Skandinavien selbst durch die Ostküste Stockholms oder den Süden Norwegens nicht zu übertreffen. Es scheint so, dass die Schweden dieses Paradies für sich behalten möchten, denn diese Gegend wird in Europa weder beworben noch ist sie bekannt. Ausser Schweden trafen wir auf unserer achttägigen Schiffsagentur-Reise keine anderen Nationalitäten an.
Den nautischen Auftakt macht am ersten Tag die im Jahr 1881 erbaute „S:t Erik“. Das heute auf Dieselantrieb umgebaute, stimmungsvolle Nostalgieschiff der Reederei Strömma* ist ein reiner „Touri-Dampfer“. Die Abendfahrten sind aber dank seinem kulinarischen Angebot mit dem Räk- und Crevetten/Garnelen-Buffet bei den Einheimischen derart beliebt, dass die Fahrten fast täglich ausverkauft sind, so auch auf unserer Fahrt. Die Reederei Strömma ist in den letzten Jahren zum skandinavischen Marktleader im Geschäft der Tourismus-Schifffahrt geworden. Niederlassungen in Amsterdam, Stockholm, Göteborg, Malmö, Kopenhagen, Helsinki, Oslo, Stavanger, Bergen, Geiranger und Ålesund zeugen vom inzwischen gewachsenen Imperium; bei Strömma finden sich unter den 30 Marken einige sehr bekannte Namen wie die Schifffahrt auf dem Göta-Kanal.
Drei Tage vor Reisebeginn besiegte an der Fussball-WM die schwedische Mannschaft die Schweiz auf etwas gar glückliche Art. Dies kommt uns in Göteborg zu Gute: kaum ein Gespräch mit einer Schwedin oder einem Schweden, bei dem dieser Match nicht Thema ist und sich die Einheimischen fast entschuldigen, dass sie „uns“ Schweizer fussballerisch „heimgeschickt“ haben. Auch auf unserer originellen Stadtentdeckungstour am zweiten Reisetag ist der Fussball nebst Süssigkeiten, touristischen Hotspots, wunderbarem Fischmittagessen in der legendären Fischkirche, Besuch im Schiffsmuseum und vielen Background-Infos allgegenwärtig. Meine Bedenken, dass unsere anschliessende Kanalfahrt per Paddan-Schiff etwas hektisch werden könnte, da wir kein Extraschiff bekommen haben, sind unbegründet, denn gleichzeitig läuft das Spiel Schweden gegen England. Göteborg steht jetzt still und schaut Fernsehen, während unsere Gruppe mutterseelenallein auf dem grossen Schiff die Fahrt geniesst. Schweden scheidet dann aus und dank diesem Ergebnis geniessen wir eine ruhige Nacht auf unserer „Barken Viking“, einem 111-jährigen Handels- und Segelschulschiff, das heute als Hotel dient.
Am dritten Tag verschiffen wir uns samt Gepäck auf die „Ellen af Bohuslän“: die Bestküstenfahrt kann beginnen, dies mit einem intensiven Erlebnistag. Mit der „Svea af Bohuslän“ (1904 erbaut) geht’s vorerst auf die Festungsinsel Nya Alvsborg (mit historischen Theaterszenen), dann „oversea“ ins sehenswerte Volvo-Museum (mit Abteilung Penta-Schiffsmotoren). Unsere „Ellen“ fährt dann unter der sicheren Hand von Kapitän Filip Treutiger und seiner zukünftigen Braut Mathilda (als zweites Besatzungsmitglied) auf einer dreistündigen Fahrt nach Marstrand und passiert dabei die enge Passage von Koön. Als ob noch nicht genug erlebt wäre, kommen noch zwei weitere Höhepunkte dazu: ein interessanter Jutta-Stadtbummel durch Marstrand und eine Fahrt mit der „Hamnfärjan II“, einem schwimmenden Tram. Und dies wortwörtlich: Man nahm das Chassis eines Tramwagens und baute darunter einen Schwimmkörper. Diese 1948 gebaute Elektrofähre ersetzte ein ähnliches Vorgängermodell aus dem Jahr 1913. Sie verband die mit 200 m breitem Wasserband voneinander getrennten Inseln Marstrand Carlstens Fästnig mit Marstrand Koön, dort, wo heute alle 15 Minuten moderne Personenfähren übersetzen.

