Der Zel­ler See: ein klei­ner Alpen­see als tou­ris­ti­scher Hot­spot mit inter­es­san­ter Schifffahrt

Das öster­rei­chi­sche Zell am See ist ein tou­ris­ti­scher Hot­spot. Da es hier weder ein Mat­ter­horn noch einen Eifel­turm hat, fragte ich die Tou­ris­mus­di­rek­to­rin von Zell am See-Kaprun, warum der 10 000-See­len­ort Zell mit rund 700 000 jähr­li­chen Gäs­ten zu den bedeu­tends­ten Tou­ris­mus-Regio­nen von ganz Öster­reich zählt. Renate Ecker: „Zell am See-Kaprun begeis­tert seine vie­len Gäste aus unter­schied­lichs­ten Natio­nen vor allem durch die ein­zig­ar­tige Natur-Kom­bi­na­tion von Glet­scher, Berg und See. Nir­gendwo anders fin­det sich ein glas­kla­rer See, der zu zahl­rei­chen Akti­vi­tä­ten ein­lädt, ein­ge­bet­tet in so eine impo­sante Umge­bung. Diese land­schaft­li­che Viel­falt und das grosse Ange­bot an Freizeit‑, Genuss- und Sport­mög­lich­kei­ten sowie die spek­ta­ku­lä­ren Aus­flugs­ziele sind es, was unsere Region ausmacht.»

Nicht zum ers­ten Mal machte ich hier auf der Durch­reise einen zwei­tä­ti­gen Zwi­schen­stopp – mich inter­es­sie­ren den See und seine viel­fäl­tige Flotte. Im Som­mer 2020 war es aber etwas gespens­tig ruhig. Im Nor­mal­fall macht der Anteil der aus­län­di­schen Gäste 90 % aus, die nun im Corona-Som­mer nur teil­weise mit öster­rei­chi­schen und deut­schen Gäs­ten kom­pen­siert wur­den. Bekannt ist, dass seit etwa 15 Jah­ren der Ort mit saudi-ara­bi­schen Gäs­ten „geflu­tet“ wird: Ein Vier­tel aller Gäste kommt (bis 2019) aus dem ara­bi­schen Raum. In der regio­na­len „Wirt­schafts­Wo­che“ lese ich: „Lokale Part­ner ver­kauf­ten das nied­li­che Zell am See als ‘Para­dies’, wie es im Koran beschrie­ben sei. So etwas hat sich rasch her­um­ge­spro­chen unter Tou­ris­ten im ara­bi­schen Raum, vor allem bei Jün­ge­ren, die unheim­lich agil soziale Medien nut­zen und Foren nach Tipps fürs schöne Leben in Zell scannen.»

Auch wenn von eini­gen Ein­hei­mi­schen diese Gäste als Stör­fak­to­ren emp­fun­den wer­den, sind sie unter den Tou­ris­mus­part­nern gern gese­hene Kun­den. Sie geben mit 275 Euro pro Tag wesent­lich mehr aus als andere Gäs­teg­rup­pen. Für Schiff­fahrts­freunde hat die­ser Boom eben­falls seine Vor­teile. Auf dem ver­gleichs­weise klei­nen See – er ist bloss etwas grös­ser als die Hälfte des Grei­fen­sees – fah­ren vier Schiffe mit einer Gesamt­ka­pa­zi­tät von 555 Personen.

Fast gleich­zei­tig bei mei­nem Besuch in Zell ist ein neues Buch von Seve­rin Schen­ner erschie­nen, das dem Zel­ler See, sei­ner Umge­bung und der Schiff­fahrt gewid­met ist1. Mit aktu­el­len Ein­drü­cken gepaart soll der fol­gende (B)Logbucheintrag ani­mie­ren, in Zell am See auf der Bahn­fahrt von der Schweiz nach Kärn­ten hier eben­falls einen Zwi­schen­halt ein­zu­le­gen. Tou­ris­tisch ist die Region fit. Mit jeder Hotel­über­nach­tung fährt der Gast kos­ten­los Schiff, benutzt kos­ten­frei die Berg­bah­nen sowie den öV auf Schiene und Strasse.

