Beginn des Trajektverkehrs Bodensee vor 150 Jahren: Botschaft für eine internationale Verkehrspolitik von morgen
Die Ostschweizer können Feste feiern. Sie finden (mit Erfolg) immer wieder Möglichkeiten, damit für ihre Anliegen einzustehen. Aus Sicht der übrigen Schweiz und vor allem aus der Perspektive der Metropolitanräume Zürich und Léman (von Lausanne bis Genf) sind die Kantone Thurgau und St. Gallen heute peripher. Vor 150 Jahre war das anders: damals entwickelte sich Romanshorn zur Verkehrsdrehscheibe der Schweiz. Im Jahr 1911 wurden hier täglich im Schnitt 233 Eisenbahnwagen nach Deutschland und Österreich verschifft, 40 Gleise zählte der Bahnhof, der Ort wuchs von 1850 bis 1910 um 400 % auf 6 000 Einwohner, die eidgenössische Alkoholverwaltung, die Post und der Zoll errichteten zahlreiche Schuppen und imposante Gebäude als Lager- und Verwaltungshallen. Der Umsatz der Romanshorner Zollverwaltung lag betreffend Einfuhren vor Basel auf Platz eins. Die Abgaben allein aus dem Fruchtmarkt waren so hoch, dass Romanshorn zwischen 1867 und 1888 keine Steuern von den Bürgern einziehen musste.
2019 feiert der Verkehr am Bodensee ein besonderes Jubiläum: 1869 wurde die Zugstrecke von Romanshorn nach Rorschach (früher Seethallinie, heute Seelinie genannt) eröffnet und zum ersten Mal Eisenbahnwagen auf Schiffen von Lindau aus über den Bodensee zur Schweiz transportiert*. Dadurch wurden wichtige Verbindungen im Bodenseeraum über die Landesgrenzen hinaus geschaffen und der Verkehr entscheidend beschleunigt. Die Seeverbindung war doppelt so schnell wie der Schienenweg über Bregenz mit zweifacher Grenzabfertigung. Damit trug der Schiffsverkehr dazu bei, die Anrainerländer des Bodensees noch enger aneinander zu führen und Grenzen zu überwinden.
Politische Botschaft
Das Jubiläum mit dem Motto «Wir haben etwas bewegt» nahmen die Ostschweizer als Aufhänger, gleichzeitig in die Zukunft zu blicken. Mit attraktiven Verkehrsverbindungen per Eisenbahn rund um den Bodensee und einem geplanten, saisonalen Halbstundentakt der Fähre zwischen Romanshorn und Friedrichshafen würde die Ostschweiz die Länder Baden-Württemberg, Bayern und Vorarlberg ins wirtschaftliche Boot holen und dies gleich im doppelten Sinne. Die Ostschweiz kommt dadurch zu einer zentralen Rolle, weg vom Image der Peripherie. Obwohl heute die Schweiz bereit wäre, die S7 der Thurgauer SBB-Tochter Thurbo von Romanshorn über Bregenz nach Lindau zu verlängern, klemmt die Bürokratie in Wien und Berlin und stuft das Vorhaben als zu komplex an. Nicht einmal am Jubiläumswochenende liessen sich die Nachbarländer dazu bewegen, der angekündigten Attraktion «Grünes Licht» zu geben.
Das Fest zum Jubiläum
Am 4. und 5. Mai 2019 wurden in Romanshorn, Kreuzlingen/Konstanz, Rorschach, Bregenz, Lindau und Friedrichshafen die Jubiläen der Seelinie und des Trajektverkehrs mit insgesamt 42 Attraktionen gefeiert. Unter anderem mit einer Eventfähre der Schweizerischen Bodensee Schifffahrt (SBS), die zwischen Romanshorn, Friedrichshafen, Lindau und Bregenz die Verbundenheit der drei Länder demonstrierte. An Bord waren nicht nur historische Güterwagen, sondern auch die fünfköpfige Band Take a Dance mit gehobener Unterhaltungsmusik. Entlang des östlichen Bodenseeufers bot «Thurbo» in Kooperation mit den ÖBB Sonderfahrten zwischen Romanshorn, Bregenz und Lindau an. Ebenso fuhren Sonderzüge ab Kreuzlingen nach Rorschach mit dem neuen, in den Schlagzeilen stehenden SBB Fernverkehrs-Doppelstockzug.