Tag vier startet nach einer zweistündigen Schifffahrt mit einem besonderen Erlebnis: in Klädesholmen legt die „Ellen“ direkt beim Salt&Sill-Hotel an, wo uns ein Hering-/Schnaps-Tasting in Stimmung bringt. Ich habe mir vorher nicht vorstellen können, wie köstlich Hering schmeckt! Hier an der Westküste sind die Schweden Weltmeister bezüglich Variantenreichtum bei der Zubereitungsart dieses Fisches. An Weihnachten zelebriert das von uns besuchte Haus jeweils 80 verschiedene Macharten von Hering und sorgt damit für einen gesellschaftlichen Jahreshöhepunkt in der Region. Von Patrick, dem Chef, hören wir dazu Hintergrundinfos, danach bleibt noch Zeit den Ort auszukundschaften. Nach weiteren anderthalb Stunden Ellen-Fahrt peilt unser Charterschiff die Muschelzucht-Fabrik Scanfjord in Mollösund an. Zum ersten (und letzten) Mal brauchen wir jetzt unsere Regenbekleidung. Ein Blitzschlag legt ausserdem die Stromversorgung lahm; mit dem Licht der Smartphones findet die Führung in der fensterlosen, imposanten Abpack-Halle trotzdem statt. Der Vorteil: kein Lärm der Sortiermaschinen stört die Ausführungen von Robin. Am Schluss der spannenden Führung gehen das Licht und die Maschinen wieder an und wir können die Produktion nun noch kommentarlos live miterleben. Trotz Automatisation gibt es noch viel Handarbeit. 40 Angestellte sorgen dafür, dass täglich 2 000 kg frische, lebende Muscheln die Halle verlassen und dann innerhalb von zwei Tagen auf den Tellern der Gourmets zu liegen kommen. Ich kann mir nicht vorstellen, welche Logistik hier geleistet werden muss.
Die „Ellen“ bringt uns am fünften Tag vom idyllischen Värdshus Havshotel in Nösund zum verträumten Hotel Strandflickorna in Lysekil, wo uns eine währschafte Fischsuppe zum Znacht serviert wird. Fast täglich zeigt das Thermometer 30 °C an. Die Hotels sind in Schweden für solch heisses Wetter nicht eingerichtet. Wir schwitzen die Nächte durch und erfreuen uns umso mehr an der frischen Meeresbrise an Bord des Zweideck- und Zweikaminschiffes Ellen. Heute macht es mit uns Halt in Ellös für eine Werftführung der Firma Hallberg-Rassy und für eine Ortsführung in der berühmten Sommerfrische Fiskebäckskil, wo sich im Sommer berühmte Zeitgenossen aus Sport und Kultur ein Stelldichein geben.
Nach der Besichtigung der Muschelzucht ermöglicht uns Jutta Eichenberger den Besuch einer weiteren Produktionsstätte, die sonst Touristen nicht zugänglich sind. In der Schiffswerft Hellerg-Rassy in Ellös gibt uns der CEO Stefan Einblick in jedes Produktionsdetail. „Im Luxussegment der Segelboote sind wir weltweit führend“, ergänzt der Geschäftsführer, „die günstigste Yacht kommt auf 200 000 Euro, die teuerste auf 4 Millionen.“ Die Polyester-Chassis werden angeliefert und in Ellös das Innenleben, die Einrichtungen und die Decksplanken in Mahagoni mit schwedischem Finish dazu gebaut. „90 % machen wir selber, der Rest wird eingekauft.“ Produziert wird nur auf Bestellung; die Kapazität von 180 Booten pro Jahr wurde 2017 mit 70 ausgelieferten Boote nicht erreicht. Trotzdem ist man mit dem Geschäftsgang zufrieden. Rund 20 Yachten sind zurzeit im Bau und wie in einem Kuhstall parallel in Boxen aufgereiht. Dazwischen sorgt ein hoher Zwischenboden für bequemes Arbeiten. Für 180 Angestellte gibt es viel Handarbeit. Geliefert wird weltweit, auch in die Schweiz.