Vom Dampf­schiff über Elek­tro­boote bis zum Dreideck-Salonmotorschiff

Über den Anfang der Schiff­fahrt auf dem Zel­ler See schreibt Bene­dikt von Heben­streit in der Schiff­pe­dia2: «Jahr­hun­derte lang wird der See nur von Fischern und von Bau­ern befah­ren, die von Thu­mers­bach aus nach Zell am See wol­len. Typisch sind in die­ser Zeit höl­zerne fla­che Zil­len, die mit einem Steh­ru­der bewegt wer­den. Mit der Eröff­nung der Eisen­bahn­li­nie Salz­burg ‑Wörgl – Inns­bruck am 6. August 1875 ent­wi­ckelt sich ein rasch zuneh­men­der Frem­den­ver­kehr, erste Boots­ver­mie­ter neh­men ihr Gewerbe auf. Schliess­lich erteilt die Salz­bur­ger Lan­des­re­gie­rung in Salz­burg an den Inge­nieur der Kai­se­rin-Eil­sa­beth-Bahn, Fer­di­nand Mar­ti­en­sen, und an Wen­zel Stein­hau­ser die Erlaub­nis für den Betrieb einer Dampf­schiff­fahrt auf dem Zellersee.»

«Am 7. Juli 1881 erfolg­ten die fei­er­li­che Taufe der ‘Ste­pha­nie’, benannt nach der Kron­prin­zes­sin Ste­pha­nie, die kurz davor den Kron­prin­zen Rudolph gehei­ra­tet hatte,» schreibt Seve­rin Schen­ner in sei­nem Buch. Sechs Jahre spä­ter geht die Schiffs­kon­zes­sion an die Markt­ge­meinde Zell am See und bleibt dort 124 Jahre lang bis 2001. Ver­mut­lich durch einen Fun­ken­wurf aus dem Kamin bren­nen am 14. Juli 1897 die Schiffs­hütte und die «Ste­pha­nie» nie­der. Um die Hoch­sai­son zu ret­ten beschafft man sich kur­zer­hand den eben­falls in Dres­den-Neu­stadt erbau­ten Schrau­ben­damp­fer Karo­line von der Boden­see­flotte Bre­genz, der dann bereits gut zwei Wochen spä­ter den Schiffs­ver­kehr auf dem Zel­ler See wie­der auf­nimmt. Die «Ste­pha­nie» wird dann 1898 rekon­stru­iert. Da die «Karo­line» zum einen wegen der erst im Bau befind­li­chen Schiffs­hütte, zum andern wegen ihrer grös­se­ren Länge draus­sen im Freien über­win­tern muss, sinkt sie infolge gros­ser Scheelast und Sturm im Win­ter 1899. Nach dem Heben geben die Pinz­gauer die «Karo­line» wie­der nach Bre­genz zurück.

Bene­dikt von Heben­streit: «Da die fünf täg­li­chen Über­fahr­ten nach Thu­mers­bach nicht mehr aus­rei­chen, erwirbt die Markt­ge­meinde Zell in der Akku­fa­brik Wien ein Elek­tro­boot für 30 Per­so­nen, das am 12. Juni 1907 in Zell am See von Sta­pel läuft und auf den Namen Kron­prinz Franz Fer­di­nand getauft wird. Es han­delt es sich um das erste Elek­tro­boot in Öster­reich. Nun besorgt die ‘Franz Fer­di­nand’ die Über­fahr­ten und die ‘Ste­pha­nie’ die Rund­fahr­ten.» Die Lauf­ruhe und die feh­len­den Rau­ch­emis­sio­nen sties­sen dazu­mal auf Begeis­te­rung, sodass 1910 ein wei­te­res Elek­tro­schiff als Ersatz für die «Ste­pha­nie» beschafft wurde, die «Gross­glock­ner». Der Pio­nier-Schrau­ben­damp­fer wurde gleich­zei­tig auf den Halls­tä­ter­see abtrans­por­tiert, wo er dann (ab 1949 als Motor­schiff) noch bis zu sei­nem 100. Geburts­tag fuhr.

