Rei­se­be­richt: Viel­fältige Schiff­fahrten im Jura zwi­schen Neu­enburg und Besançon

Grup­pen­reisen in Frank­reich ver­laufen oft anders als in andern Nach­bars­ländern. Darüber können viele Rei­se­an­bieter «ein Liedchen singen». Kommen noch Corona und einige tech­nische Pannen hinzu, so wird die kurz­weilige Reise noch mit wei­teren über­ra­schenden Ele­menten ergänzt. Auf unserer Fahrt zu den Jura-Gewässern* werden wir mit einigen High­lights und Lecker­bissen belohnt. Der Rei­se­be­richt erzählt davon.

Der Regen am ersten Rei­setag kommt zu spät, um den Lac de Brenets, der auf der fran­zö­si­schen Seite Lac de Chaillexon heisst, wieder zu füllen. Ich erlebe nun wie im 2018 den natürlich gestauten Fluss Doubs bereits zum zweiten Mal in einer extremen Situation: Die See­ober­fläche liegt heuer fünf Meter unter dem Nor­mal­pegel. Der sonst schiffbare Doubs hinauf zum Städtchen Villers-le-Lac ist noch ein Rinnsal. Jean-Claude Durig (90), einer der Grand-Segnieur in der Schweizer Schiff­fahrt erklärt uns: «Am Ende des Sees gab es vor 14 000 Jahren zwei Berg­stürze, einer auf der fran­zö­si­schen, der andere auf der schwei­ze­ri­schen Seite. Daraus ent­stand die Auf­stauung des Doubs zum See und der Saut du Doubs, der Was­serfall, wo im Nor­malfall der Doubs über eine 27 Meter hohe Kliffe schäumt und ins normale Bett des Doubs hin­unter donnert. Dieses Gesteins­ge­schiebe als natür­liche Stau­mauer ist aber nicht dicht; das Wasser kann auch auf dem Grund des Sees abfliessen, wo dann bei regen­armen Sommern wie in diesem der See pro Tag im Schnitt um 15 cm absinkt.»

Die drei Schweizer Schiffe der NLB, die vier Boote der fran­zö­si­schen Gesell­schaft Saut-du-Doubs sowie die zwei Ein­heiten der Kon­kurrenz auf Frank­reichs Seite Vedette Pan­o­r­amiques fahren trotzdem, kämpfen aber nicht nur ums Wasser sondern zusätzlich um den Pas­sa­gier­rückgang in der Covid-19-Krise. Unser Extra­schiff Géo bringt uns zum Saut du Doubs. Die Ufer des halb­leeren Sees sind zwar inter­essant zum Anschauen, haben aber etwas Melan­cho­li­sches, ja Mor­bides an sich. Nach dem urchigen Zmittag im Restaurant Absinth mit lokalen Spe­zia­li­täten fahren wir mit dem zweiten Son­der­schiff Venus der Familie Michel auf der fran­zö­si­schen Ufer­seite wieder zurück, bis etwa auf die Höhe von Les Brenets. Auf einem impro­vi­sierten Steg und Holz­treppen führt ein Weg zum Wald­sträs­schen hinauf, wo uns drei Klein­busse abholen und nach Villers-le-Lac zur Werft der Familie Michel bringen.

Fabriqué à Villers-le-Lac

Betriebs­lei­terin der Schiff­fahrt Muriel Michel und ihr Bruder Antoine (Werftchef) begrüssen uns herzlich in den Werk­stätten, wo kürzlich die Neubau-Nummern 84 und 85 fertig erstellt wurden. Antoine Michel: «Wir konnten mit der Aus­lie­ferung leider nicht bis zu eurem Besuch warten, sodass nun die zwei Hallen heute leer sind.» Nach den Neu­bauten gefragt erläutert Antoine: «Der Neubau l’Au­da­cieux ging nach Gray auf die Saône und die «Solely» nach Chanaz auf den Lac du Bourget.» Nach seinem Erfolgs­rezept befragt meint er: «:Zum einen arbeitet wir sehr kos­ten­günstig; je nach Grösse schwankt der Preis zwi­schen 400 000 bis zu einer Million Euro. Zum andern sind wir führend im Bau von Solar- und Elek­tro­an­trieben. Dabei machen wir fast alles selber, auch die tech­ni­schen Kom­po­nenten.» Das Bau­tempo sei eben­falls ein Fir­men­vorteil, meint der Werft­leiter: «Die Schiffe bauen wir innerhalb von vier Monaten.» Auf unseren wei­teren Schiff­fahrten benutzen wir noch drei weitere Schiffe aus «Villers-Le-Lac» – der Ort wird als Branding benutzt.**

