Zum 250. Geburts­tag Balt­zar von Pla­ten, dem genia­len Erbauer des Götaka­nals quer durch Schweden.

2016 jährt sich der Geburts­tag von Balt­zar von Pla­ten, dem Erbauer des Göta-Kanals, zum 250. Male. Ich bereise mit der „Wil­hem Tham“ an zwei Tagen einen Abschnitt davon; wir genies­sen dabei 87 Kilo­me­ter. Die Fahrt beginnt in Motala ziem­lich genau in der Mitte des Kanals und führt mich ost­wärts über zwei Aquä­dukte (Stras­sen­über­füh­run­gen) und durch 34 Schleu­sen nach Söder­kö­ping, das mit 7 Meter über Meer 80 Meter tie­fer liegt als unser Aus­gang­ort. Dabei öff­nen sich drei Eisen­bahn- und zahl­rei­che Stras­sen­brü­cken: die einen dre­hen sich weg, andere kip­pen auf und wie­derum andere zie­hen sich zurück, um unser Schiff die Durch­fahrt zu ermög­li­chen. Von Söder­kö­ping bringt uns der Bus dann wie­der nach Motala zurück – in andert­halb Stunden…

Auf die­ser Fahrt wird bewusst, wel­cher Auf­wand, wel­che Durch­set­zungs­kraft und wel­che Kos­ten für den Bau die­ser Was­ser­strasse nötig waren. Der in die­sem Zusam­men­hang viel zitierte Satz von Balt­zar von Pla­ten war: „Ich konnte nie eine Karte von Schwe­den betrach­ten, ohne der Mei­nung zu sein, dass die gewal­ti­gen Was­ser­flä­chen, die die Natur in die­sem Land her­vor­ge­bracht hat, wie dafür geschaf­fen sind, die Ver­bin­dungs­punkte für eine Schiff­fahrt quer durch das Land zu bil­den.“ Er bekam Unter­stüt­zung von Euro­pas damals bedeu­tends­tem Kanal­bauer, dem Schot­ten Tho­mas Tel­ford. Die Eröff­nung des Troll­hätte-Kanals (er ist eben­falls Teil auf der Was­ser­strasse Stock­holm – Göte­borg) um 1800 lie­ferte den Beweis, dass die Zeit reif war „Berge, Was­ser­fälle und andere natür­li­che Hin­der­nisse zu überwinden.“

Die tech­ni­sche Mach­bar­keit war das eine, die poli­ti­sche Not­wen­dig­keit und das Erken­nen des wirt­schaft­li­chen Nut­zen dann das andere. Drei Gründe führ­ten schliess­lich zu die­sem wahn­wit­zi­gen Bau des Götaka­nals. Mili­tä­risch-stra­te­gi­sche Über­le­gun­gen waren das Haupt­ar­gu­ment. Sollte eine der zwei Haupt­küs­ten Schwe­dens mili­tä­risch blo­ckiert sein, was im Falle von Göte­borg öfters vor­kam*, bestand die Mög­lich­keit, das Lan­des­in­nere von der «andern» Seite zu ver­sor­gen. Zwei­tens wollte man von Däne­mark unab­hän­gig wer­den: seit 1429 kas­sierte Däne­mark Zölle für die Pas­sage eines Schif­fes durch den Öre­sund, ein not­wen­di­ger Weg, wollte man von der Ost­küste zur West­küste gelan­gen. Drit­tens war die Bele­bung des Han­dels ein wei­te­rer Grund: die Stras­sen waren schlecht aus­ge­baut, der Was­ser­weg im Ver­hält­nis zum Land­weg schnell und sicher.

Von der Gesamt­länge von 190 Kilo­me­ter des Kanals, muss­ten 87 km von Hand erbaut wer­den, der Rest sind die von Pla­ten zitier­ten Seen. 58 000 Sol­da­ten gru­ben dabei 8 Mil­lio­nen Kubik­me­ter Erde aus und spreng­ten 2 Mil­lio­nen Kubik­me­ter Fels weg. Der Bau dau­erte 22 Jahre. Balt­zar von Pla­ten starb – inzwi­schen zum Vize­kö­nig von Nor­we­gen gewor­den – drei Jahre vor der Eröff­nung sei­nes Wer­kes im Jahr 1829. Der Kanal ging in die Geschichte Schwe­dens ein und darf auch nach 135 Jah­ren nach sei­ner Eröff­nung als das grösste kul­tur­his­to­ri­sche Bau­werk Schwe­dens bezeich­net wer­den. Die Schleu­sen haben die Aus­masse 7,5 x 34 m. Die Erbauer wähl­ten die­ses Mass just etwas klei­ner als die Abmes­sun­gen der rus­si­schen Kriegs­schiffe; Schwe­den stand damals mit Russ­land im Krieg.