Bevor wir am 6. Reisetag den Übernachtungshafen in Lysekil verlassen, statten wir dem Motorenmuseum der Firma Skandia einen Besuch ab. Meine (zu hohen) Erwartungen werden hier nicht ganz erfüllt; der Museumsführer versteht wenig von Motorenphysik oder kann es zumindest nicht hinüberbringen. Da nützen auch radebrechende Übersetzungskünste via schwedisch, englisch und deutsch wenig. Der Museumsbesuch endet aber mit zwei versöhnlichen Schlusspunkten: Ein drei Meter hoher Dieselmotor der Pionierzeit kommt zum Laufen und eine Fahrt mit MS Harry, angetrieben mit einem Glühkopf-Motor, bringt uns nach Smögen, dem Zermatt von Schweden. Als Dampfbugsierboot 1887 erbaut, bekam „Harry“s Dampfmaschine 1950 einen Ersatz in Form der heutigen 4‑Zylinder Dieselmaschine und ist inzwischen zum fahrenden Museum gewordenen. Nach Angaben des Museumsführers ist MS Harry „das weltweit einzige Schiff mit Glühkopfmotor im täglichen Betrieb.“ Apropos „Zermatt von Schweden“: Es ist wirklich schön dort, mit diesen „matterhornhaften“, fotogenen, farbigen und traumhaft gelegenen Fischerhäuschen (siehe Bild unten).

Smögen.
Am Abend heisst es Abschied von der „Ellen af Bohuslän“ und ihrer Besatzung zu nehmen. Es ist nicht nur für uns ein emotionaler Moment, sondern auch für Filip und Mathilda. Denn seit heute Morgen wissen sie, dass dieser Tag ihr letzter Arbeitstag bei der Reederei Kulturbatarna ist. Wegen einer Havarie des ex-Schraubendampfers Nya Skärgarden, der nun in Strömstad mit Motorenschaden an der Pier steht, übernimmt dessen Kapitän am nächsten Morgen die „Ellen“ als Ersatzschiff für seine 80 Passagiere. Und somit findet der geplante Stellenwechsel von Filip drei Tage früher als geplant statt…
Der Übernachtungsort Fjällbacka erstrahlt im Abendlicht unter wolkenlosem Himmel. Unmittelbar hinter den letzten Häuserzeilen ragt der Vetteberg 116 m senkrecht empor, Tjörns höchster Berg. Seine Kluft Kungsklyfta diente als Filmkulisse des Kinderklassikers „Ronja die Räubertochter“. Wir sind inzwischen 130 km von Göteborg entfernt und uns trennen noch 25 km zur norwegischen Grenze. Auf der spannenden Ortserkundung am Abend kommt Jutta um zwei Namen nicht herum: Ingrid Bergmann (1915- 1982) machte regelmässig Ferien auf der Insel Danholmen vor Fjällbacka und hier wurde 1974 die Schriftstellerin Camilla Läckberg geboren. Ihre Kriminalromane spielen oft in der Gegend ihres Geburtsortes.
Tag 7 und 8 bringen Einblicke in das UNESCO-Naturreservat Sydkoster, hinterlassen einen Eindruck der weltberühmten Felsenritzungen in Tanumshede und bieten Gelegenheit für eine Führung auf DS Bohuslän in Göteborg. Die individuelle Weiter- oder Heimreise führt via Schiff oder Bahn nach Kiel oder Hamburg, per Flugzeug nach Zürich, mit den Inlandsbanan zum Polarkreis oder im Falle von Jutta… wieder auf die „Ellen“ für die nächste Reisegruppe. Wir würden es am liebsten auch grad wieder tun.