Die Nächte ver­bringen wir in Besançon. Im Gegensatz zu meinen Erfah­rungen im Umgang der Corona-Mass­nahmen mit Hotels in der Schweiz, Deutschland und Öster­reich machen es die Fran­zosen reichlich kom­pli­ziert, ver­mutlich geprägt durch ihre weit stärkere Betrof­fenheit als in den anderen erwähnten Ländern. Die heutige Assomption (Maria-Him­mel­fahrt) bringt Vor- und Nach­teile: Während der mor­gend­liche Stadt­bummel ruhig, kühl und in guter Luft statt­findet, prä­sen­tiert sich der Besuch auf der 11 ha grossen, sehens­werten Wehr­anlage der Zita­delle, dem Wahr­zeichen der Stadt, als über­füllt, in heiss-schwüler Luft und mit chao­ti­schem Ein­tritts­pro­zedere***. Zusätzlich sorgen tech­nische Stö­rungen am mor­gend­lichen Rund­fahr­ten­schiff Le Vauban und am Tou­ris­tenzug, der uns auf die Zita­delle empor­brachte, für jeweils 20-minütige Verspätungen.

Umso genuss­reicher gestalten dann die char­manten Gast­geber der «Vedettes de Besançon» Carole Radi (ver­schwägert mit der Familie Michel vom Lac de Chaillexon) und Kapitän Aziz unsere drei­stündige Son­der­fahrt auf dem Doubs. In der hand­be­trie­benen Stadt­schleuse von Besançon, gleich nach Abfahrt beim Pont de la Repu­blique, offe­riert uns der Wirt einen Pro­secco Royal und die Fahrt auf dem Doubs, abseits der sonst gewöhn­lichen Route fluss­auf­wärts bis zur nächsten Schleuse mit der unter­ge­henden Sonne im Rücken bleiben in unver­gess­licher Erin­nerung. Zurück in Besançon geniessen unsere 32 Teil­neh­me­rinnen und Teil­nehmer dann die Tun­nel­durch­fahrt mit unter­halt­samen Geräu­schen des Mul­ti­ta­lentes Aziz. 1882 ein­ge­weiht war dieser 375 m lange Tunnel für die Fracht­schiff­fahrt eine enorme Abkürzung und bei höherem Was­ser­stand ein sicherer Weg als über die 3,5 km längere Stadt­schlaufe. Nach dem Schiffs­tunnel ser­viert die Küchen­brigade ein Dreigang-Menue.

Lac de St. Point: Dritt­grösster See Frankreichs

Der Rei­sebus der Firma Murer bringt uns am dritten Tag nach Mal­buisson an den ruhigen, aus­serhalb von Corona sonst tou­ris­tisch genutzten Jurasee auf 900 m ü Meer. Heute ist – trotz Sonntag und bestem Wetter – alles ruhig, weit und breit keine Tages­aus­flügler oder gar Tou­risten sind aus­zu­machen. Der Inhaber der Schiff­fahrt «Les Bateaux du Lac Saint-Point» und Kapitän der «Le Char­lotte»****, David Jeannerod: «Nor­ma­ler­weise haben wir in der Saison rund 100 Rei­se­busse. Nun seid ihr heute der Zweite.» Sein Crémant du Jura, ein Schaumwein aus dieser Region, schmeckt aus­ge­zeichnet und passt zur beschau­lichen Land­schaft dieses Sees, der wie­derum durch den Doubs bewässert wird. Er liegt rund 40 km oberhalb des Lac des Brenets vom ersten Rei­setag; auch bei diesem Schiff heisst es: «Fabriqué à Villers-le-Lac».

