DS Stadt Luzern – Vom «Stadt-Muni» zum denkmalgeschützten Raddampfer (Teil 1)
Die meisten Menschen, die an einem See aufgewachsen sind, haben einen starken Bezug zu dessen Schiffen. Man kennt diese, erkennt ihre Geräusche von Weitem, sei es am Schiffshorn, oder bei Dampfschiffen am Plätschern beim Einschlagen der Schaufelräder ins Wasser. Jedes Schiff hat sein «Image», seine Schiffsführer, seine Geschichten, worüber hier berichtet werden soll1. Die «Stadt Luzern», der jüngste der Vierwaldstättersee-Raddampfer, stand in meiner Schulzeit nicht im Zentrum des Interesses. Etwas abschätzig nannten wir das Schiff «Stadt-Muni» – andere Orte benutzten für das Schiff ebenfalls wenig schmeichelhafte Übernahmen. Seine gedrungene, etwas kurz geratene Bugpartie sowie seine gigantische Erscheinung erinnerten uns Beckenrieder an einen Stier, der bullig seine Stärken weniger in der Ästhetik, sondern vielmehr in roher Kraft und Grösse offenbarte.
In den Sechzigerjahren waren «Wilhelm Tell», «Schiller» und «Gallia» unsere Lieblingsschiffe. Die «Unterwalden» und «Uri» schätzten wir weniger, weil sie durch den acheregg-tauglich technokratischen Umbau enorm an Ausstrahlung verloren. Das Herz höher schlagen liess dann jeweils die «Italia», wenn sie – oft kurzfristig – als Reserve-Kohledampfer und in Beckenried als sogenanntes «Vieri-Schiff» den letzten Kurs nach Flüelen übernahm. Dies geschah meist an heissen und schönen Junitagen, wenn das dafür vorgesehene Schiff vorher als Supplementer eingesetzt wurde und so die «Italia» einspringen musste. Voller Faszination standen wir dann nach der Schule an der Schiffländi und bestaunten das hohe Ungetüm mit der schwarzen Rauchfahne.
Die «Stadt-Muni» bot auch auf ihrem fahrplanmässigen Kurs nichts Spannendes. Jahrzehnte lang war sie fast etwas langweilig das «Eis-Schiff», das von Ennetbürgen und Buochs kam und am Abend als «Feyfi-Schiff» auch wieder über diese Stationen fuhr – dieser Kurs war für uns so etwas wie gottgegeben. Man konnte sich schlechthin nicht vorstellen, dass dieser Dampfer überhaupt ein anderes Kurspaar ausführen könnte. Als dann ab der Jahrtausendwende die «Stadt» auch mal den Kurs 7 – 18 machte, war das eine Sensation und man liess alles stehen und liegen, um darauf eine Fahrt zu machen. Der beste Koch vom damaligen Restaurateur Edwin Enk war stets auf der «Stadt»; dort gab es (je nach Laune des Koches) täglich ein anderes, frisch zubereitetes Menue.
Beim Wandel zum «Stadt»-Liebhaber erging es David Müller, dem Projektleiter der heute nun abgeschlossenen, grossen Sanierung, ähnlich wie mir: «Zuerst fühlte sich der Auftrag an wie die Revision einer Sache. Je mehr ich mich aber mit der Materie auseinandersetzte und je mehr Detailkenntnisse ich mir über dieses Schiff aneignete, umso stärker wuchs die Faszination für die ‘Stadt’-Architektur, deren Technik und Design.» Er zeigt im 1. Klass-Salon auf das Entrée des Hauptdeck-Salons und ist begeistert: «Diese Ästhetik und Harmonie, einfach unglaublich.»
Stadt-Kapitäne prägen Epochen
Am 1. Mai 2021 feierte das SGV-Flaggschiff bei trübem und kaltem Wetter seine erste öffentliche Fahrt nach einer 30-monatiger Totalsanierung. Roger Maurer steht als Kapitän wie schon seine Vorgänger mit viel Erfahrung, Leidenschaft und Kundenfreundlichkeit auf der Kommandobrücke. Ich kenne Roger seit 1977, als er während sechs Jahren jeweils in seinen Schulferien auf der «Rigi» als «Küchenjunge» beim Schiffs-Restaurateur Edwin Enk arbeitete, bevor er dann bei der SGV seine Karriere begann. Als Saisonnier-Kassier war ich damals oft auf demselben Schiff eingeteilt. Die gebürtige Österreicherin Frieda Pichler war mit der «Rigi» verbunden, da war sie von der Küche bis zum Service über Jahrzehnte Gastro-Chefin und Roger Maurer während seinen Einsätzen so etwas wie ihr Ziehsohn.