Nach­dem also 1881 die Dampf­schiff­fahrt eröff­net und 1907 die Elek­tro­boote auf den See kamen, beginnt 1923 die Epo­che der Motor­boote und ab 1965 dann jene der Motor­schiffe. Um diese durch­aus leb­hafte und inter­es­sante Geschichte nach­zu­le­sen ver­weise ich auf die Schiff­pe­dia der Schiffs-Agen­tur und auf das Buch von Seve­rin Schen­ner1. Unter den heute vier fah­ren­den Ein­hei­ten hat die «Libelle» für die Bevöl­ke­rung von Zell noch eine beson­dere Bedeu­tung. Die Stadt­ge­meinde Zell konnte nach dem Krieg im Früh­ling 1947 eine Stahl­schiffs­schale, die für ein Zoll­wach­boot in Bre­genz vor­ge­se­hen war, güns­tig erwer­ben. Auf­grund der Mate­ri­al­knapp­heit konnte in Öster­reich keine Werft den Auf­bau die­ses Schif­fes vor­neh­men, «wes­halb man die­sen vom städ­ti­schen Bau­hof und ein­hei­mi­schen Betrie­ben durch­füh­ren liess» (Zitat aus dem Buch1).

Die boo­men­den 60-er-Jahre im vor­he­ri­gen Jahr­hun­dert mach­ten auch am Zel­ler See nicht Halt. So bestellte der Gemein­de­rat «bei der hol­län­di­schen Schiffs­werft Molen­aar in Zaan­dam ein Rund­fahr­ten­schiff nach dem Vor­bild der Ams­ter­da­mer Grach­ten-Rund­fahrt­schif­fen gebaut,» weiss Schen­ner zu berich­ten. «Das glä­serne Pan­ora­ma­dach bot einen bis­lang unbe­kann­ten Blick auf das umlie­gende Berg­pan­orama.» Und von Heben­streit ergänzt: «Die Lie­fe­rung ist zugleich die erste Bewäh­rungs­probe des Schiffs: Die ‘Gross­glock­ner’ fährt im Juni 1965 zunächst über den Nord­see­ka­nal zum Rhein, die­sen hin­auf bis Mann­heim und dann über den Neckar bis Stutt­gart. Nach 110 Fahr­stun­den und 1 050 km zurück­ge­leg­ter Stre­cke gelangt es, nun auf einen Tief­la­der ver­la­den, über die Auto­bahn von Stutt­gart über Mün­chen nach Kuf­stein und dann über die Bun­des­strasse nach Zell am See.»

Der stei­gende Frem­den­ver­kehr macht die Beschaf­fung eines noch grös­se­ren Schif­fes für 150 Per­so­nen mit einem Ober­deck erfor­der­lich. Nach­dem die Ange­bote der öster­rei­chi­schen Werf­ten nach wie vor dem Gemein­de­rat als zu teuer vor­kom­men, erfolgt die Bestel­lung wie­derum bei Molen­aar in Hol­land. Im Juni 1972 geht die neue «Kitz­stein­horn» in Betrieb.

Neuer Eigen­tü­mer inves­tiert in eine viel­fäl­tige Flotte

Am 7. Mai 2001 über­nimmt die Schmit­ten­hö­hen­bahn AG die Schiff­fahrt von der Stadt­ge­meinde Zell am See mit den Schif­fen Libelle, Gross­glock­ner und Kitz­stein­horn. Bene­dikt v. Heben­streit: «Grund dafür sind die Vor­ga­ben der Euro­päi­schen Union zur Libe­ra­li­sie­rung und Pri­va­ti­sie­rung von Ein­rich­tun­gen der öffent­li­chen Hand, die nicht unmit­tel­bar der Daseins­vor­sorge die­nen. Damit darf die Stadt­ge­meinde den Schiffs­be­trieb nicht wei­ter­füh­ren.» Der Stadt Zell kam dies eigent­lich gele­gen, wie Seve­rin Schen­ner recher­chierte: «Sin­kende Beför­de­rungs­zah­len nach 1985 berei­te­ten zuneh­mend Sor­gen, wie die Schiff­fahrt auf eine finan­zi­ell solide Basis gestellt wer­den könnte.» In einer Art Vor­wärts­stra­te­gie nahm das Tou­ris­mus­un­ter­neh­men der Schmit­ten­hö­hen­bahn 2005 ein neues Salon-Motor­schiff in Betrieb, das nun neu auch geho­be­ne­ren Ansprü­chen Genüge trägt. Schen­ner: «Hin­sicht­lich Grösse und Aus­stat­tung setzt die ‘Schmit­ten­höhe’ gene­rell für Alpen­seen einen neuen Mass­stab, was bei den Fahr­gäs­ten punk­tet und sich posi­tiv auf die Fre­quen­zen auswirkt.»