Die Reisegruppe der Schiffs-Agentur auf der Kanalrundfahrt Paddan vor unserem schwimmenden Hotel Barken Viking: traumhafter Start in Göteborg.
Zwei der vier Schiffe der Kulturbatarna AG: rechts MS Svea af Bohuslän, links MS Ellen af Bohuslän bei der Festung Nya Alvsborg mit Blick zum Göteborgs Industriehafen.
In Marstrand geniessen wir eine Apérofahrt auf der alten Fähre Hamnfärjan II, einem Tram mit Schiffsrumpf.
Jeden Morgen besteigen wir die „Ellen“ am Pier des Hotels oder zumindest in der Nähe für die nächsten Entdeckungsetappen, hier in Nösund.
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Unser Schiff befährt den Schärengarten an der Westküste Schwedens nordwärts Richtung norwegische Grenze. Enge Passagen (wie im Bild Textteil oben) oder interessante Felsformationen (hier in Fjällbacka) sorgen für abwechslungsreiche Schifffahrten.
Mathilda und Filip, der Kapitän von MS Ellen, nehmen Abschied vom Schiff wie wir.
Der Naturfreak kann im Bohuslän 8 000 Inseln begehen.
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Auf dieser Karte sehen wir die besuchten Orte unserer Route.
Durch Klick aufs Bild erscheint dieses im Grossformat.
Hinweise
*) 1809 gründet Per Christian Rettig in Gävle das Unternehmen P.C Rettig & Co, die Vorläuferfirma von Strömma. 1847: Gründung der reedereieigenen Werft Rettigska varvet. 1897: Gründung von Ångfartygs AB Bore Lines. 1968: Gründung von Nya Ångfartygs AB Strömma Kanal. 1978: Übernahme von Bore Tourist Sightseeing. 1991: Übernahme von Strömma City Sightseeing in Stockholm. 1992: Übernahme von Ångfartygs AB Strömma Kanal. 1997: Übernahme von Bore Paddan in Göteborg. 1999: Umbenennung in Strömma Turism & Sjöfart AB. 1999 – 2009: Verschiedene Übernahmen, darunter Open Top Tours und die „Rederi AB Göta Kanal“, Interbus AB, Ekmanbuss und Rundan Turisttrafik. 2011bis 2013: Geschäftsübernahmen in Dänemark, Finnland und Norwegen. 2013: Übernahme von Royal Sightseeing. 2015: Verkauf von Interbus, Viking Bus und Ekmanbuss. 2016: Übernahme von Canal in Amsterdam. Aus ihrem Leitbild: „Unser Ziel ist, dass alle einzelnen Produkte unseres Programmangebotes im Vergleich mit ähnlichen Produkten des Wettbewerbs als Klassenbeste abschneiden. Am Ende des Tages muss alles, was wir anbieten, absolute Spitzenqualität haben.“
Techn. Daten MS Ellen af Bohuslän:
(heisst seit 2014 so, hatte vorher noch 7 andere Namen): Motola Mekaniska Werkstads AB 1885, Baunummer 369, L 23.44 m, B 4.69 m, T 2.20 m, 1 x Scania DSI 11 MO1, 202 kW, 73 pax.
Techn. Daten EB Hamnfärjan II:
1948 (Renovation 1996 – 99), Werft Gösta Johansson in Kungsviken, L 9,33 m, B 3,61 m, T 1,52 m, m 17 t, 8‑PS-Elektromotor, 40 Batterien (80 Volt), 30 pax.
Techn. Daten MS Harry:
WerftAB Atlas in Brynäs, 1887, L 19,43 m, B 4,86 m, T 1.95 m, m 41 t, Skandia Zündkopf-Dieselmaschine 480C, P 300 PS, 50 pax.
Quellen
Bild 9 J. Eichenberger, Text und übrige Bilder H. Amstad, Plan (Link)
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