Dem Rei­se­teil­nehmer Ernst Otto Kuster aus Murten, der heute Geburtstag hat und ein weit gereister Mann ist, geht es gleich wie den andern Teil­neh­menden: «Dieser See ist mir bis heute völlig unbe­kannt». Nur Bayrush Maloku meint: «Zufäl­li­ger­weise bin ich letzte Woche hier mit dem Töff vor­bei­ge­fahren. Dass ich nun heute auf diesem See fahren kann, ist sen­sa­tionell.» Der Lac de Saint-Point ist im Sommer ein beliebter Badesee und Fischerort. Im Winter ist der See meistens zuge­froren. Der See kennt man auch unter dem Namen Lac de Mal­buisson und ist nach dem Lac de Bourget und dem Lac d’Annecy der dritt­grösste Natursee Frank­reichs, wenn man den Lac Léman als inter­na­tio­nales Gewässer nicht dazu zählt.

Eine gute halbe Stunde vom See ent­fernt erreichen wir anschliessend Fleurier, bereits sind wir wieder in der Schweiz. Dazwi­schen lese ich vom Bus aus in Les Ver­rières eine Hin­weis­tafel, die auf die euro­päische Was­ser­scheide hin­weist: hinter uns fliesst das Regen­wasser in den Doubs, der dann die Saône erreicht und später via Rhone ins Mit­telmeer mündet. Vor uns fliesst der Regen Richtung Neu­en­bur­gersee, via Aare in den Rhein und damit in die Nordsee. In Fleurier erwartet uns ein Son­derzug der ehe­ma­ligen «Régional du Val-de-Travers» RVT, die bis 1991 den Verkehr zwi­schen Travers und Buttes resp. St. Sulpice besorgte.

Unter den Teil­neh­menden war auch der Bahn­ex­perte Martin Stuber dabei: «Wir sind von einer abso­luten Rarität gezogen worden: die RVT 1 wurde 1951 als ‘Copro­duction’ der ACMV in Vevey (heute Bom­bardier in Ville­neuve) und der Ate­liers Sécheron in Genf gebaut.» Es blieb bei der Nummer 1. «Il n’y avait jamais une numéro deux», erläu­terte der Lok­führer. Die Lok war im Rangier- und Güter­ver­kehrs­dienst unterwegs und mit unserem leichten Spei­se­wagen ziemlich unter­fordert… Roastbeef mit Cro­quetten steht auf der Spei­se­karte und in Noiraigue gibt’s einen Fotohalt. Via Métro erreichen wir in Neu­enburg den Hafen und ein wei­terer Jura-See steht auf dem Pro­gramm: DS Neu­châtel bringt uns nach Estavayer-le-Lac. Mit einer luf­tigen Gewit­ter­stimmung geht eine erleb­nis­reiche Reise zu Ende.

Abstieg zum hier erbauten MS Géo (1979), das uns anschliessend mit Yvan Durig in Richtung Saut du Doubs bringt.

Das fran­zö­sische Zwei­deck­schiff Venus (1997), erbaut in Villers-le-Lac erreicht wegen dem um fünf Meter tiefer gele­genen Was­ser­stand seinen Hei­mat­hafen nicht mehr; es landet auf halber Strecke an einem impro­vi­sierten Steg.

Roland Michel gibt in seiner «Chantier naval Franco-Suisse» einen inter­es­santen Ein­blick in das Schaffen seines Familien-Unternehmens.

Kit­schiger geht es nicht mehr: ein­drück­liche Abend­fahrt auf dem Doubs oberhalb von Besançon

Auch die Passage des schiff­baren Tunnels direkt unter der Zita­delle hin­durch ist ein beson­deres Erlebnis.

Über­ra­schende Ent­de­ckung für das Schiffs­pu­blikum: der Solar-Kata­maran Le Char­lotte auf dem Lac de St. Point überzeugt.