Die «Schmit­ten­höhe» wird 2012 zu einem Drei­deck-Schiff aus­ge­baut. Auf dem drit­ten, sog. VIP-Deck, mit gross­zü­gi­gen Loun­ge­ses­seln, Tep­pi­chen und Feri­en­stim­mung pur ist die Platz­zahl aus Sta­bi­li­täts­grün­den beschränkt. Im dar­auf­fol­gen­den Win­ter wird die «Kitz­stein­horn» gene­ral­über­holt und ihren Salon im Stil eines Wie­ner Kaf­fee­hau­ses nach­emp­fun­den neu möbliert. Das Schiff bekommt ein neues Ober­deck und gleich noch einen neuen Namen: «Kai­se­rin Eli­sa­beth». Um ab 2015 auch mit der «Libelle» in der Hoch­sai­son Rund­fahr­ten anbie­ten zu kön­nen, wird auch die­ses Schiff «auf Vor­der­mann» gebracht. Schliess­lich wird auch die «Gross­glock­ner» als Haupt­trä­ger des öffent­li­chen Sta­tio­nen­be­trie­bes 2017/18 den heu­ti­gen Anfor­de­run­gen ange­passt. Drei der vier heute ver­keh­ren­den Schiffe stam­men von ver­schie­de­nen Werf­ten und aus ver­schie­de­nen Bau-Epo­chen3. Die Flotte, das Ange­bot und die Inte­gra­tion ins öffent­li­che Ticket-Sys­tem sind vor­bild­lich – jetzt müs­sen nur noch die Gäste wie­der zurückkommen.

Das orts­prä­gende «Grand Hotel am See» aus der Zeit der Belle Epo­que, die Schiff­sta­tion Zell am See und der Bahn­hof mit Inter­city-Halt lie­gen kaum 200 m auseinander.

Das Drei­deck­schiff Schmit­ten­höhe wurde 2005 von der Lux-Werft erbaut und 2012 zu einem Drei­deck-Schiff erweitert.

Die «Gross­glock­ner» fuhr im Som­mer 2020 als öV-Schiff die Lokal­kurse zu den Tou­ris­mus-Orten rund um den See.

Die bei schö­nem Wet­ter als Cabrio­schiff umge­wan­delte «Fähre» Gross­glock­ner bie­tet auch Platz für Velos.

Das erste Dampf­schiff auf dem Zel­ler See: die «Ste­pha­nie», 1880 in Dres­den Übi­gau erbaut, in ihrer drit­ten Umbau­form bis 1910 auf dem Zel­ler See verkehrend.

Aus der Zeit der Elek­tro­boote: die 1907 in Linz erbaute «Franz Ferdinand»

In der Sai­son 2020 nur auf dem Pla­kat sicht­bar: links die «Libelle» aus dem Hause der Bodan-Werft (1929) und die «Kai­se­rin Eli­sa­beth» der nie­der­län­di­schen Werft Molen­aar (1972).

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Hin­weise

3) Eine gewisse Viel­falt an Schif­fen hat auf dem Zel­ler See Tra­di­tion. Die 11 je gefah­re­nen Ein­hei­ten stamm­ten in den 140 Jah­ren aus min­des­tens neun ver­schie­de­nen Werf­ten aus drei Ländern.

4) Hotel­tipp: Stra­te­gisch gut gele­gen emp­fiehlt sich das Hotel See­hof, direkt an der Haupt­an­le­ge­stelle der Schiffe gele­gen und bloss je drei Minu­ten zu Fuss vom Bahn­hof und der Fuss­gän­ger­zone ent­fernt. Ohren­stöp­sel wegen nächt­li­chem Eisen­bahn­lärm empfohlen.

Wei­ter im Text

1) Buch Seve­rin Schen­ner (Link)

2) Bene­dikt von Heben­streit «Schiff­pe­dia» der Schiffs-Agen­tur (Link)

Impres­sum

Text und Bil­der H. Amstad (Bil­der 5 und 6 Samm­lung H. Amstad)

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