Wenn der Schnee ins Was­ser fällt – von der Fas­zi­na­tion Win­ter­schiff­fahrt ges­tern und heute (Teil 1)

Der Win­ter 2020/21 ist spe­zi­ell schnee­reich, dazwi­schen hat man im Februar Tem­pe­ra­tu­ren von über 20 °C ver­zeich­net. Heute schneit es zum wie­der­hol­ten Male bis ins Flach­land. Diese in den letz­ten Jah­ren sel­te­nen gewor­de­nen Schnee­er­leb­nisse nehme ich zum Anlass, die Win­ter­schiff­fahrt in extre­men Wit­te­rungs­ver­hält­nis­sen aktu­ell und mit Blick zurück zu beschreiben.

Ende Dezem­ber mel­den die Medien: «Viele Kilo­me­ter über dem Nord­pol steigt die Tem­pe­ra­tur dra­ma­tisch an. Das hat meteo­ro­lo­gi­sche Fol­gen, die bis nach Europa rei­chen – mög­li­cher­weise wochen­lang.» Bin­nen weni­ger Tage steigt die Luft­tem­pe­ra­tur in der Stra­to­sphäre über dem Nord­pol um bis zu 50 Grad Cel­sius an. «Oft erlahmt dann der West­wind über dem Nord­at­lan­tik, Nord­west­eu­ropa muss mit Kälte rech­nen, das Mit­tel­meer mit Sturm und Regen.»1 Dies trifft dann auch prompt ein. Das sonst übli­che ark­ti­sche Hoch drif­tet gegen Süden. Ganze Serien von Tief­druck­zo­nen wan­dern bald dar­auf statt über die Nord- und Ost­see mehr­heit­lich übers Mit­tel­meer. Das bringt der Schweiz die Feuchte vom Süden her und gleich­zei­tig die Kälte aus dem Nor­den Euro­pas. Mehr­fach liegt die Schweiz genau im Mix bei­der Luft­mas­sen, was im Januar bis Mitte Februar zu Schnee bis ins Mit­tel­land geführt hat.

Einer der 45 Schnee­tage2 war der 27. Januar. Der coro­nabe­dingt neue Schiffs­kurs 423 mit MS Tit­lis über­nimmt von Brun­nen kom­mend die Fahr­gäste von MS Wald­stät­ter, das als Kurs 23 von Luzern her in Becken­ried anlegt. Die Mann­schaft der „Wald­stät­ter“ schau­felt als ers­tes die Trep­pen frei, obwohl dies erst vor einer Stunde bereits Mit­ar­bei­tende des Schiff­kur­ses 22 gemacht haben. Auf der Fahrt nach Ger­sau wir­belt ein Nord­ost­wind den Schnee vom Dach der „Tit­lis“ zu einem klei­nen Bliz­zard. Der Win­ter­gar­ten auf dem woh­lig erwärm­ten Ober­deck ver­dient für ein­mal sei­nen Namen: Die Sicht von drei Sei­ten auf das Schnee­ge­stö­ber und auf die tief­ver­schnei­ten Bänke des Ach­tern-Ober­decks fas­zi­niert. Die Pal­men des als Riviera bewor­be­nen Dor­fes Ger­sau tra­gen schwer an der weis­sen Pracht. In Treib war­ten die Fahr­gäste unter dem schüt­zen­den Dach der Treib-See­lis­berg-Bahn, bis der Weg zum Schiff frei­ge­schau­felt ist. Brun­nen ist schon eher bekannt als Schnee­loch, denn im Hin­ter­land des Schwy­zer Tal­kes­sels stauen die bei­den Mythen die her­an­ge­brach­ten Luft­mas­sen und der Nie­der­schlag inten­si­viert sich nochmals.