Grup­penbild der Teil­neh­me­rinnen und Teil­nehmer der Schiffs-Agentur Reise «Viel­fältige Schiff­fahrten auf Jura-Gewässern» – vor dem Son­derzug in Noiraigue…

Ein schöner Schluss­punkt auf dem Lac de Neu­châtel mit einer Damp­fer­fahrt nach Estavayer-le-Lac

Bilder im Textteil: Um die impo­sante Bau­kultur von Besançon kennen zu lernen lohnt sich eine Führung. Blick von der Zita­delle hin­unter auf die Doubs­schleife gegen Ostern; die Stadt Besançon liegt rechter Hand. Das zweite Flussbild zeigt den Blick gegen Westen; die Stadt liegt nun linker Hand. Heck­partie der «Le Char­lotte» auf dem Lac de St. Point.

Bild 1 A.v. Deschwanden, Bilder 6 und 8 P. Zahner, Bild 7 zvg, Text und übrige Bilder H. Amstad

Weitere Bilder und Video­aus­schnitte Link

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Hin­weise

*) Zu den schiff­baren Gewässern in dieser Gegend zählen auch noch der Lac de Joux (CH) mit MS Caprice II, der Doubs in Dole mit MS Flomega, der Lac de Vou­glans mit MS Le Loui­siana, der Canal de Bour­gogne mit MS Le Bil­le­baude in Pouilly, der Canal de Nivernais in Auxerre mit MS L’Hirondelle II und in Bazolles mit MS L’Art du Temps und der Lac du Morvan mit MS Le Morvan und MS Les Settons.

**) Die Schiff­bau­tä­tigkeit kommt vom Schweizer Ufer aus: Ing. Jean-Claude Durig baute Schiffe bereit 1972 in Les Brenets. Es gab dann 1983 einen Tech­no­lo­gie­transfer ins fran­zö­sische Nach­bardorf unter dem Label «Chantier Franco-Suisse». Sie lie­ferte inzwi­schen 85 Schiffe aus. Auf der Schweizer Seite baute Durig Schiffe auch für andere Schweizer Seen (so auch für Mou­ettes Gene­voises), das letzte im Jahr 1990. Die fix­fer­tigen Pläne für ein neues Zweideck-Restaurant-Schiff sind nun sis­tiert, nachdem der Betrieb, seit Jahren geführt durch den Sohn Yvan, 2019 das Restaurant Saut-du-Doubs gekauft hat und nun dort ein Gas­tro­an­gebot bereibt.

***) Die Zita­delle von Besançon ist eine Festung aus dem 17. Jahr­hundert. Das UNSECO-Welt­kul­turerbe gilt als Meis­terwerk der Mili­tär­ar­chi­tektur, ent­worfen von Sébastien Le Prestre de Vauban. Mehr als 100 Meter über der Alt­stadt gelegen, inmitten der Doubs-Schleife, ist die Zita­delle von Wehr­mauern umgeben. Die Mauern sind an ein­zelnen Stellen bis zu 20 m hoch und bis sechs 6 m dick. Sie bietet eine atem­be­rau­bende Pan­orama-Aus­sicht auf die Alt­stadt von Besançon und die umlie­genden Hügel.

****) Techn. Daten MS Le Char­lotte Lac de St. Point: Baujahr 2018, Chantier Franco-Suisse Villers-le-Lac, L 16.0 m, B 4,5 m, zwei­mo­to­riger Kata­maran mit elek­tri­schem Antrieb, v 10 km/​h auf­grund der Vor­schriften für den Lc de Saint Point, 75 Per­sonen. Löste das Vor­gän­gerrboot «Le Petit Saint Point» ab (2015 – 2017, heute auf der Mosel in Metz (GD Bateaux Vacances) im Einsatz, 24 Personen.

Weiter im Text

Bilder und Video­aus­schnitte von der Reise Link

Berichte über das Nied­rig­wasser 2018 Link und Link

Werft Franco-Suisse in Villers-le-Lac Link

Schiff­fahrt Lac de St. Point (jeden Sonntag öffent­liche Fahrten) Link

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