Die Tiefe des Kanals beträgt drei Meter. Unser Schiff hat bela­den einen Tief­gang von 2.80 m. Dort, wo die Ver­lan­dung fort­ge­schrit­ten ist wie auf dem land­schaft­lich sehr reiz­vol­len Abschnitt zwi­schen Nor­s­holm und Söder­kö­ping oder wenn einem andern Schiff aus­ge­wi­chen wer­den muss oder der starke Sei­ten­wind das Schiff von der Ide­al­route abtreibt, dann sind Grund­be­rüh­run­gen unver­meid­lich. Und das kommt öfters vor. Mit der Zeit gewöhne ich mich an die Schleif- und Kratz­ge­räu­sche, die dop­pel­bö­dige und dicke Flach­schale hält das offen­bar gut aus – und dies seit 104 Jah­ren. So alt ist unser Kabinenschiff.

Als ich end­lich Musse finde, mich gegen Mit­ter­nacht in die Koje zu legen, liege ich auf­fäl­lig schräg im Bett – der Kopf­teil erhöht. Um sechs Uhr mor­gens will ich das Able­ge­ma­nö­ver mit­er­le­ben; das Rät­sel wird gelöst. Wir lie­gen fest und die „Wil­helm Tham“ hat zünf­tig Schlag­seite. Der Kapi­tän Ola Wikan­der nimmt es gelas­sen und erklärt mir: „Wir sind hier im gros­sen Hafen­be­cken von Berg, ober­halb hat es acht Schleu­sen, unter­halb des klei­nen Sees sie­ben. Da nun die unter uns lie­gen­den Schleu­sen ges­tern Abend mehr Was­ser durch­lies­sen als oben nach­floss, lief halt der See etwas aus.“ Er ver­sucht nun, mit vol­ler Kraft hin und weg zur Quai­mauer sowie vor und rück­wärts unse­ren 270 Ton­nen schwe­ren Drei­de­cker zu bewe­gen – aber nichts tut sich. „Ich bestelle nun 10 cm Was­ser, viel­leicht geht das.“ Da unser Schiff ange­mel­det ist, tritt tat­säch­lich eine Schleu­sen­wär­te­rin ihren Dienst früh mor­gens an. Nun muss aber das Was­ser zuerst von Boren­sberg herunter-„geschleust“ wer­den: die 8 Schleu­sen über­win­det nun nicht Schiffe, son­dern Was­ser. Und in der Tat: nach andert­halb Stun­den schwim­men wir wie­der und die Reise in Rich­tung ver­meint­li­chem Höhe­punkt – die Schleu­sen­treppe von Berg – kann beginnen.

Diese Aben­teuer sind im Preis inbe­grif­fen. Und die Reise hat sei­nen Preis. Für die maxi­mal 50 Fahr­gäste – auf unse­rer Fahrt sind 42 an Bord – küm­mern sich acht Besat­zungs­mit­glie­der ums Wohl ihrer Gäste: zwei Köche, zwei Kell­ne­rin­nen, die auch noch die Kabi­nen besor­gen und vier Nau­ti­ker, die alle­samt immer beschäf­tigt sind: zwei am Sei­len, einer springt an Land und schlauft die Seile über die Stein­pol­ler, der Kapi­tän navi­giert. Und dies ist ein höchst anspruchs­vol­ler Job. Die Über­le­gun­gen von Balt­zar von Pla­ten sind heute nicht nach­voll­zieh­bar: fast alle Schleu­sen lie­gen in einer Kurve, was das Navi­gie­ren sehr anspruchs­voll macht. Die Abga­ben an die Kanal­ge­sell­schaft schla­gen eben­falls zu Buche. Im Som­mer braucht es ins­ge­samt 100 Schleu­sen­wär­te­rin­nen und Wär­ter, meist Stu­die­rende. Der Kanal muss auf­wän­dig in Stand gehal­ten werden.

Was die Schwe­den mit dem Götaka­nal geschafft haben, miss­lang den Schwei­zern mit ihrem trans­hel­ve­ti­schen Kanal: näm­lich mit einer Was­ser­strasse den Rhein mit der Rhone zu ver­bin­den und somit die Nord­see mit dem Mit­tel­meer. Ein Balt­zar von Pla­ten wäre dazu nötig gewe­sen, ein­fach 100 Jahre spä­ter, als die­ses Thema auf der poli­ti­schen Agenda der Schweiz stand.