Kuno Stein, Flaggschiff-Kapitän von 2010 bis 2018, gehörte Ende der Sechzigerjahre zu einer Gruppe junger Mittelschüler, die sich zusammen mit Beat Heer, Kurt Hunziker und mir (ich ging damals mit Kunos Schwester Theres in Luzern ins gleiche Semi) bei der Ausrangierung des DS Wilhelm Tell 1970 mit Unterschriftensammlungen für die Raddampfer einsetzten und somit an vorderster «Front» mithalfen, die Dampfererhaltungswelle in der Zentralschweiz mitzutragen und zu unterstützen. Kunos Engagement für die Schifffahrt war beseelt vom Wunsch, seinen Berufs- und Lebensweg mehrheitlich auf die Schifffahrt auszurichten. So ist er auch nach seiner Pensionierung auf allen Kontinenten mit Schiffen unterwegs, wo er stets sein Glück findet.
Alois Kaufmann, von Mitte 1986 bis Ende 2009 Kapitän auf der «Stadt», war die diensttreueste Seele dieses Raddampfers. Kein anderer der insgesamt zehn Flaggschiff-Kapitäne war 24 Jahre lang Chef auf der «Stadt Luzern». Als Instruktor und während 22 Jahren Prüfungsexperte brachte er den «Genfersee-Fahrstil» auf den Vierwaldstättersee. Vorher eine Spezialität der Léman-Kapitäne setzte er das «Hinterfahren» der Stationen auf dem Vierwaldstättersee durch – ein heute zu meinem Bedauern wieder etwas in Vergessenheit geratener Fahrstil. Er war damit der erste «Öko-Kapitän» der SGV, denn er konnte mit Messungen nachweisen, dass durch diesen Drift-Fahrstil Brennstoff eingespart werden konnte und (bei den Motorschiffen) die Getriebe länger hielten. Es war die Zeit der Ölkrisen und der Treibstoff war horrend teuer. Ausserdem ist es für mich als Fahrgast sehr angenehm, wenn das Schiff nicht an eine Station gewürgt oder beim Ablegen das heute wieder «in» gewordene Wendemanöver gemacht wird, wenn man ebenso gut ohne dieses losfahren könnte. Sein Abschied von der SGV hatte emotional noch ein schönes Nachspiel für ihn: Zehn Jahre später wurde mit Roger Maurer sein Schwiegersohn Kapitän auf DS Stadt Luzern.
Der Seelisberger Xaver Huser, 1986 zum Stadt-Kapitän ernannt, musste den Job mitten in der Saison aus gesundheitlichen Gründen aufgeben, nachdem er während 16 Jahren zuvor als Ablöser-Kapitän so oft auf der «Stadt Luzern» war wie kein anderer zu dieser Zeit. Ich mag mich erinnern, dass die Fahrgäste oft «Feri» als «Stadt»-Kapitän wahrnahmen. Dies war aber Alois Schüpfer, «Stadt»-Kapitän zwischen 1976 und 1985. In diese Zeit fiel meine Saisonier-Tätigkeit als Matrose, Kontrolleur, Kassier und «Stationsvorstand» von Stansstad und somit hatte ich mit Alois Schüpfer als Ausbildner und Prüfungsabnehmer (und er mit mir) viel zu tun.2
Unvergessliche Erlebnisse
So nahm er mir die damals auch für Saisonniers übliche Matrosenprüfung3 ab. Unter ihm «verbuche» ich auch ein ungemütliches Schifffahrtserlebnis. Anlässlich einer Extrafahrt gab es in einer Pause in Brunnen Rollenübungen. Alois Schüpfer steuerte Treib an. Als Kassier hatte ich das Vorseil zu bedienen. Damals waren die überdimensionierten Poller noch unter dem Schanzkleid am Boden zu bedienen. Die Maschine kam beim «Zurück» zu spät zum Stillstand und, wie das halt so war, versuchte man mit «Seilen» zu retten, um ein Nachmanöver zu vermeiden. Denn Korrigiermanöver des Kapitäns wurden von den Maschinisten gar nicht geschätzt. Als ich dann noch eine zusätzliche Schleife über den Poller legen wollte, kam es zum Seilschlag. Um die 400 Tonnen Zugkraft entluden sich innerhalb eines Sekundenbruchteils und das Seil knallte an meine rechte Hand. Der Rest der Rollenübung war dann abgesagt und ich für vier Wochen arbeitsunfähig.
