Rei­se­be­richt: Win­ter­fahrten mit drei his­to­ri­schen Motor­schiffen auf Walen- und Obersee

Gespannt stehen gegen 40 Per­sonen vor der Werft der Walensee-Flotte in Unter­terzen und erwarten Markus Scherrer, den Betriebs­leiter der Schiff­fahrt Walensee. Stefan Hellstern begrüsst die Teil­neh­me­rinnen und Teil­nehmer einer spe­zi­ellen Schiffs-Agentur Reise: Sie bringt uns auf zwei inter­es­sante, nicht all­täglich besuchte Seen, die wir mit drei his­to­ri­schen Motor­schiffen befahren werden. Auf dem Weg in die Werft betrachten wir MS See­stern, die an diesem Sonntag (mit dem «schönen» Datum 02.02.2020) auf dem Tro­ckenen liegt, um in den nächsten Tagen eine Scha­len­re­vision zu erhalten. Markus Scherrer gibt uns eine Über­sicht über den Schiffs­be­trieb Walensee, der im Jahr 2004 von der Familien-AG Walser zu einer neuen Akti­en­ge­sell­schaft mit fünf lokalen Inhabern über­führt wurde.

«Vier Per­sonen arbeiten im Büro mit total 290 Stel­len­pro­zenten, dann stehen neun Schiffs­führer und eine Schiffs­füh­rerin im Einsatz und im Sommer zusätzlich 7 Matrosen in einer Stun­denlohn-Anstellung.» Die fünf Schiffe Alvier, See­stern, Walen­stadt, Quinten und Churs­firsten haben 2019 rund 220 000 Pas­sa­giere befördert und legten 65 000 km zurück. Aus­serdem fährt das Last­schiff Gonzen für den Betrieb, aller­dings unter einer kan­to­nalen Kon­zession (SG 3300). Das Last­schiff Schwan, ein ehe­ma­liger Vier­wald­stät­tersee-Nauen aus Stansstad, hat der Schiffs­be­trieb Walensee nicht mehr ein­gelöst. Scherrer: «Dafür ist die ‘Alvier’ unsere Schwer­ar­bei­terin: sie ist bis 365 Tage im Jahr als Fähr­schiff zwi­schen Murg und Quinten im Einsatz und trans­por­tiert jährlich 80 000 Fahrgäste».

Auf grosses Interesse stösst in der Fra­ge­runde die Mög­lichkeit, den Linth-Kanal zu befahren, eine schiffbare Ver­bindung zwi­schen dem Walen- und dem Zürichsee. Dies ent­spricht genau dem Verlauf, den wir heute – aber per Bus und Bahn via Weesen und Schme­rikon – zurück­legen werden. Scherrer: «Ja, eine solche Schiff­fahrt wäre möglich, wird aber ganz selten gemacht.» Eine Befahrung hängt stark vom Was­ser­stand ab: bei zu viel Wasser können die Schiffe die Grynau-Brücke nicht unter­queren, bei zu wenig laufen die Schiffe bei der Schwelle in Zie­gel­brücke auf Grund.

Markus Scherer hat den Linth-Kanal schon öfters als Schiffs­führer befahren. So auch auf der aben­teu­er­lichen Reise des grössten je auf dem Kanal gefah­renen Schiffes, des Nauens Gonzen bei der Über­führung vom Zürich- auf den Walensee am 22. Mai 1996. Die Fahrt des Last­schiffes mit 80 t Leer­ge­wicht, einer Länge von 35,35 m und einer Breite von 6,25 m erfor­derte nicht nur Geschick, sondern auch Impro­vi­sa­ti­ons­kunst. Markus Scherrer: «Bei der Strom­schnelle haben wir zur Sicherheit an Bäumen eine Winde mon­tiert.». Für die 13,5 km lange Strecke benö­tigte die «Gonzen» vier Stunden. Seit Jahren ver­folgt die Schiffs-Agentur den Plan, auf dem Kanal eine Fahrt aus­schreiben zu können. Wer weiss, viel­leicht klappt es eines Tages…