In Motala lohnt sich ein mehr­tä­ti­ger Auf­ent­halt; von hier aus lässt sich die Geschichte des Kanals gut nach­voll­zie­hen, der Ort gilt als „Haupt­stadt“ des Götaka­nals. Hier ist auch der Besuch eines ori­gi­nel­len Moto­ren­mu­seum zu emp­feh­len, zu dem auch ein hüb­sches Hotel gehört. Auf dem ers­ten Bild sehen wir (nebst der „Wil­helm Tham“) das mar­kante Ver­wal­tungs­ge­bäude der Kanal­be­hörde, erbaut eben­falls von Balt­zar von Pla­ten im Jahr 1832. Das Haus ist seit­her unun­ter­bro­chen der Sitz der seit 1978 ver­staat­lich­ten Kanalgesellschaft.

In einer der zwei Aus­stel­lungs­ba­ra­cken des Kanal­mu­se­ums von Motala ist auch der Arbeits­platz von Pla­ten nachgebildet.

Auf der andern Seite des Kanals befin­den sich Über­reste einer einst blü­hen­den Gross-Indus­trie: die „Motala Verk­stad“, gegrün­det 1822 eben­falls von Pla­ten. In die­sem Gebäude befin­det sich heute ein Indus­trie­mu­seum. Hier wur­den zuerst Schleu­sen­tore, Brü­cken und Bag­ger für den Kanal­bau gefer­tigt, spä­ter zahl­rei­che Dampf­lo­ko­mo­ti­ven, Dampf­schiffe und auch Kriegs­ma­te­rial her­ge­stellt, aber auch Kühl­schränke und Koch­herde der Firma Elek­tro­lux, wei­ter die Luxor-Gram­mo­phone und PCs. Auf dem Bild zu sehen ist aus­ser­dem der ehe­ma­lige fin­ni­sche Dampf­schlep­per Tor­sa­tor IV (1907), der 1974 in ein Motor-Pas­sa­gier­schiff umge­baut wurde und seit 1998 in Schwe­den fährt. Das Schiff heisst heute „Kung Sver­ker“ und macht jeden Tag um 10.30 Uhr ab Motala eine Fahrt nach Boren­sberg (mit 12 Schleu­sen und Mit­tag­essen an Bord).

Ganz in der Nähe befin­det sich das Grab von Balt­zar von Pla­ten, wo ihm zu Ehren eine breite Treppe zum Kanal führt. Jedes Schiff, hier die „Diana“ auf dem Bild, gedenkt beim Vor­bei­fah­ren dem Erbauer mit einem Hornstoss.

Der Kanal schlän­gelt sich bei Motala nach einer Aus­gleichs­schleuse (gegen­über dem Niveau des Vänern­sees) zuerst durch eine klapp­bare Stras­sen­brü­cke (rechts) und dann eine dreh­bare Eisen­bahn­brü­cke (die Schie­nen sind links oben zu sehen). Auch für jedes Sport­boot wird der Auto­ver­kehr ange­hal­ten, der Zug jedoch hat Vortritt…

Als Kon­tra­punkt gibt es viel Grün. Die berühm­teste Stelle des Götaka­nals ist die Schleu­sen­treppe in Berg hin­un­ter zum Roxen­see, hier auf dem Bild sind es 7 Schleu­sen hintereinander…

Neu beim Bau des Götaka­nals legte Balt­zar von Pla­ten die Was­ser­stras­sen nicht mehr ent­lang von Bächen und Flüs­sen, wie dies Jahr­hun­dete lang die Tech­nik war, son­dern in gewäs­ser­lose Land­schaf­ten und manch­mal auch par­al­lel zu Seen und Flüs­sen, um so öko­no­mi­scher zu bauen und ganze Pakete von Schleu­sen an topo­gra­fisch geschick­ten Orten zu pla­nen. Das bedeu­tet, dass der Kanal oft höher liegt als die Umgebung.

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Hin­weise

*Eine Illus­tra­tion zu die­ser Aus­sage: Der Stadt­rat von Göte­borg war 1641 mit vier Schwe­den, drei Deut­schen, zwei Schot­ten und drei Nie­der­län­dern besetzt.

Video: Wer­be­clip von Strömma (Link), gut gestal­te­ter Kurz­vi­deo über die Stre­cke Söder­kö­ping – Berg (Link)

Quel­len

Text und Bil­der H. Amstad.

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