Die «Stadt Luzern» revanchierte sich zehn Jahre später mit einer der emotional schönsten Fahrten for ever. Anita und Denis Braunschweig, ein befreundetes Paar aus der gleichen Siedlung in Zug, heirateten und mieteten anfangs November 1988 für sechs Stunden das Flaggschiff für ihr Fest des Lebens. Warmes Föhnwetter herrschte, der Südwind ging nur im Urnersee leicht. Edwin Schmidlis Crew, damaliger Schiffsrestaurateur, gab alles. Dazu kam noch, dass ich auf dieser Fahrt nach einer zehntägigen Grippe erstmals wieder unter die Leute kam, sodass mir diese Fahrt aussergewöhnlich genussreich und festlich in Erinnerung bleibt.
Nach drei Jahren Pause die erste Ankunft der renovierten «Stadt Luzern» in Flüelen: Die Dampfwolke des Begrüssungshorns geht ineinander in die dunklen Regenwolken des 1. Mais 2021.
Auch hier zeigt sich die hohe Handwerkskunst: geschwungene Holzbank im Heck des Flaggschiffes.
Schöne Drohnenaufnahme von der «Stadt» auf einer Probefahrt mit Anlegemanöver beim Meggenhorn: Gut sichtbar ist die zu kurz geratene Bugpartie, die dem Flaggschiff eine gewisse Schwerfälligkeit verleiht. Eine Verlängerung des Schiffes zog man in der Umbau-Projektphase in Betracht, verwarf aber den Plan aus Gründen der Kosten und des BAV-Bestandesschutzes.
Erstes Dampfschiff für die neu erbaute Station Tellsplatte, nachdem der touristische Hotspot vom Januar 2019 bis zum Dezember 2020 aus Sicherheitsgründen geschlossen war.
Alois Kaufmann war der «fleissigste» Kapitän auf der «Stadt Luzern». Hier übergibt er nach 24 Jahren symbolisch den Schiffsschlüssel seinem Nachfolger Kuno Stein, links von Kaufmann, halb verdeckt.
Die Mannschaft der ersten Fahrt nach der Renovation 2021 unter Kapitän Roger Maurer (weisse Mütze): v.l.n.r.: Mark Schmid, David Stettler, Bruno Steiner, Catrine Schmid, Patrik Hoenger, Roger Maurer, Moritz Koch und Roland Steger.
Premierenfahrt ohne Festivitäten… Die Corona-Vorschriften verhinderten die geplante Flottenparade. Da machte Petrus auch mit und bescherte grauslig-kaltes Wetter. Das Flaggschiff hier in Vitznau vor der Kulisse des Fünfsterne-Hotels Vitznauerhof.
Bild im Textteil: Herzlicher Empfang der «Stadt Luzern» bei den Rigi-Bahnen in Vitznau
Durch Klick aufs Bild erscheint dieses im Grossformat.
Hinweise
1) Dieser (B)Logbuch-Eintrag entstand im Zusammenhang eines Artikels in der Dampferzeitung Nr. 205 (Juni 2021, S. 49). Der hier veröffentlichte Bericht ist eine erweiterte Fassung.
2) An Schüpfers Vorgänger Liberat Spiller («Stadt»-Kapitän 1972 – 1974) und Hans Portmann (1968 – 1971) mag ich mich gut erinnern, hatte aber keine speziellen Erlebnisse mit ihnen. Die drei ersten Flaggschiff-Kapitäne Kaspar Elsener (1948 – 1967), Josef Muheim (1944 – 1947) und Franz Aufdermauer (1928 – 1943) waren vor meiner Zeit auf der «Stadt» als Chefkapitäne tätig.
3) Die Prüfung bestand aus einem theoretischen Teil (Kennen aller Berge rund um den See, alle Winde, Seeteile mit Buchten und Halbinseln, Seezeichen und nautische Begriffe) und einem praktischen Teil. Alois Schüpfer fuhr dabei mit mir und MS Titlis nach einer Arbeitstour zwei Stationen an und prüfte meine entsprechenden Fertigkeiten im Seilen, inkl. dem Bedienen des (Stahl-) Vorseiles.
Weiter im Text
DS Stadt Luzern wieder in Betrieb – ein Augenschein (Teil 2) Link
Josef Gwerder: Dampfschiff *Stadt Luzern* Bordbuch, Baar 2008
Impressum
Bild 3 S. Eggler SGV, Bild 5 Sammlung A. Kaufmann, Bild 6 B. Gisi
Text und übrige Bilder H. Amstad
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