Win­ter, Schnee und Schiff haben auf dem Vier­wald­stätter­see eine lange Tra­di­tion. Noch heute brin­gen die Win­ter­schiffe der SGV Sport­be­geis­terte nach Vitz­nau, von wo sie die Rigi­bahn in einer hal­ben Stunde auf die Köni­gin der Berge bringt. Schlitt­ler, Ski- und Snow­board­fah­rer sowie Wan­de­rer blei­ben auf dem Schiff bis Becken­ried-Kle­wen­alp. Mit schlan­ken Anschlüs­sen geht es in zehn­mi­nü­ti­ger Fahrt und 1200 Höhen­me­tern über das Nebel­meer hin­auf. Auf der Kle­wen­alp erwar­ten sie die längste Schlit­tel-/Wan­der­weg der Zen­tral­schweiz (11 km) und 40 km Pis­ten. Bevor 1964 die Engel­ber­ger­bahn nach Luzern ver­län­gert wurde, waren lange Zeit die Schiffe die Haupt­zu­brin­ger zum Win­ter­sport­ort Engel­berg. Han­sueli Schnei­der, frü­her wohn­haft in Luzern, lässt uns an sei­nen Erin­ne­run­gen an die­sen Zei­ten teilhaben:

Rad­damp­fer als Sport­zu­brin­ger zum Engel­ber­ger Tal

«Schon als Drei­jäh­ri­ger konnte ich ab dem Win­ter 1949 mit mei­nem Vater am Sams­tag­nach­mit­tag mit dem Dampf­schiff nach Stans­stad fah­ren. Um ca. 13.40 Uhr legte, je nach Ein­satz­plan, ent­we­der DS Pila­tus, DS Gott­hard, DS Win­kel­ried oder DS Hel­ve­tia ab, mit Halt an allen Sta­tio­nen, bela­den noch mit Gütern, Rei­se­ge­päck und Post. So erreich­ten die Ski­fah­rer (meist mit Tou­ren­ski aus­ge­rüs­tet) kurz nach 15.00 in Stans­stad den Zug nach Stans – Dal­len­wil – Engel­berg, nach­dem alle Güter vom Schiff umge­la­den waren, je nach Menge manch­mal mit 20 bis 30 Minu­ten Ver­spä­tung. Der Zug tuckerte mit ca. 30 km/​h Rich­tung Gra­fen­ort, wo dann die Reise nur noch mit einem Wagen und einer Schub­loki mit Zahn­rad Rich­tung Engel­berg wei­ter­ging. Mein Vater und ich stie­gen jeweils in Dal­len­wil aus und fuh­ren mit der Luft­seil­bahn nach Wie­sen­berg. Nach einem 50-minü­ti­gen Fuss­marsch und erreich­ten wir dann um 17.00 Uhr die Tal­sta­tion der Luft­seil­bahn Gum­men­alp. Von der Berg­sta­tion Gum­men­alp ging es noch­mals eine Stunde bis zur Hütte Eggalp, wo mein Vater zeit­weise übers Wochen­ende Hüt­ten­wart für den Ski­club Luzern machte, natür­lich ehren­amt­lich und es gab nur Suppe und Münzen-Tee.

Am Sonn­tag­nach­mit­tag war um 14.30 Uhr Hüt­ten-Schluss und es erfolgte eine Abfahrt mit den Ski­ern bis nach Wie­sen­bergh – je nach Schnee­ver­hält­nis­sen manch­mal bis Dal­len­wil – anschlies­send im über­füll­ten Zug nach Stans­stad, von wo wir mit dem Dampf­schiff zurück nach Luzern fuh­ren. Oft war ein Sup­ple­men­ter nötig, ein zwei­tes Dampf­schiff also, das dann als Ent­las­tung ohne Halt bis Luzern fuhr. Als klei­ner Bube war ich froh, dass ich mich auf der war­men Kes­sel­ver­scha­lung auf­wär­men konnte. Um 18.00 Uhr waren wir in Luzern und gleich­zei­tig kamen auch ein bis zwei Dampf­schiffe von Beckenried/​Vitznau an. Diese Bil­der änder­ten sich dann anfangs der 50-ziger Jahre, als die Motor­schiffe Wald­stät­ter, Tit­lis und etwas spä­ter die ‘Rigi’ die erwähn­ten koh­len­be­feu­er­ten Dampf­schiffe lang­sam ablös­ten. Ich war fas­zi­niert von die­sen Schiffs­ma­schi­nen und konnte als klei­ner Knirps noch mit allen Dampf­schif­fen inkl. der ‘Rigi’, ‘Ger­ma­nia’, ‘Schwyz’ und, am aller liebs­ten, mit der ‘Ita­lia’ mit­fah­ren, denn die­ses Schiff kom­man­dierte ein Kapi­tän mit Bart, Gott­lieb Wyss, ein Freund mei­nes Vaters.»

