Reisebericht: Werft Luganersee, MS Milano und MS Ceresio als Industriedenkmäler.
Die Kombination von Werftbesuch in Lugano und zwei Rundfahrten mit den historischen Motorschiffen Milano (1927) und Ceresio (1931) lockten viele Schiffsinteressierte in die Sonnenstube Tessin. Vor den Toren der altehrwürdigen Werft bei Lugano Cassarate begrüssten uns der Direktor Francesco Beretta Piccoli und der Werftchef Mattia Carrucciu, der mit Claudio Villa zusammen den technischen Bereich leitet. Francesco Beretta Piccoli führte uns als erstes in die Geschichte der Società navigazione del lago di Lugano (SNL) ein: „Die Gesellschaft ist am 2. Februar 1881 gegründet worden, in den beiden darauffolgenden Jahren ist die Ursprungs-Werft entstanden. Auf einer uns vorliegenden Fotografie aus dem Jahr 1883 ist die heutige Werft zu sehen. Erweitert wurde sie dann in den Jahren 1906 bis 1908. Wir verfügen über Grundrisspläne der Werft, aber keiner gibt genau die bestehende Situation wieder.“ Der Gang durch die Werft und die Werkstätten sowie den ebenfalls aus dieser Zeit stammenden Büroräumlichkeiten beeindruckten mich. Der Exkursionsteilnehmer Beat Zumstein brachte es auf den Punkt: „Der Besuch des Werft- und Direktionsgebäudes ist mit dem Gang in ein Industriemuseum vergleichbar.“
In den letzten Monaten häuften sich Anzeichen, dass in die Eigentümerverhältnisse der SNL Bewegung geraten ist, nachdem über Jahrzehnte das Geschehen fest in den Händen des heutigen Ehrenpräsidenten Giampiero Ferrazzini lag. Auf unsere Anfrage hin teilt uns die SNL mit, dass die Eigentümerverhältnisse als solche unverändert geblieben sind, 25 % der Aktien hält der Kanton, die restlichen 75 % sind im Besitz von Kleinaktionären, darunter auch Erben der Gründer. Der neue Verwaltungsratspräsident heisst Agostino Ferrazzini, ist selbst im Bankenwesen tätig und so bleibt die Hoffnung, dass die Investitionen, die auf die SNL zukommen, zu bewerkstelligen sind. Analyst Beat Zumstein: „Die SNL muss nach den Jahren des Niederganges die Trendumkehr bewerkstelligen, wenn sie als eigenwirtschaftliches Unternehmen bestehen will. Es gibt Anzeichen, dass dies erkannt worden ist, aber das Ziel erfordert Zeit und weitere, grosse Anstrengungen.“
Mattia Carrucciu, zu je 50 % angestellt bei der SNL und als Gesellschafter bei der S‑One Technology Sagl, Locarno (die sich mit der Projektierung und Konstruktion von Motor- und Segelbooten mit besonderem Augenmerk auf die Nutzbarmachung alternativer Energiemodellen betätigt) zeigte uns auf dem Rundgang die „Milano“ und „Vedetta“. Obwohl der junge Elektroingenieur begeistert ist von innovativer Antriebstechnik, die er demnächst in alle Luganersee-Schiffe einbauen möchte, darf er sich zunächst mit alten Schiffen beschäftigen. Die „Milano“ (bald 90-jährig) kam wenige Tage zuvor von der Werft ins Wasser, wo wir die erste Extrafahrt nach der Renovation geniessen konnten. Das Deck ist neu verlegt mit einer Kunststoff-Holzimitation, wogegen das Interieur und die Aussenbänke originalen Elementen entsprechen, dies was die Form und Materialien betrifft. Ebenfalls eine „Feuertaufe“ hatte der neue Caterer, der an diesem Samstag seinen ersten Auftritt hatte und seine Sache gut machte. So ist zu hoffen, dass künftig auch auf den Kursschiffen ein regelmässiges Verpflegungsangebot eingeführt wird.
An der 1908 erbauten „Vedetta“ wurde heute Samstag gearbeitet. Der Dieselantrieb wird durch einen elektrischen ersetzt, dessen Energie vom Schiffsdach mit Hilfe von Solar Panels gespiesen wird. Das in Hamburg durch Janssen und Schmilinski erbaute Boot wird im kommenden Mai seinen Betrieb aufnehmen. Vorher müssen noch Tests bezüglich der Reichweite der Batterie durchgeführt werden. „Anhand der Batteriereichweite werden wir dann die Kurse planen, vorgesehen ist im Moment eine Rundfahrt Lugano – Paradiso – Cassarate. Sollte die Batterieautonomie länger sein, ist auch ein Angebot zu den Grotti denkbar. Im Kursbuch ist bisher noch nichts veröffentlicht, auch in unserem aktuellen Fahrplan nicht,“ ergänzt Beretta Piccoli.
Die „Milano“ setzte dann zu einer zweistündigen Extrafahrt nach Capolago an. Die Begegnung mit MS Ceresio erfreute die Fahrgäste – schade, dass eine Parallelfahrt nicht drin lag. Nach dem Schiffswechsel auf MS Ceresio stellte sich dann die „Milano“ für uns ins rechte Licht – die Schneeberge im Hintergrund wirkten im Frühlingslicht exotisch. Mit 11 von 34 Reiseteilnehmenden war der Frauenanteil der Besuchenden erfreulich hoch. Eine davon war Arlene Wyttenbach, die den Tag treffend zusammenfasste: „Das Tessin empfing unsere reiselustige Schar mit strahlendem Sonnenschein – es war wirklich eine Frühlingsfahrt!
Die Besichtigung der Werft der SNL war spannend und zeigte, dass die Zukunft der Schifffahrt auf dem Luganersee solar- und hybrid-betrieben sein wird. Während der Extrafahrt mit dem MS Milano genossen wir Tessiner Spezialitäten und natürlich die Sonne, die Landschaft und den spiegelglatten See. Am Nachmittag wurde es etwas wolkig und windig, die Rundfahrt mit dem MS Ceresio war ebenfalls toll und liess Raum für Gespräche – und wie schon am Morgen für viele Fotos! Ein herzliches Dankeschön an die Reiseleiter der Schiffs-Agentur.“ Diesen Dank kann ich weiterleiten an die Luganersee Schifffahrt SNL für die Gastfreundschaft.
Die SNL hat das Prinzip der Doppelschiffe: hier die „Italia“ und „Lugano“ in der Werft bei Cassarate.
Die Vertreter der SNL Dr. F. Berreta Piccoli und Ing. Mattia Carrucciu haben sich alle Mühe genommen über die SNL ausführlich zu informieren.
Mit dieser Hellinganlage können Schiffe von einer Länge bis zu 50 m in die Halle aufgezogen werden. Die Halle wird gegen den See hin mit einem Vorhang abgeschlossen; imposant ist der hölzerne Dachstuhl. Es wird erwogen, das Werft- und Direktionsgebäude unter Denkmalschutz zu stellen.
Die „Vedetta“ wird noch in diesem Sommer als Solarschiff wieder in Betrieb kommen.
Die „Ceresio“ kreuzt vor der Kulisse Luganos auf.
Ein seltenes Bild mit zwei Schiffen, die zusammen 175 Jahre alt sind…
Die „Milano“ wirkt thematisch wie in einem Bild mit japanischen Kirschblüten.
Durch Klick aufs Bild erscheint dieses im Grossformat.
Hinweise
Video Wasserung MS Milano vom 24. Februar 2016 (Link).
Quellen
Text und Bilder H. Amstad.
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