Ein­zig­artig: beide Fähr­schiffe legen gleich­zeitig in Murg an

Zwi­schen zwei aus­gie­bigen Regen­fronten ist das Wetter auf der ersten Extrafahrt zwi­schen Unter­terzen und Murg (noch) gnädig mit uns. Wir geniessen die Fahrt auf der «Walen­stadt». Ursprünglich ist das Schiff in Luzern bei der Firma Charles Bucher gefahren. Als «Liberty» wird es durch ver­schiedene Firmen erbaut (u.a. den Scha­lenbau durch die Hasler Werft Hasler Rotzloch/​Stansstad wie der Walensee-Nauen Schwan) und am 16. Juni 1982 in Luzern in Betrieb genommen. Bucher ver­kauft es dann anfangs 1997 an den Bodensee dem Betrieb Harald Lang. Ein hef­tiger Sturm ver­senkt die «Liberty» am 27. Dezember 2008 im Hafen von Gai­en­hofen. Nach der erfolg­reichen Hebung und Repa­ratur fährt das Schiff dann bis 2014 als Höri-Fähre. Lang ver­kauft das Schiff an den Schiffs­be­trieb Walensee und kauft für sich die «See­stern» vom Betrieb Ewald Giess. Die ehe­malige Höri-Fähre wird 2014/15 in Unter­terzen aus­ge­kernt, mit einem neuen und hellen Salon ver­sehen und erfreut seither die Gäste als «Walen­stadt» in ihrem dritten Leben.

Auf der Fahrt werden wir betreut durch Sarina und ihrem Vater Markus Scherrer am Steuer. Derweil Guido Städler (Walen­stadt) uns einen Kurz­abriss über die Schiff­fahrt auf dem Walensee gibt: «Nach der Eroberung durch die Römer um das Jahr 15 vor unserer Zeit­rechnung lag der Walensee im Grenz­be­reich der römi­schen Pro­vinzen Rätien und Ober­ger­manien, bildete einen wich­tigen Teil des Was­ser­weges Rhein – Limmat – Zürichsee – Walensee und war somit ein Han­dels­kno­ten­punkt des Waren­ver­kehrs über die Alpen­route. Das erste Dampf­schiff ver­kehrte dann 1837, doch Bahn und Strasse führten in den 1850/60er-Jahren die Per­so­nen­schiff­fahrt zum Erliegen. Eine erneute Wie­der­in­be­trieb­nahme zwi­schen 1900 und 1925 war nicht von langer Dauer. In den 1940-er bis 1960-er Jahren erfolgte ein wei­terer Neu­beginn, zuerst mit kleinen Motor­booten, ab 1954 mit dem Motor­schiff Quinten sowie 1971 mit dem MS Fri­dolin. Die grosse Wende geschah dank der Unter­stützung durch die Tou­ris­mus­or­ga­ni­sa­tionen ab den 1970er-Jahren: Die ‘Chur­firsten‹ wurde 1976, die ‘See­stern‹ 1982 und die ‘Quinten’ II 1987 in Betrieb genommen.»

Die nau­ti­schen Finessen des Tages­pro­grammes hat Lukas Reimann für uns orga­ni­siert. So gibt es in Murg einen foto­gra­fi­schen Lecker­bissen, indem er extra für unseren Event mit den zwei für den Quer­verkehr in Frage kom­menden Schiffen Alvier und Walen­stadt ein Anle­ge­ma­növer insze­niert. In Quinten dann ange­kommen steigt unsere Rei­se­gruppe auf MS Alvier um und MS Walen­stadt macht dann während der Abwe­senheit der «Alvier» den Quer­verkehr. Dies macht MS Walen­stadt auch dann, wenn die «Alvier» in die Revision muss.

Vom „Dorn­röschen“ zum „Alvier“ – das bewegte Leben eines 111-jäh­rigen Schiffes

Zuge­geben: es gibt gemüt­li­chere Schiff­fahrten als im Fähr­schiff Alvier unsere zweite Extrafahrt zu unter­nehmen. Zumal es inzwi­schen «richtig» zu regnen beginnt und die Aus­sen­plätze nur ganz wet­ter­festen Freaks vor­be­halten sind. Aber, die Teil­neh­me­rinnen und Teil­nehmer der SA-Reise nehmen das Gedränge auf dem bis zum letzten Sitz­platz besetzten Schiff gelassen hin, weil sie wissen: diese Fahrt ist etwas Beson­deres! Seit drei Jahr­zehnten ver­kehrt die «Alvier» bloss zwi­schen Murg und Quinten; heute darf sie dank uns einmal nach Weesen fahren. Und die Geschichte dieses Schiffes flösst etwas Ehr­furcht ein.