Mit Lun­ten­feu­ern die Sta­tion angezeigt

Auch Mario Gavazzi erin­nert sich an spe­zi­elle Win­ter­schiff­fahr­ten: «Wäh­rend Jahr­zehn­ten trug MS Wald­stät­ter, der alte ‘Waldi’, die Haupt­last des Win­ter­ver­kehrs. Eine Fahrt irgend­wann im Win­ter 1978/79 blieb mir in Erin­ne­rung: Es hatte nass geschneit und nach­fol­gend ver­wan­delte ein star­ker Bis­wind alles in Eis­flä­chen. Die Aus­sen­decks der Schiffe muss­ten fürs Publi­kum geschlos­sen wer­den – selbst das Fahr­per­so­nal der SGV tat dort kei­nen Schritt zu viel. Die Ski­aus­rüs­tun­gen fuh­ren in den Innen­räu­men mit statt in den dafür vor­ge­se­he­nen Ski­re­chen auf dem Vor­der­deck. Der auf­kom­mende Sturm erzeugte Wel­len von einem Meter und die Schiffe fuh­ren, eine Sel­ten­heit im Win­ter, mit gros­ser Ver­spä­tung. Nur ‘unser’ Kurs um 13.20 Uhr ab Luzern zu mei­ner Nonna in Her­ten­stein fuhr pünkt­lich. Das brachte nur der alte ‘Waldi’ mit sei­ner Damp­fer­schale fer­tig, geführt durch eine erfah­rene Besat­zung, wel­che auf der Fahrt und bei den Anle­ge­ma­nö­vern ihre Fähig­kei­ten unter Beweis stel­len musste.

Als Lieb­lings­gross­kind der Nonna Lui­gina fiel mir auch im Win­ter die Ehre zu, sie bei Besu­chen in Luzern abzu­ho­len. Meist erreichte sie Luzern gegen 9 Uhr mit MS Mythen. Ein­mal war viel Schnee gefal­len und eine Nebel­lage mit Sicht­di­stan­zen auf dem See von kaum 100 Metern beherrschte die Sze­ne­rie. Am Steg 2 frie­rend am War­ten, hörte ich die unab­läs­si­gen Hup­töne des ‘Mytheli’ und plötz­lich tauchte der Bug auf! Das Lun­ten­feuer am Steg 2, vir­tuos durch den dama­li­gen Chef-Brü­cken­wart Hans Muff ent­zün­det, half beim Navi­gie­ren auf den letz­ten Metern und so stie­gen die weni­gen Fahr­gäste mit Dank ans Per­so­nal aus. Die nächste mone­täre Beloh­nung der Nonna fürs Abho­len hatte der jugend­li­che Gavazzi damit verdient.»

Wenn noch mehr Schnee fällt und die Tem­pe­ra­tu­ren über lange Zeit unter dem Gefrier­punkt lie­gen, wird es um und auf dem See eben­falls span­nend. Über Lawi­nen­schiffe und zuge­fro­rene Seen soll im 2. Teil berich­tet wer­den. Haben auch Sie spe­zi­elle Win­ter- und Schnee-Erleb­nisse im Zusam­men­hang mit der Schiff­fahrt zu erzäh­len? Ihre Geschichte würde uns alle freuen (siehe Kommentar).

Der Old­ti­mer Tit­lis (1951) mit dem 2001 erbau­ten Win­ter­gar­ten pen­delt in die­sem Win­ter drei Mal zwi­schen Brun­nen und Becken­ried, jeweils mit Schiffs­an­schlüs­sen nach Luzern.