An den zwei Tagen nahm ich an 16 Programmpunkten teil, wobei ich an dieser Stelle bloss über meine erlebten Highlights berichte. Dazu gehörte die Überfahrt mit der ältesten, restaurierten Autofähre Europas auf einem Binnengewässer (1931), die am Samstag zwischen Kreuzlingen und Konstanz pendelte. Am Sonntag verhinderte ein Defekt diesen Einsatz. Der «Gwunder» führte mich in Romanshorn auf das neu erstrahlte MS Oesterreich, die sich zum ersten Mal in der Schweiz der Öffentlichkeit präsentierte und viele «Aah» und «Ooh» unter den Hunderten von Festbesucher entlockte. In einem alten Postbureau-Eisenbahnwagen signierte der Schöpfer der Sondermarken zum heutigen Jubiläum, Willi Spirig, seine Werke – es herrschte grosser Andrang**. Weil der Rote Pfeil «Churchill» am Sonntag bereits am Morgen früh ausgebucht war stieg ich als Alternative in den Goofy-Zug und war über das Gebotene begeistert: die Rangier-Hybridlokomotive (Diesel/elektrisch) Goofy fuhr mit einem historischen Personenwagen während fast einer Stunde kreuz und quer durch die Dreieck-Gleisanlage von Romanshorn. Die Fahrt führte unter anderem durch die Lokremise des Museums Locorama und auf der Drehscheibe wurden wir mitsamt Lokomotive mit Muskelkraft gewendet.
Höhepunkt unter den Highlights dann die Fahrt mit der Eventfähre nach Lindau und Bregenz, auf der trotz teilweisen Schnee- und Graupelschauern und grossem Gedränge im Salon eine tolle Stimmung herrschte. Schliesslich überzeugte mich eine schöne Ausstellung in der Eilguthalle am Seehafen Lindau, die noch bis zum 2. Juni geöffnet hat: Grossformatige Modellanlagen mit beachtenswerter Detailtreue zeigen sich im professionellen Scheinwerferlicht.
Als Eventfähre war die «Romanshorn» für zwei Tage wieder eine kombinierte Fähre, auf der auch zwei Güterwagen der Bahn mitfahren durften, hier bei der Einfahrt in Romanshorn. Rechts im Bild die «Emily» vom privaten Anbieter des Badhotels Horn.
Manuel Keller und Daniel Giesen begleiten als Nautiker die «Romanshorn» am Samstag, vor einem der Güterwagen, die von Romanshorn nach Bregenz transportiert werden wollen.
Aufsehen erregte die Autofähre am Sonntag in Lindau, wo kurzzeitig sogar die Sonne sich zeigte.
Fast ein Fixierbild: Fährschiff mit Tieflader und Güterwagen, im Hintergrund der Lindauer Leuchtturm und das ausfahrende Dampfschiff Hohentwiel.
Pascal Müller ist gut ausgerüstet für den internationalen Verkehr im Bodenseeraum; die zwei Kassen in Franken und Euro trägt er mit Würde.
Abbild der «Romanshorn» in der Spiegelung der «Sonnenkönigin» in Bregenz.
Majestätisch verlässt das Eventfähre die Vorarlberger Metropole im Wechselspiel fahler Abendsonne und Regenschauern.
Die Grafik zeigt, welche Rolle der Bodensee im Wirtschaftraum des Dreiländereckes einnimmt; die Zahlen bedeuten das Bruttoinlandprodukt pro Kopf im Jahr 2016. Bild Textteil: Während des gleichzeitig stattfindenden Hafenfestes in Romanshorn fuhren bis zu 11 Schiffe den flächenmässig grössten Hafen am Bodensee an. Text und Bilder H. Amstad, Grafik 8 NZZ vom 11.5.19
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Hinweise
*) Auch zwischen Romanshorn und Friedrichshafen (1869 – 1976) wurde eine Verbindung aufgenommen. Später kamen die Verbindungen Lindau – Konstanz (1873 – 1899), Bregenz – Konstanz (1884 – 1917), Bregenz – Friedrichshafen (1884 – 1913) und Bregenz – Romanshorn (1884 – 1915) hinzu. Die letzte Eisenbahnfähre fuhr am 30. Mai 1976.
**) Ich werde darüber später einen (B)Logbucheintrag verfassen.
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