Es fuhr in Berlin, war auf dem Zugersee ein Kon­kur­renz­produkt zur offi­zi­ellen Schiff­fahrt, gehörte auf dem Zürichsee dem Migros-Gründer Dutt­weiler, revo­lu­tio­nierte die Walensee-Schiff­fahrt und ist heute noch als Fähr­schiff zwi­schen Murg und Quinten unterwegs*. Erst kürzlich ist Jürg Meister** auf die kor­rekten Angaben gestossen, wer dieses nim­mermüde Schiff erbaut hat und wann genau: „Von Bernd Schwarz, einem poren­tiefen Kenner der deut­schen Bin­nen­schiff­fahrt habe ich die Infor­ma­tionen erhalten, dass MS Dorn­röschen 1909 bei der Spree­werft Wilhelm Strack in Berlin-Stralau für Herrn/​Firma Otto Kagel, Berlin-Wann­see/­Be­litzhof erbaut wurde, damals zuge­lassen für eine Trag­kraft von 108 Per­sonen.“ Wir fahren auf einer 111-jäh­rigen Schale, dem nau­ti­schen Herz­stück eines jeden Schiffes.

Auch MS J.J. Rousseau mit inter­es­santer Geschichte

Nach dem Mit­tag­essen in Weesen erreichen wir via Bus und Bahn in wenigen Minuten Schme­rikon, die öst­lichste Gemeinde im Obersee, bloss 500 m von der Stelle ent­fernt, wo das Walensee-Wasser in den Zürichsee fliesst. Wasser fliesst auch von «oben», als wir hier die «J.J. Rousseau» besteigen zu unserer dritten Fahrt, hin­unter nach Wädenswil durch den Hur­dener Durch­stich. Auch dieses Schiff hat eine bewegte Geschichte hinter sich: 1952 in der renom­mierten Yacht­werft Portier in Meilen erbaut absol­viert das Schiff erfolg­reich die Pro­be­fahrten auf dem Zürichsee. Dann erfolgt der Transport nach Biel, wo es noch im gleichen Jahr dem Verkehr für die Bie­lersee Schiff­fahrts­ge­sell­schaft über­geben wird. Es besorgt den Win­ter­dienst zwi­schen La Neu­veville und der St. Peter­s­insel. 1993 wird diese Ver­bindung im Winter ein­ge­stellt und das Schiff drei Jahre später nach Ams­terdam ver­kauft. 2014 dann findet das Schiff, seit dem ersten Tag immer «J.J. Rousseau» heissend, den Weg in die Schweiz zurück, genauer gesagt auf einen Werk­platz in Baar/​ZG. Nach einigen Her­aus­for­de­rungen konnten dann die neuen Eigner das Schiff soweit reno­vieren, dass es im Sommer 2019 wieder auf dem Zürichsee zum Einsatz kommt.

In den Som­mer­ferien 2019 hat MS J.J. Rousseau die Schiffs­an­le­ge­stellen Buss­kirch (Jona), Lachen und Altendorf als Obersee-Fähre*** mit­ein­ander ver­bunden. Die Bevöl­kerung hat das Angebot rege genutzt: während nur gerade 14 Tagen konnte das Schiff über 5 600 Fahr­gäste begrüssen. Die Lachner konnten den Rap­pers­wiler Kin­derzoo besuchen, als Rap­perswil-Jonerin ein Mit­tag­essen im Lachner Hafen geniessen oder am Alten­dorfer Seeufer ent­lang­spa­zieren – die Obersee-Fähre hat die Wege zwi­schen den beiden Obersee-Ufern ver­kürzt und damit die Bevöl­kerung ein­ander nähergebracht.

Die «See­stern» liegt auf dem Trockendock.

Markus Scherrer als Betriebs­leiter des Schiffs­be­triebes Walensee AG begleitet uns als Schiffs­führer auf beiden Walen­see­schiffen (hier auf MS Walen­stadt); auch für Guido Städler (l) als Autor der Walensee-Schiff­fahrts­bücher sind die heu­tigen Fahrten aussergewöhnlich****.

Gemüt­liche Runde im Salon der «Walen­stadt»

Kraft­volle Fahrt der 111-jäh­rigen «Alvier», im Hin­ter­grund die Gemeinde Murg mit Bus- und SBB-Anschlüssen

MS Walen­stadt in ihrem 3. Leben: vorher als Höri-Fähre auf dem Bodensee und ursprünglich als «Liberty» auf dem Vier­wald­stät­tersee unterwegs

MS Alvier auf Par­al­lel­fahrt mit MS Walen­stadt zwi­schen Quinten Au und Quinten, am stot­zigen Fel­senufer der Chur­firsten; der Regen prasselt an die Schreiben.