Abfahrt in Becken­ried: Schiff und Land­schaft bekom­men ein weis­ses Kleid.

Nomen est Omen oder der Schiffs­name wird zum Pro­gramm: Schnee­sturm auf der „Tit­lis“ wie auf dem Titlis.

Viel benutzte Requi­si­ten im Win­ter 2021 auf allen SGV-Schiffen

Der Schnee­damp­fer ver­lässt das Süd­leh­nen-Rigi­dorf Gersau.

Das Schiff ist auch bei die­sen Wet­ter­ex­tre­men ein siche­res und zuver­läs­si­ges Ver­kehrs­mit­tel, hier auf der ÖV-Achse See­lis­berg (UR), Treib, Brun­nen (SZ) und per Bahn Rich­tung Lugano, Zürich und Luzern/​Basel.

Das Bild­stöckli nennt man hier «Chappäli». Es ist dem Patron der Schiffs­leute, St. Niko­laus aus Myra, geweiht.*

Der Schnee­damp­fer legt in Brun­nen an.

Bild im Text­teil: Eine für die­sen Win­ter typi­sche aber nor­ma­ler­weise aus­ser­ge­wöhn­li­che Wet­ter­si­tua­tion, abzu­le­sen aus der Wet­ter­karte vom 9. Februar 2021.

Durch Klick aufs Bild erscheint die­ses im Grossformat.

Am Schluss des Blogs ist Ihr Kom­men­tar willkommen.

Hin­weise

*) Das «Chappäli» bei der Treib wird von der Bru­der­schaft der Schiffs­ge­sel­len des Lan­des Uri unter­hal­ten. Lange Zeit war das «Chappäli» im Gebüsch ver­schwun­den, bis man es vor fünf Jah­ren vom wuchern­den Grün befreite und restau­rierte. Seit­her ist es vom See her wie­der sicht- aber nicht begeh­bar. Um das Kleinod zu unter­hal­ten, wurde die Bru­der­schaft der Schiffs­ge­sel­len des Lan­des Uri, die im 15. Jahr­hun­dert gegrün­det wurde, in die­sem Jahr­hun­dert wie­der­be­lebt. Franz­sepp Arnold aus Flüelen, der Prä­si­dent der Damp­fer­freunde Vier­wald­stätter­see, ist der sog. Bru­der­schafts­vogt, wie der Lei­ter der Schiffs­ge­sel­len genannt wird. Er stellt auch jeweils seine Nauen zur Ver­fü­gung, wenn die Bru­der­schaft das St. Nikolaus-«Chappäli» besucht. Mehr­heit­lich dient die Bru­der­schaft aber dem fröh­li­chen Bei­sam­men­sein unter Schiffs­leu­ten und Freun­den des Vierwaldstättersees.

Dass der hei­lige Niko­laus Schutz­pa­tron der Schiffs­leute wurde, ver­dankt er den Wun­dern, die er auf dem Meer bewirkt haben soll. Er zählt auch zu den 14 Not­hel­fern. Da viele Jahre der See die ein­zige Ver­bin­dung für Waren in den Kan­ton Uri war, gab es manch schwie­rige Situa­tion auf dem See zu meis­tern. Dabei «half» stets Niko­laus als Schutz­hei­li­ger der See­leute, zu des­sen Ehre das Bild­stöckli vor Jahr­hun­der­ten gebaut wurde.

Quel­len

1) NZZ vom 1.1.2021 (Link)

2) Gemes­sen in Bas­sers­dorf (Link)

Wei­ter im Text

Lawi­nen­schiffe und Seegfröni – von der Fas­zi­na­tion Win­ter­schiff­fahrt ges­tern und heute (Teil 2) Link

Impres­sum

Text und Bil­der H. Amstad

Danke an Han­sueli Schnei­der, Mario Gavazzi (Teil 1), Ernst Misch­ler, Kurt Bräg­ger und Mari­anne Riedle sowie Bruno Arnold (Teil 2) für die Bei­träge sowie Chris­toph Näpf­lin für die Recher­che „Chappäli“ St. Niklaus aus Myra.

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