Bis 1986 war die damalige «Quinten» I im Sommer viel in Weesen anzu­treffen. Seit 1991 aber ist das Schiff, neu als «Alvier» getauft, hier ein sehr sel­tener Gast.

Ange­regtes Fach­simpeln unter Fach­leuten und Geniessern: im Salon der «J.J. Rousseau» geht es lebhaft zu und her.

Bild Textteil: Ein sel­tener Anblick: beide Quer­ver­bin­dungs­schiffe kommen in Murg gleich­zeitig an (oberes Bild). Unser drittes Extra­schiff, die «J.J. Rousseau», fährt am Ende des Tages leer von Wädenswil nach Schme­rikon zurück.

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Am Schluss des Blogs ist Ihr Kom­mentar willkommen.

Hin­weise

*) Josef Schwerzmann, dem dama­ligen Ver­wal­tungsrat der Dampf­schiff­fahrts­ge­sell­schaft des Zugersees, waren die lei­digen Dis­kus­sionen um die Finanzen und Defizite der Zugersee-Schiff­fahrt zu bunt und er ent­schied, 1921 ein Motor­schiff zu kaufen, um zu zeigen, dass diese «Tech­no­logie» wirt­schaft­licher sei als der Schrau­ben­dampfer Rigi. Er erwarb aus eigenem Porte­monnaie in Berlin das Occa­sions-Schiff „Dorn­röschen“, das bislang auf der Havel im Einsatz stand. In Zug ange­kommen ver­wei­gerte ihm das BAV die Betriebs­be­wil­ligung, worauf er aus Protest aus dem Ver­wal­tungsrat austrat und mit MS Dorn­röschen als Kon­kurrenz zur DGZ selber einen Schiffs­be­trieb gründete. Auch ihm war der finan­zielle Erfolg ver­gönnt und so ver­kauft er das Schiff 1923 an den spä­teren Gründer der Migros, Gottlieb Dutt­weiler. Dieser unter­nimmt mit ihm unter dem Namen „Seebueb“ auf dem Zürichsee private Fahrten. 1954 kam das Schiff dann als „Quinten» I auf den Walensee, wo es bis 1986 vor allem im Längs­verkehr treue Dienst leistete. Nach fünf Jahren Still­lager erfolgte ein wei­terer Umbau. Seit 1991 ver­sieht das Schiff bereits unter dem vierten Namen, nun als „Alvier“, die Quer­ver­bin­dungen von der SBB-Station Murg vom linken Ufer nach Quinten zum rechten Ufer des Walensees. Ein wahrlich inter­es­santes Schiff, bei dem aber von der Aus­strahlung her heute nicht mehr viel an diese tur­bu­lente Geschichte erinnert, ausser die urtüm­liche Schale.

***) Die Gemeinden des Vereins Agglo Obersee grup­pieren sich rund um den namens­ge­benden oberen Zürichsee, genannt Obersee. Hier leben rund 150 000 Ein­woh­ne­rinnen und Ein­wohner und arbeiten rund 70 000 Beschäf­tigte. Um die gemein­de­über­grei­fenden Her­aus­for­de­rungen in diesem stark ver­netzten Gebiet im Metro­po­li­tanraum Zürich aktiv zu begegnen, wurde im Juli 2009 der Verein Agglo Obersee gegründet. Mit­glieder sind neun Schwyzer, vier St. Galler und vier Zürcher Gemeinden sowie die Kantone Schwyz, St. Gallen und Zürich.

Quellen

**) Dr. Jürg Meister (Meister in Sachen Ver­kehrs­lo­gistik, Schiffs­his­torie und Autor zahl­reicher Schiffs­bücher und Gut­achten), Recherche vom 21. März 2016. In Ergänzung zum Buch „Walensee-Schiff­fahrt Linth-Schiff­fahrt“, Guido Städler Seite 111 (ISBN 3−907926−60−9, in unserem Shop erhältlich).

Weiter im Text

****) Pres­se­be­richt im Sar­gan­ser­länder vom 6.2.2020 Link

Reno­vation MS J‑J-Rousseau Link

Reno­vation MS Walen­stadt Link, Link

Impressum

Bild 5 E. Mischler, Text und übrige Bilder H. Amstad

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